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Der Akrobat Peer Steinbrück im Wahlkampf

Ein Jahr lang hat Nils Minkmar, Feuilleton-Chef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Peer Steinbrück begleitet. Der Journalist hat den Kanzlerkandidaten im Wahlkampf beobachtet, wie er sich schwitzend verdreht und verbeugt, gute Auftritte hinlegt und in Fettnäpfchen tritt.

Von Peter Kapern | 28.10.2013
    Der Wahlkampf in Deutschland, die ganze Politik gar – nichts als ein Zirkus? Ein Tingeltangel, aufgeführt von Gauklern, mit roter Pappnase und glitzernden Kostümen? Steckt das hinter dem Buchtitel? Hat da also mal wieder einer dieser journalistischen Politikverächter in die Tasten gegriffen und sich seinen Ekel von der Seele geschrieben? Nein, das Gegenteil ist der Fall. Nils Minkmar schreibt respektvoll über die Politik, über den Knochenjob der Politiker, über den rührend-redlichen Versuch der Parteien, die Welt ein wenig besser zu machen. Aber auch darüber, dass beide, Politiker wie Parteien, heute oft erscheinen, wie aus der Zeit gefallen. So, wie der Zirkus:

    "Die Akrobaten würden sich ins Zeug legen, würden schwitzen, sich verdrehen und verbeugen, um den Leuten zu gefallen. Aber auch wenn die Akrobaten es so gut machten wie nie, wie kein anderer vor ihnen, würden sie damit nicht in die Zeitung, nicht in die Nachrichten kommen. Es sei denn, einer stürzt ab."

    Ein Jahr lang hat Minkmar Peer Steinbrück begleitet, hat beobachtet, wie er sich schwitzend verdreht und verbeugt, gute Auftritte hinlegt und doch nur in der Zeitung landet, wenn er abstürzt. Peer Steinbrück ist oft in der Zeitung gelandet. Akrobat Peer – die Stationen seines missglückten Wahlkampfs sind bekannt: Die Debatte um seine Vortragshonorare, der völlig zutreffende, aber trotzdem skandalisierte Vergleich italienischer Spitzenpolitiker mit Clowns, seine Ahnungslosigkeit, was die Finanzierung des Peer-Blogs anging, seine Stasi-Akte, der Versuch, ihm die Schwarzarbeit der Putzfrau seiner Schwiegermutter anzulasten: Mit nichts anderem konnte der Kanzlerkandidat mehr durchdringen als mit Nachrichten, die in das Schema: "Problem-Peer im Fettnäpfchen" passten. Im Sommer, nach neun Monaten im Kreuzfeuer, war Steinbrück – wen wundert´s – deprimiert. Was einer seiner Freunde im Telefongespräch mit Minkmar so erklärte:

    "Das ist eben eine neue Rolle für ihn." "Die des Kanzlerkandidaten?" "Nein, die des Dödels der Nation."

    Der Mann, der half, den Euro zu retten, die Menschen davon abzuhalten, die Banken zu stürmen – der hoch angesehene Ex-Finanzminister – nun nichts anderes als der Dödel der Nation? Minkmar sieht zwei Ursachen, zwei Phänomene, die keinem Wahlkampf gut tun. Auf der einen Seite eine Partei, die völlig überrascht schien, als sie plötzlich einen Kanzlerkandidaten hatte. Eine Person, die, auch wenn es sich nicht um den zu Ironie und verbalem Grenzgängertum neigenden Steinbrück gehandelt hätte, professionellen Rat und massive Unterstützung gebraucht hätte. Rückendeckung und die Zuarbeit echter Könner, wenn der Marsch aufs Kanzleramt erfolgreich sein sollte. Nichts davon hatte die SPD parat. Und so kam es, dass sogar der Stinkefinger, der in mancherlei Hinsicht verständlich, sogar gelungen und auch authentisch war, als Sprengsatz im Wahlkampfendspurt von niemandem entschärft wurde. Die SPD hat ihren Mann im Stich gelassen. Nicht böswillig, wie Minkmar schreibt, sondern eher ahnungslos. Zweiter Faktor für das Misslingen der Kandidatur: eine Medienlandschaft, die nach den heute geltenden Regeln des Gewerbes nur noch wahrnimmt, was in das Raster des bereits Wahrgenommenen passt:

    "Die Logik der digitalisierten Medien ist ganz darauf orientiert, das Gesuchte, Gewünschte und woanders schon groß Gebrachte zu erkennen und so zu optimieren, dass möglichst viele Nutzer möglichst lang dran bleiben."

