Donnerstag, 28. März 2024

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Der Alexander Verlag. Ein Porträt

"Ich bin weder handwerklich begabt, noch habe ich ausgeprägte künstlerische Veranlagungen, und ich war dann mal irgendwann schuleschwänzend in der Buchhandlung Schoeller, und doch, das war eigentlich so ein Klick, das war so ein Ereignis. Ich bin an einem schuleschwänzenden verregneten Tag da rein gegangen, irgendwas gesucht und bin raus, und hab' gedacht, Mensch das war ja einen wunderbare Atmosphäre, nette Leute, die da arbeiten, die da hinkommen, man hat mit Büchern zu tun, vielleicht wäre das was."

Maike Albath | 01.06.2000
    Weil Alexander Wewerka ein schlechter Schüler ist und nur im Deutschunterricht auf seine Kosten kommt, hängt er Ende der siebziger Jahre das Gymnasium an den Nagel und beginnt eine Buchhändlerlehre. Nach seiner Ausbildung verläßt Wewerka Berlin, geht dahin, wo man als junger Mensch das romantische Leben vermutet, nämlich nach Paris, und schreibt sich an einer Schauspielschule ein. Hier kommen ihm Texte in die Finger, die unter den Studenten als Kopien weiter gereicht werden und im Buchhandel nicht aufzutreiben sind: Aufsätze von Peter Brook, Lee Strasberg und Ariane Mnouchkine. Als sich herausstellt, daß der Schauspielerberuf nichts für ihn ist, hat er die Idee, sich als Verleger zu versuchen.

    "Das allererste Buch war tatsächlich kein Theaterbuch, sondern ein Buch mit Gedichten von der Freundin einer Freundin. Die hat im Grunde den Funken gelegt, denn ich habe mich zu der Zeit bemüht, in Verlagen unterzukommen als Volontär oder Praktikant nach dieser Schauspielerfahrung. Wurde überall vertröstet, "Fragen Sie in ein oder zwei Jahren noch mal nach". Dann tauchten die Gedichte auf und keiner wollte die verlegen, da kam das so zusammen, da dachte ich, wenn ich so junge Autoren verlegen würde und Theaterbücher Peter Brook, Lee Strasberg, was auch immer, das könnte doch eine interessante Mischung sein. Das eine, Peter Brook, ist ein Name, den kann man wahrscheinlich verkaufen, während eine Jenny Teunert mit Gedichten, das ist schwierig."

    Alexander-Verlag nennt Wewerka sein Unternehmen, das er 1983 gründet und zunächst in seiner Wohnung beherbergt. Durch Zufall stößt er auf ein passendes Logo für seinen Verlag. Es stammt von dem französischen Maler Roland Tupor und ist heute bekannter als der Name des kleinen Hauses: ein Skifahrer, der schwungvoll über eine poröse Masse gleitet, die sich bei näherem Hinsehen als ein Gehirn entpuppt. Ein passendes Bild für einen Verlag, der anspruchsvolle Texte mit großem Praxisbezug im Programm hat. Aber der unbeirrbare Skifahrer entspricht auch Wewerkas Entdeckergeist und seiner Fähigkeit, auf unwegsamen Terrain die Balance zu halten. In den ersten Jahren seiner Existenz als Verleger fahndet er nämlich nicht nur nach Projekten und erwirbt Lizenzen, sondern ist zugleich Lektor, Korrektor, Graphiker, Hersteller und Vertriebsleiter. Mit den ersten selbst verlegten Büchern unterm Arm fährt er auf die Frankfurter Buchmesse.

    "Meine erste Messe bin ich am dritten Tag nachmittags weg gegangen, heulend, und dachte, es ist ja verrückt, ich weiß nicht, wie viele Bücher da stehen, eine Million, ich habe auch noch drei mitgebracht."

    Inzwischen hat Wewerka seine Nische gefunden. Nicht nur Peter Brook, Luc Bondy, Lee Strasberg und Benno Besson zählen zu seinen Autoren; das Verlagsprogramm umfaßt auch Essays von Jan Kott über polnische Literatur, Shakespeare und griechische Tragödien und Texte des japanischen Regisseurs Yoshi Oida. In der schön gestalteten und sorgfältig edierten Reihe "Zeichen" - schmalere Broschur-Bände mit rund 80 Seiten - liegen ausgewählte Gedichte von Heiner Müller, Gespräche mit Ionesco, ein Aufsatz über Patriotismus von Yukio Mishima und Ratschläge für einen jungen Dichter von Max Jacob vor. Neugierde auf fremde Kulturen, Wagemut und Ideenreichtum sind zwar die Voraussetzungen für ein gutes Verlagsprogramm, aber noch längst keine Garantie für den Erfolg beim Publikum.

