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Der amerikanische Traum

Zwei deutsche Basketballer - Niels Giffey und Enosch Wolf – wurden im Frühjahr US-Collegemeister. Jetzt peilen sie das Fernziel NBA, also die nordamerikanische Basketballprofiliga an, in der auch Dirk Nowitzki spielt. Das Profigeschäft reizt allerdings nicht jeden, der als Student in die USA wechselt. Fußballjugendnationalspieler Hennig Sauerbier etwa verzichtete bewusst auf eine Profi-Karriere, um an der New Yorker Eliteuni Columbia Volkswirtschaft zu studieren. Tore schießt er nur noch nebenbei.

Von Jürgen Kalwa | 12.11.2011
    Das Spiel war zu Ende. Und die 76 000 Zuschauer hatten das überdachte Football-Stadion von Houston verlassen. In dem war kurz zuvor auf einem eigens angelegten Parkettboden die Meisterschaft im amerikanischen College-Basketball entschieden worden. Da kamen die Sieger endlich in ihrem Hotel an und bestiegen mit strahlenden Gesichtern die Bühne, auf der ihr Trainer jeden kurz umarmte. Darunter: Niels Giffey aus Berlin, der mit seiner Videokamera das Publikum filmte. Und Enosch Wolf aus Göttingen, der seine Euphorie in Worte zu fassen versuchte:

    ""Das ist unglaublich. Jeder sollte es irgendwie versuchen, hierher zu schaffen. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Ich bin stolz, Deutscher zu sein.”"

    Stolz. Das war er, auch wenn er, ein baumlanger Kerl von 2,15 Metern zum Erfolg seiner Mannschaft nur wenig beigetragen hatte. Anders etwa als sein Freund Niels Giffey. Im Finale lieferte er starke 24 Minuten mit vier Punkten und sechs Rebounds ab. Die sportliche Entscheidung für den Wechsel nach Connecticut, weg von ALBA Berlin und in die kleine Universitätsstadt Storrs, hatte sich bereits im ersten Jahr als sehr weitsichtig erwiesen.

    Vor ein paar Tagen wurde sie symbolisch noch einmal bestätigt. Da gab es den Meisterschaftsring, der zur Tradition des amerikanischen Collegesports gehört.

    ""Der ist riesig. Fast schon ein bisschen klobig. Silbern. Mit Svarowski-Steinen verziert. An den Seiten ist halt mein Name eingraviert.”"

    Giffey und Wolf sind nicht die einzigen jungen deutschen Basketballer, die in den letzten Jahren in die USA aufgebrochen sind, um ihrem Fernziel, der NBA, ein wenig näherzukommen. Aber sie sind eindeutig die erfolgreichsten. Anders etwa als Nationalspieler wie Lucca Staiger, der nach nur zwei Jahren an der Universität in Iowa frustriert nach Europa zurückkehrte, oder Elias Harris, dem es in Gonzaga im Bundesstaat Washington an hervorragenden Mitspielern mangelt.

    Im Alter von 19 Jahren die richtigen Weichen zu stellen, ist eine Kunst.

    ""Wir hatten Kontakt hergestellt über Videos, die wir zusammengeschnitten hatten. Highlight-Videos. Sowohl Niels als auch ich. Ja, da hat UConn als erste große Uni reagiert drauf, kam dann rüber nach Deutschland um sich Niels und mich und einen dritten Spieler anzugucken.”"

    UConn ist mehr als nur die gängige Abkürzung für University of Connecticut. Es ist ein Zauberwort. Und zwar seit Jim Calhoun, inzwischen 69 Jahre alt, als Trainer amtiert. Seine Studenten gehören zum Besten, was in den Basketball-begeisterten USA aufgeboten wird. Während er jedoch mehr als 2 Millionen Dollar im Jahr verdient, gehen seine Spieler leer aus. Sie haben Kost und Logis frei und brauchen keine Studiengebühren zu bezahlen.

    Es ist dies der schizophrene Ethos eines Amateurbegriffs, der an den US-Universitäten so streng gepflegt wird wie nirgendwo sonst im Sport. Dabei legen die erfolgreichsten Trainer im Basketball nur wenig Wert auf die schulischen Leistungen ihrer Zöglinge. So wurde UConn neulich mit dem Abzug von Stipendien bestraft, weil die Quote jener Spieler, die den Abschluss schaffen, überdurchschnittlich schlecht war. Ein Grund mehr, Abiturienten aus Deutschland zu rekrutieren. Die schaffen das akademische Pensum – wie wollen wir es nennen? – spielend.

    Was fehlt, sagt Giffey:

    ""Man denkt immer, ich war der beste Spieler in meinem Jahrgang in Deutschland. Ich bin selbstbewusst. Aber wenn man hierher kommt, dann sieht man erst mal Leute, die wirklich von sich selbst überzeugt sind. Aber ab einem bestimmten Punkt braucht man das einfach, um einfach Sachen völlig ausschalten zu können. 12.000 Leute schauen dir zu.”"

    Es gibt aber auch ganz andere Karrieren. Wie die des ehemaligen U-17-Nationalspielers Hennig Sauerbier aus Düren, Mitglied der Generation Tony Kroos, der im Nachwuchs von Bayer Leverkusen groß wurde. Den Stürmer zog es vor mehr als einem Jahr ebenfalls in die USA. Aber nicht, weil er Profi werden wollte. Im Gegenteil. Er hatte keine Lust auf das Abenteuer Bundesliga. Statt dessen ging er an die Columbia University – Mitglied der Ivy League und eine der Urmütter des amerikanischen Collegesports. Hier vergibt man keine Stipendien an Sportler. Und Studenten werden danach ausgesucht, ob sie etwas auf dem Kasten haben. Es bewerben sich an der New Yorker Elite-Hochschule pro Jahr etwa 400 Deutsche. Angenommen werden allenfalls vier.

    ""Ich habe einfach gesehen, wie hart es ist und dass ein gewisses Restrisko besteht. Ich hatte immer einen großen Fokus aufs Akademische. Mein Abitur war dementsprechend sehr gut. Es war für mich die Frage, gehe ich dieses Risiko ein und ende nachher mit Mitte 20 irgendwo, wo ich mir das nicht gewünscht hätte. Ich hatte halt nicht diese Perspektive, dass es in einem oder zwei Jahren geklappt hätte. Ich denke, die Columbia ist eine der besten Unis der Welt. Und da kann man nicht viel falsch machen.”"

    Sauerbier studiert Volkswirtschaft. Aber nährt zumindest die Hoffnungen von Trainer Kevin Anderson, dass seine Mannschaft die Erwartungen erfüllt, die man in sie setzt. Sie hat durchaus das Zeug, amerikanischer Collegemeister zu werden. Wahrscheinlich nicht in diesem Jahr. Aber das ficht Anderson nicht an.

    ""Keine Universität hat fertige Spieler. Sie müssen noch lernen. Sicher, wir wollen gewinnen. Aber wir wollen vor allem gewährleisten, dass sie bessere Spieler und bessere Menschen werden.”"