    So scheitert Steinbrücks Versuch, seine Konzepte zu transportieren, die sich nicht fundamental, aber in zahlreichen Nuancen von denen der Kanzlerin unterscheiden. Die er wieder und wieder erklärt, mit Engagement und Können, ohne Angela Merkel jemals frontal anzugreifen. Eine unsichtbare Wand habe sich da aufgebaut zwischen dem Kandidaten, seinen Themen und den Wählern, schreibt der journalistische Beobachter. Die Geschichte des Steinbrück-Wahlkampfs: Das ist bei ihm die Geschichte einer fulminanten Kommunikationsstörung. Minkmar erzählt sie als Reportage – aber nie als Kolportage. Kein Lesestoff also für diejenigen, die erfahren wollen, wie der Gabriel über den Steinbrück herzieht oder anders herum. Und wie die Kraft hinter vorgehaltener Hand beide in die Pfanne haut:

    "Bemerkenswert ist, was ich alles nicht gesehen habe: kaum Machtspiele, keine übergroßen Egos, keine chauvinistischen oder unbeherrschten Attitüden, kein Dominanzgehabe und kein Lästern über andere. Vielleicht haben sie das immer genau dann sein lassen, wenn ich dazu kam, Indizien dafür gibt es aber keine."

    Darüber hinaus erzählt Minkmar – und das ist sogar der spannendere Teil seiner Wahlkampfbeobachtung, noch andere Geschichten. Die von einem ausgepowerten Wahlvolk zum Beispiel, das sich eben nicht zufrieden rülpsend zurücklehnt, weil Deutschland besser durch die Krise gekommen ist als andere Länder. Sondern das verunsichert, verängstigt und ermüdet zurückblickt auf die vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte. Auf die Periode, in der gewaltige Lasten, die Einheit und die Sanierung der Sozialsysteme, fast ausschließlich der Mittelschicht aufgebürdet wurden. Und die, das nur schultern konnte, weil sie sich der permanenten Beschleunigung ihres Arbeitslebens gebeugt hat.

    "Der Job wird zur Mission, die Firma zur Sekte. So muss der oder die Angestellte stets mehr geben als die Arbeitskraft in der Arbeitszeit, sie müssen Jünger der Firmenmission werden und Propheten der Produkte."

    Diesen ausgelaugten Wähler ersparte Angela Merkel einen aufreibenden Wahlkampf um Themen und Rezepte. Sie versprach nur, die Bürger nicht weiter zu behelligen, verpackt in die zentrale Formulierung: "Sie kennen mich!" Warum aber hatte die SPD diesem Sedativum nichts entgegenzusetzen? Hier erzählt Minkmar die Geschichte einer Partei, die in überkommene Rituale verstrickt ist, guten Willens, voller guter Absichten, und ausgestattet mit etlichen plausiblen Ideen, aber völlig unfähig, daraus ein zeitgemäßes Angebot zu formulieren. Und in deren telefonbuchdickem Wahlprogramm sich tatsächlich die Beteuerung findet, eine bessere Zukunft für alle Menschen weltweit anzustreben. Das sei kein politisches Anliegen, schreibt Minkmar, sondern ein humanistisches Heilsversprechen. Und auf jeden Fall ein Angebot, dass erschöpfte Wähler überfordert. Politik funktioniert nicht mehr so wie vor 20 Jahren. Peer Steinbrück und die SPD haben das nicht erkannt. Sie waren damit so rührend anachronistisch wie der Zirkus auf dem Dorfplatz. Das beschreibt Nils Minkmar anhand seiner Wahlkampfbeobachtung. Und zwar immer vorsichtig im Urteil, mit intellektueller Schärfe und einer großen Portion Melancholie.

    Nils Minkmar: "Der Zirkus. Ein Jahr im Innersten der Politk", S. Fischer Verlag, 220 Seiten, 19,99 Euro.