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Der Alarm schrillt zu oft

Dioxine und dioxinähnliche Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind giftig und stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Rindfleisch ist zu häufig damit belastet. Doch statt die Quelle zu suchen, sollen nun die EU-Werte nach oben angepasst werden.

Von Philip Banse | 01.07.2011
    Unsere Umwelt und damit auch unsere Lebensmittel sind immer mehr mit den gefährlichen dioxinähnlichen PCB belastet, sagt Helmut Röscheisen vom Naturschutzring. Nach dem Verbot der PCB in den 80er-Jahren sei die Belastung runter gegangen, jetzt aber steige die Belastung von Lebensmitteln allgemein mit PCB wieder leicht an:

    "Wir können das daran sehen, dass in den jährlichen Dioxin-Berichten der Bund-Länder-Kommission die PCB- und Dioxin-Werte auf einem hohen Niveau bleiben und leicht ansteigen."

    Besonders deutlich werde dies beim Rindfleisch. Dazu muss man wissen: Es gibt für PCB einen Höchstwert, wird der überschritten, muss das Fleisch aus dem Verkehr gezogen werden. Davor gibt es aber einen niedrigeren Auslösewert, eine Art Alarmwert, bei dem die Behörden nachforschen sollen, woher denn die hohe PCB-Belastung kommt.

    Auch das Bundesumweltministerium gesteht in einem Schreiben, das dem Deutschlandfunk vorliegt: Untersuchengen von Bund und Ländern zwischen 2006 und 2009 hätten "hohe Überschreitungsraten des EU-Auslösewerts für dioxinähnliche PCB in Rindfleisch ergeben". Über die Hälfte aller Rinderproben in Deutschland hätten über diesem Auslösewert gelegen, sagt Helmut Röscheisen vom Naturschutzring:

    "48 bis 63 Prozent der Befunde sind so, dass sie über dem Auslösewert von einem Mikrogramm liegen. Das heißt, dioxinhaltige PCB haben in Rindfleisch Werte, die über diesem Auslösewert liegen. Das würde das de facto bedeuten, zu gucken, wo sind denn die Ursachen. Und das wird nicht gemacht."

    Nicht nur das: Statt die Ursachen dieser hohen Auslösewerte zu untersuchen und zu bekämpfen, hat das Bundesumweltministerium in der EU vorangetrieben, dass die Auslösewerte hoch gesetzt werden: Der Alarmwert soll in dieser Woche verdoppelt werden. Motto: Wenn der Alarm zu oft klingelt, dann machen wir die Fühler weniger empfindlich. Ein Interview will das Umweltministerium zu diesem Thema nicht geben. In einer Email teilt ein Sprecher mit:

    "Der gegenwärtige Auslösewert liegt europaweit niedriger als die Hintergrundbelastung und ergibt damit wenig Sinn."

    Zu Deutsch: Wir haben mittlerweile so viele dioxinähnliche PCB in der Umwelt, dass die Alarmwerte rauf gesetzt werden müssen, um Ausreißer nach oben noch erkennen zu können. Diese Argumentation sei ein Armutszeugnis, kritisiert Hartmut Vogtmann vom Naturschutzring: Das Umweltbundesamt wolle ermitteln, woher die hohe Grundbelastung mit PCB komme, die vorgesetzte Stelle aber, das Umweltministerium, wolle stattdessen den Alarmwert hoch setzen:

    "Den Alarmwert, ein Wert, wo man eigentlich suchen müsste, woher kommt das, den setzen wir jetzt um das Doppelte rauf. Das ist die politische Reaktion. Statt zu machen, was das Umweltbundesamt will, nämlich die Ursachen zu erforschen, setzt das Ministerium den Alarmwert einfach hoch. Das ist eine Reaktion, die wir nicht verstehen können."

    Dass der Alarmwert erhöht wird, ist ausgemachte Sache: Am 4. Juli wird das in Brüssel beschlossen werden - vor allem auf Drängen Deutschlands, schreibt der Sprecher des Umweltministeriums. Dabei sei bekannt, woher die allgemein hohe und steigende Belastung unserer Umwelt mit dioxinähnlichen PCB komme, kritisiert der Naturschutzring: Schiffe, die mit Schweröl betrieben werden, Recycling von Metall mit Kunststoffrückständen und die Aufbereitung von Eisenerz. Diese PCB-Quellen trocken zu legen, sei aber nicht einfach, gesteht auch Helmut Röscheisen vom Naturschutzring:

    "Es ist nicht einfach. Schweröl beim Schiffsverkehr ist international, wo fängt man da an? Man kann das nicht einfach national regeln, aber ich brauche jemanden, der einen Vorstoß macht. Ich muss das zunächst auf EU-Ebene lösen und da habe ich von Umweltminister Röttgen absolut nichts gehört. Im Gegenteil. Der Vorstoß, diesen Auslösewert von ein auf auf Mikrogramm zu erhöhen, kommt von Deutschland, weil dort die Belastung so hoch ist. Das kann keine Lösung sein."