Donnerstag, 28. März 2024

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Der Alleinvertretungsanspruch der Religionen
"Wir haben die Wahrheit"

Die Gretchenfrage lautet nicht: Wie hältst du's mit der Religion? Sondern: Hältst du aus, dass andere etwas anderes glauben oder gar nichts? Fundamentalisten bekämpfen oder bekehren diejenigen, die sie auf dem falschen Weg wähnen. Religiöse Toleranz ist ein ständiger Lernprozess.

Von Corinna Mühlstedt | 13.10.2021
Papst Franziskus und Scheich Ahmad Muhammad al-Tayyib, der Imam der Azhar Moschee bei ihrem Treffen im Vatikan am 23 Mai 2016
Vertreter der großen Religionsgemeinschaften rufen immer wieder zu gegenseitigem Respekt und Toleranz auf (Picture Alliance / Donatella Giagnori )
Swami Agnivesh: "Gott verehren bedeutet nichts anderes als: aus der 'Wahrheit' leben, 'wahrhaftig' sein. Dazu braucht man keine Moschee, keinen Tempel und keine Kirche, nichts Äußerliches. Aber in allen Religionen, auch bei uns im Hinduismus, begegnen wir heute leider mehr oberflächlichen Riten als echter Spiritualität, mehr Theorien und Dogmen als Wahrhaftigkeit."
William Vendley: "Vertreter anderer Religionen lehren uns oft, unsere eigene Religion besser zu verstehen. Was es bedeutet, ein guter Christ zu sein, habe ich im Austausch mit Buddhisten, Juden und Muslimen gelernt. Die Wahrheit besitzt niemand, aber jeder von uns kann ihr im Herzen begegnen."
Rabbi Rosen: "Keine Religion sollte so arrogant oder kurzsichtig sein, zu meinen, dass ihr die ganze Wahrheit exklusiv gehört. Die Behauptung, ein Monopol für die Wahrheit zu haben, ist letztlich ein Angriff auf die göttliche Quelle, die uns Juden ebenso geschaffen hat wie all die verschiedenen Kulturen und Menschen."

Vorboten des Jüngsten Gerichts

"Fahrt zur Hölle! - Ihr alle werdet zur Hölle fahren!", schreien wütende Demonstrantinnen und Demonstranten 2013 in der südkoreanischen Hafenstadt Busan. Sie kommen aus christlich-fundamentalistischen Kreisen und haben sich zu Hunderten versammelt, um gegen eine Tagung des Weltkirchenrats zu protestieren, zu der Ehrengäste aus anderen Religionen eingeladen sind.
Diese christlichen Gruppierungen seien überzeugt, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, erklärt der US-amerikanische Theologe Cecil Robeck. Manche hätten ihre Wurzeln in pfingstkirchlichen Kreisen der USA:
"Die Mitglieder unserer Pfingstkirchen haben sich stets als auserwählte Gemeinschaften verstanden und als Vorboten des Jüngsten Gerichts. Sie fürchten nichts so sehr wie unchristliche, ja satanische Kräfte, die sie von Christus und vom rechten Weg abbringen könnten. Ihre Haltung beruht auf einer großen Angst vor der nahenden Endzeit."
Philosoph Michael Schmidt-Salomon - "Aufgeklärte Religion aussterbend wie Männergesangsvereine"
Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon sieht in Religionen derzeit eine "Wurzel gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit".
Christliche Fundamentalisten gibt es heute auf allen Kontinenten. Das Spektrum ist bunt: Es reicht von rechten katholischen Kreisen in den USA über evangelikale Bewegungen in Südamerika oder Asien bis zu neu aufblühenden "Mega-Churches" in Afrika. Viele ihrer Anhänger vertreten einen exklusiven Wahrheitsanspruch und begegnen Gläubigen anderer Religionen ebenso aggressiv wie den meisten Christen anderer Konfessionen.