    "Ich war sehr jung, 23, das hat dann zwei drei Jahre gedauert, da habe ich gemerkt, also junge deutsche Autoren zu verlegen, dazu braucht man mehr als Enthusiasmus, nicht nur know-how und gute Beziehungen, sondern wirklich auch viel Geld, um die Leute wirklich puschen zu können und auch bezahlen zu können. Junge Autoren, das ist also relativ schnell eingeschlafen, hat sich dann verlagert auf einen Versuch, außereuropäische Autoren zu machen, Schwerpunkt Afrika, hatte auch einen biographischen Grund, das hat sich als genauso schwierig erwiesen nur mit anderen Umständen und Vorzeichen, obwohl es schon diese Marktnische hatte, und dann hat sich über die Jahre herauskristallisiert, diese Theaterbücher, das sind die, die am besten gehen, wo ich mich vielleicht auch am besten auskenne, wo der Markt sich von alleine entwickelt."

    Etwa bei 3000 Stück liegen Wewerkas Auflagen. Das klingt im Vergleich zu den Zahlen größerer Häuser wie Hanser oder Ullstein wenig. Aber auch diese Verlage, die viel Geld für Werbung ausgeben, haben pro Saison selten mehr als ein bis zwei Spitzentitel im Sachbuch mit Auflagen über 50.000. Über genaue Zahlen wird geschwiegen, aber ein Großteil der Sachbücher verkauft sich vermutlich drei bis sechstausendmal. Werben kann Alexander Wewerka nur mit seiner Website im Internet, und die wird sogar in Australien und Kanada für Einkäufe genutzt. Die Buchhändler zögern bei einem spezialisierten Programm wie seinem mit größeren Bestellungen. Der Alexander-Verlag hat eher das Profil eines Fachverlages, und das ist auch ein Vorteil. Die Verkaufszahlen bleiben über viele Jahre konstant, die Titel sind nicht nur eine Saison lang aktuell, sondern bedienen eine ganz bestimmte Klientel, deren Interesse an Theatertheorie das Frühjahrsprogramm überdauert. Außerdem gibt es eine umfangreiche Backlist mit lieferbaren Büchern. Weil sein Betrieb klein ist und geringe laufende Kosten hat, kann er sich Bücher mit niedrigeren Verkaufszahlen leisten, die für einen wirtschaftlich denkenden größeren Verlag unrentabel wären und gar nicht verlegt würden. Seinen Lebensunterhalt bestreitet Wewerka erst seit drei Jahren mit seinem Unternehmen, zuvor jobbte er nebenbei in einer Buchhandlung und stand abends noch als Statist beim Schiller-Theater auf der Bühne. Inzwischen beschäftigt er zwei freie Mitarbeiter, zumindest ein Teil der Arbeit wird außer Haus gegeben. Nach weiteren Schwerpunkten, die ein zahlungskräftiges Publikum ansprechen könnten, muß sich der Kleinverleger trotzdem umgucken, und dazu zählt seit neuestem der Bereich Film. Unter den bunten Einbänden des Alexander-Verlages finden sich jetzt auch Bücher über Stoffentwicklung und Filmcharaktere von Linda Seger, eine Anleitung zum Drehbuchschreiben von Jean Claude Carrière und Pascal Bonitzer und eine Anthologie über Dogma 95. Als ein Longseller, der auch in Managerkreisen gerne konsultiert wird, erwies sich ein Titel des britischen Schauspiellehrers und Regisseurs Keith Johnstone über Improvisationstheater.

    "Man erhofft sich natürlich immer, daß das Buch kein Flop wird und einen Leser findet, aber daß es zu meinem bestgehenden Titel, so eine Art Kultbuch in einer bestimmten Szene, damit habe ich nicht gerechnet. Warum ist ein Buch erfolgreich? Der Johnstone berührt etwas. Das ist ein Schauspiellehrer, und er spricht vor allem über Improvisationstechnik und was das eigentlich ist, Improvisation und Spontaneität auf der Bühne, und sein Credo ist eigentlich, er sagt, das Hauptproblem aller Menschen ist die Angst, Angst blockiert, macht Leute ungeschickt, aggressiv, was auch immer, wo hat man am meisten Angst, natürlich auf der Bühne. Das ist das Dilemma für Schauspieler, selbst für tolle Leute, daß sie auf der Bühne stehen, das Licht geht an und vor ihnen ist dieses schwarze Loch, das sie blockiert. Und Johnston arbeitet seit 30 Jahren daran, diese Blockaden zu lösen, damit umzugehen, spielerisch auszutricksen."

    Improvisation und Theater von Keith Johnstone ist alles andere als ein trockenes, theorieüberfrachtetes Lehrbuch, sondern eher eine Art Erfahrungsbericht voller Anekdoten und Geschichten, in dem nebenbei eine Arbeitstechnik vermittelt wird. Für spannende Autoren und ungewöhnliche Stoffe, wie man sie sonst nirgends findet, hat Alexander Wewerka ein großes Gespür. Man merkt, daß hinter seinem Unternehmen kein großer Konzern steht, der stromlinienförmige Kost mit Verkaufsgarantie verordnet. Sein Programm ist nicht nur für Theaterbegeisterte, zukünftige Drehbuchautoren und Kinospezialisten eine Fundgrube, sondern hat auch dem ganz normalen Leser eine Menge zu bieten.