"Wir brauchen viel mehr Aufklärung"

Seit einigen Jahren versuchen Vertreter der verschiedenen Kirchen im Rahmen des "Global Christian Forum" ins Gespräch zu kommen und wechselseitige Vorurteile abzubauen. 2018 fand in Kolumbien das dritte internationale Treffen dieser Art statt. Durchaus mit Erfolg, meint der Ökumene-Beauftragte der katholischen Bischofskonferenz Kolumbiens Jorge Bustamante:
"Einige der evangelikalen und pfingstkirchlichen Gruppen betrachten uns Katholiken nach wie vor als Teufel. Aber ich habe jetzt mit moderaten Repräsentanten der Pfingstkirchen gesprochen und sie sagten: 'Ja, das müssen wir ändern'. Allerdings erklärte man mir auch, wie schwierig es sei, die einfachen Leute am Land mit ihren Vorurteilen und Ängsten zu erreichen. Wir brauchen noch viel mehr Aufklärung und Gespräche."

"Extra ecclesiam nulla salus"

Die Überzeugung, das Christentum, ja eine bestimmte Richtung des Christentums, vertrete die "einzig wahre Lehre", sei keine Besonderheit moderner Gruppierungen, erläutert Martin Wallraff. Diese Haltung, so der Münchner Professor für Kirchengeschichte, sei so alt wie das christliche Bekenntnis selbst:
"Wenn man es ganz streng nimmt, ist das eigentlich ein Erbe des Judentums. Denn auch das Judentum gehört zu den Religionen, die einen Exklusivitätsanspruch erheben: Das heißt, dass man nicht gleichzeitig Jude sein kann und Anhänger des Mithras, der Kybele, des Serapis oder was auch immer. Das hat das Christentum von Anfang an übernommen. Das heißt, die Entscheidung für das Christentum war immer auch gleichzeitig die Entscheidung gegen alternative und konkurrierende Religionsformen."
Alte biblische Erzählungen schildern sogar drastisch, wie Anhänger anderer Kulte aufgrund ihres Aberglaubens den göttlichen Zorn auf sich zogen.
"Ein wichtiger Meilenstein ist der Kirchenvater Cyprian, von dem die berühmte Formulierung stammt: 'Extra ecclesiam nulla salus' - 'Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil'. Das ist die harte Seite dieser Medaille."

Mission und Kolonialpolitik

Mit einem Wahrheitsanspruch, der Spielraum für andere Religionen ließ, überzeugten syrische beziehungsweise nestorianische Christen im Ersten Jahrtausend große Teile Asiens von ihrem Glauben. Als jedoch ab dem 16. Jahrhundert europäische Missionare mit einem rigiden Alleinvertretungsanspruch Hochreligionen wie den Hinduismus und den Buddhismus provozierten, wuchs der Widerstand. Die anglikanische Religionswissenschaftlerin Elizabeth Harris hat viele Jahre in Indien und Sri Lanka geforscht:
"Christliche Missionare vertraten einst folgende Ideologie: 'Jeder muss zwischen Himmel und Hölle wählen. Nur wer an Christus glaubt, kann gerettet werden. Alle anderen Menschen sind auf ewig verdammt.' - Für jeden, der so dachte, war es ein Frage der Nächstenliebe, alle zum Christentum zu bekehren und zugleich 'Irrlehren' wie den Buddhismus zu zerstören. Weltbilder prallten kompromisslos aufeinander. Und die Asiaten fragten sich zunehmend, wie sie unter dem Imperialismus der Kolonialmächte überleben konnten."
Ein Stich aus dem 19. Jahrhundert zeigt Matteo Ricci mit Paul Ly, einem konvertierten Chinesen
Ein Stich zeigt den Missionar Matteo Ricci. Er war im 17. Jahrhundert eine Schlüsselfigur für die Missionsbestrebungen in China. (imago stock&people)
Die Verknüpfung von Mission und Kolonialpolitik ließ schließlich die Buddhisten Sri Lankas ebenso aufbegehren wie die Hindus in Indien. Zu spät erkannten die Europäer, dass die Glaubenswelten der alten asiatischen Religionen Konkurrenten auf Augenhöhe waren. Ein Enkel Mahatma Gandhis, der Hindu und Friedensaktivist Rajmohan Gandhi erinnert sich:
"Als ich 19 Jahre alt war, habe ich eine Stadt in Südindien besucht. Dort traf ich eine ältere Europäerin: Sie trug einen riesigen Hut und ging ihres Wegs mit einem langen Spazierstock. Als wir uns begegneten, deutete sie mit dem Stock auf meine Nase und fragte: 'Bist Du gerettet?' Ich war nicht wütend, eher amüsiert, bewegt, dass jemand wie diese Frau der Ansicht war, dass ich gerettet werden sollte. Erst viel später habe ich erlebt, dass moderne Christen bereit waren, uns Hindus zuzuhören und den Reichtum der nicht-christlichen Welt kennenzulernen."

Hindu-Nationalismus und politische Gewalt

Rajmohan Gandhis Großvater, Mahatma, ging in die Geschichte ein, weil er im 20. Jahrhundert die Auseinandersetzungen mit der britischen Kolonialmacht gewaltfrei und in spiritueller Offenheit führte. Andere Inder bekämpften die europäischen Eroberer mit Gewalt. Der Historiker Vincent Benedict aus dem Bundesstaat Kerala erzählt:
"Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich bei uns in Indien erstmals Gruppen von fundamentalistischen Hindus gebildet. Das war eine Reaktion auf die britische Besatzung. Diese Gruppen benutzen den Hinduismus, um politisch Macht zu gewinnen. Sie behaupten, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, und wollen einen Hindu-Staat schaffen, in dem alle Nicht-Hindus als minderwertig gelten."
Die Wurzeln der indischen Hindutva-Ideologie - Religion und Nation
Religiöser Nationalismus dominiert mehr und mehr die indische Gesellschaft. Die hindunationalistische BJP regiert das Land mit absoluter Mehrheit. Die dahinterstehende Ideologie heißt: Hindutva.
Der politische Flügel dieser Hindu-Ideologie ist die Partei BJP, die heute in Indien an der Macht ist. Seit ihrem Erstarken kommt es dort immer wieder zu brutalen Übergriffen von Hindu-Extremisten auf christliche und muslimische Minderheiten. Die Ordensfrau Benita hat sie 2008 selbst erlebt:
"In unserem Nachbarstaat Orissa ist Unmenschliches geschehen: Kirchen wurden angezündet und Priester totgeprügelt. Tausende von Christen mussten ihre Dörfer verlassen. Einer Ordensfrau hat man in aller Öffentlichkeit die Kleider vom Leib gerissen und sie vergewaltigt. Das ist unmenschlich, nicht einmal Tiere würden so etwas tun."
Inder, die sich in der Nachfolge Mahatma Gandhis sehen, zeigten sich entsetzt. Zu ihnen zählt Sami Agnivesh. Das größte Problem sei, so der Hindu-Gelehrte, dass Teile des Volks den fundamentalistischen Parolen bis heute blind gehorchten.
"Der Schöpfer hat uns Freiheit gegeben, dass jeder von uns selbst die Wahrheit erkennen kann. Daher gilt: Folge keiner institutionellen Religion blind! Finde deinen eigenen, vom Schöpfer gegebenen Weg! Aber die institutionellen Religionen lehnen genau das ab. Sie meinen, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, und legen dir durch Dogmen im Namen der Religion Fesseln an. So entstehen Fundamentalismus und Gewalt."

"Werden Sie keine Buddhisten!"

In allen Religionen ringen heute verschiedene Strömungen um Mündigkeit, Toleranz und Offenheit. Sie werden attackiert von den jeweiligen Fundamentalisten. In Sri Lanka lehrt Makinda Thera an der Kelaniya-Universität buddhistische Philosophie. Gelegentlich hält er auch Kurse für Gäste aus anderen Ländern und Religionen.
"Buddha hat nach seiner Erleuchtung seinen ersten Schülern gesagt: Versucht, die Wahrheit zu erkennen, und dann helft den Menschen. Alles in der Welt hängt voneinander ab. Wir haben alle Verantwortung füreinander. Ich rate Europäern daher immer: Werden sie keine Buddhisten, aber versuchen sie, unsere Philosophie zu verstehen!"
Fuenf Symbole aus Stein fuer die Weltreligionen Judentum, Christentum, Hinduismus, Islam und Buddhismus stehen im Gegenlicht 
Die Weltreligionen treten immer wieder in den Dialog (Keystone)
Die buddhistische und die christliche Lehre sind füreinander durchaus eine Bereicherung, versichert Lai Pan Chiu. Der Lutheraner ist Dozent an der "Chinese University" in Hongkong:
"In meiner Jugend war auch ich ein evangelikaler, fundamentalistischer Christ. Doch dann habe ich mich bekehrt. Heute liebe ich den buddhistisch-christlichen Dialog. An der Universität befasse ich mich vor allem mit buddhistischer Philosophie. Es ist sehr spannend, den Buddhismus mit dem Christentum zu vergleichen."

"Welche Wahrheiten sieht denn der andere?"

Westlichen Theologen fehle oft der Mut zu unkonventionellen Schritten, meint der anglikanische Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel. Dadurch blockiere sich die Theologie selbst.
"Die Lösung besteht darin, sich ganz eindeutig von der Vorstellung zu verabschieden, es sei wünschenswert, dass alle Menschen dieser Welt Christen werden. In dem Maße, wie Christen erkennen, dass es Gutes, Wahres, Heiliges auch in anderen Religionen gibt, haben Christen überhaupt keinen Grund, nach Abschaffung dieser anderen Religionen zu streben. Die Situation, die wir uns für die Zukunft wünschen, ist, dass Religionen sich gegenseitig anspornen, in ihren Stärken sich weiterzuentwickeln und sich zu fragen: Welche Wahrheiten sieht denn der andere, die mir noch nie in dieser Weise aufgefallen sind?"
Die Basis für einen konstruktiven Dialog zwischen den Religionen findet man seit den 1960er-Jahren in offiziellen Kirchendokumenten. Der Jesuit Felix Körner unterrichtet an der Humboldt-Universität in Berlin "Theologie der Religionen":
"Das Zweite Vatikanische Konzil hat eindeutig gesagt, dass auch Nicht-Christen das Heil erlangen können. Es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt. Auf diesem Weg, der für jeden Menschen ein besonderer ist, ist der interreligiöse Dialog ganz wichtig. Wir können viel voneinander lernen: vom Vorbild der anderen, auch aus dem Unterschied, sogar aus den Missverständnissen. Jede Begegnung von zwei Menschen verschiedener Religion ist Reinigung und Bereicherung - für beide."

Die Differenzen wachsen

Der Weltkirchenrat in Genf griff die Gedanken 1990 in einer Studie auf, an der katholische, orthodoxe und protestantische Theologen beteiligt waren: "Dialog with People of Living Faiths". Darin heißt es:
"Durch das Zeugnis der anderen können wir Christen wahrhaftig Facetten des göttlichen Geheimnisses entdecken, welche wir noch nicht gesehen oder auf die wir noch keine Antwort bekommen haben (…). Wir glauben daher, dass der gemeinsame Weg mit Menschen anderer Glaubensrichtungen uns zu einem volleren Verständnis und zu einer volleren Erfahrung der Wahrheit führt."
Christliche Demonstranten protestieren am 20. Juli 2016 vor der Repulican National Convention in Cleveland Ohio - im Zentrum steht ein junger Mann, sein T-Shirt trägt die Aufschrift "Obey Jesus" - "Gehorche Jesus". Die Plakate drohen unter anderem Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, mit dem Höllenfeuer.
Fundamentalistische Gruppen erheben den alleinigen Wahrheitsanspruch für ihre religiösen Überzeugungen (imago stock&people )
2011 einigten sich schließlich rund 90 Prozent aller christlichen Kirchen weltweit auf ein gemeinsames Dokument, das alle aggressiven Formen der Mission verurteilt. Der Text trägt den Titel "Das Christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt".
Allerdings bleibt noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, denn die positiven Einsichten theologischer Dokumente haben längst nicht überall die breite Basis erreicht. Ganz im Gegenteil. In allen Religionen wachsen derzeit die Differenzen zwischen liberalen, dialogoffenen Kreisen und jenen, die sich mit einem exklusiven Wahrheitsanspruch gewaltsam durchsetzen wollen.

"Wir Muslime müssen diese Herausforderung annehmen"

2017 überfielen im nordägyptischen el-Arish während des Freitagsgebets islamistische Extremisten eine Moschee. Sie gehörten zum IS.
Zeitungsartikel: "Das Terrorkommando fuhr mit vier Geländewagen vor. Die Gewalttäter stürmten ins Innere der Moschee, zündeten mehrere Bomben und nahmen die in Panik Deckung suchenden Gläubigen mit Sturmgewehren unter Feuer."
Mehr als 300 Männer, Frauen und Kinder, überwiegend Anhänger des Sufismus, kamen bei dem Attentat ums Leben. Berichten zufolge riefen die Extremisten bei dem Überfall den Namen Allahs, der im Islam als "absolute Wahrheit" gilt. Das Attentat von el-Arish ist nur eine von unzähligen Gräueltaten, die muslimische Extremisten in den letzten Jahren verübten. Führende islamische Lehreinrichtungen, so auch die ägyptische Universität al-Azhar, haben immer wieder versucht, den Fundamentalismus offiziell in die Schranken zu verweisen:
"Alle bewaffneten Gruppen, die unter dem Deckmantel der Religion Gewalt und Terror anwenden, handeln sündhaft und repräsentieren in keiner Weise den wahren Islam. Unschuldige zu terrorisieren und zu töten, religiöse Werte und Orte zu schänden - all das sind Verbrechen, die wir im Namen des Islam verurteilen."
Islamischer Theologe Mouhanad Khorchide - "Mohammed würde den Islam nicht wiedererkennen"
In seinem Buch "Gottes falsche Anwälte" kritisiert Mouhanad Khorchide das Islamverständnis vieler Muslime. Der Prophet Mohammed habe die Freiheit des Menschen gewollt.
Doch die islamistische Ideologie mit ihrem Wahrheitsanspruch zieht bis heute Zigtausende von Muslimen an. Der jordanische Dozent Amer al-Hafi ist irritiert:
"Wir Muslime müssen diese ideologische Herausforderung annehmen. Natürlich sind politische und wirtschaftliche Faktoren für das Erstarken der Terroristen mitverantwortlich. Aber wir dürfen die Schuld nicht nur auf äußerliche Gründe schieben. Wollen wir die Krankheit des Fundamentalismus bekämpfen, müssen wir sie als inneres Problem des Islams verstehen."

Die Religionen sind innerlich gespalten

Einem aggressiven Fundamentalismus begegnet man heute in allen Religionen. Immer steht er in radikalem Widerspruch zu den Idealen liberaler Religionsvertreter. 2018 haben Papst Franziskus und der Großscheich von al-Azhar, Ahmad al-Tayyib, in Abu Dhabi ein Dokument unterzeichnet, das für internationales Aufsehen sorgte: Es wendet sich an "alle Menschen guten Willens" und ruft die Religionen zu mehr Toleranz und "geschwisterlichem" Verhalten auf.
In dem Bestreben, die Ideale des Textes weltweit bekannt zu machen, arbeiten christliche, muslimische und jüdische Religionsvertreter derzeit mit den Vereinten Nationen zusammen. Für den US-amerikanischen Rabbiner David Rosen steht dabei fest:
"Wir finden heute die tiefsten Spaltungen nicht mehr zwischen den unterschiedlichen Religionen, sondern innerhalb der einzelnen Religionen: zwischen jenen, die sich engstirnig abschotten und jenen, die Andersdenkende schätzen. Keine Religion sollte noch so arrogant sein, zu glauben, dass sie die Wahrheit exklusiv besitzt. Aber wir können einander unterstützen, indem wir die Wahrheit in der jeweils anderen Religion erkennen: Denn Gott ist weit mehr als jede einzelne Religion auszudrücken vermag."