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Der Anfang vom Ende

Er gilt als einer der umstrittensten Politiker der Weimarer Republik: Heinrich Brüning, deutscher Reichskanzler von 1930 bis 1932. Mit seiner Kanzlerschaft begann die Ära der Präsidialkabinette, an deren Ende die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler stand.

Von Christian Berndt | 30.03.2005
    Zunächst sieht es nach einem ganz normalen Regierungswechsel aus. Zwölf Minister der Großen Koalition aus SPD, Zentrum und den bürgerlichen Mittelparteien, die drei Tage zuvor am Streit um die Haushaltssanierung auseinandergebrochen ist, werden in die neue Regierung übernommen.

    Tatsächlich aber bedeutet der Rücktritt des sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller und die Bildung einer bürgerlich-konservativen Minderheitsregierung unter Heinrich Brüning am 30. März 1930 einen Systemwechsel. Reichspräsident Paul von Hindenburg und seine Umgebung wünschen eine autoritäre Regierung ohne parlamentarische Bindung - und ohne Sozialdemokraten. Nach einem Plan von General Kurt von Schleicher soll sich die neue Regierung nur auf Notverordnungen des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Verfassung stützen. Der konservative Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei Brüning steht bereit, will aber zunächst keine völlige Ausschaltung des Parlaments. Er verspricht im Reichstag:

    "..dass möglichst wenig vom Artikel 48 überhaupt Gebrauch gemacht wird. Dass bei gutem Willen und vollem Verantwortungsbewusstsein es der gemeinsamen Arbeit von Reichsregierung und Reichstag möglich sein muss, auf parlamentarischem Wege die schweren gesetzgeberischen Maßnahmen zu lösen."

    Doch als im Juli 1930 die Notverordnungen zur Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen im Parlament abgelehnt werden, nutzt Brüning seine Vollmachten, ohne zu zögern. Mit Verordnung des Reichspräsidenten löst er den Reichstag auf und setzt Neuwahlen fest.

    Das Ergebnis der Reichstagswahlen im September 1930 bedeutet eine Katastrophe. Die NSDAP wird zweitstärkste Partei und macht den Reichstag nun zur Bühne ihrer Propaganda.

    Mittlerweile gibt es vier Millionen Arbeitslose in Deutschland, und die Konjunktur befindet sich im freien Fall. Trotzdem hält die Regierung Brüning strikt an ihrer rigiden Sparpolitik fest - und wird dabei ausgerechnet von der SPD toleriert. Die Sozialdemokraten befürchten bei einem Sturz Brünings die Diktatur, müssen aber gleichzeitig vor ihren Wählern die sozial kaum erträgliche Deflationspolitik verantworten. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Breitscheid, benennt das Dilemma im Reichstag.

    "Wir haben das Kabinett Brüning nicht geduldet, weil wir glauben, dass Brüning und seine Regierung die Leute seien, die im sozialistischen Sinne die Not und das Elend in Deutschland beseitigen könnten, sondern weil wir die Staatsform, in der wir leben, schützen wollten gegen die Angriffe der Faschisten."

    Als sich 1931 die Krise verschärft, kommt Brüning zu der Überzeugung, dass nur ein Ende der Reparationen Besserung bringen kann. Um den Siegermächten des Weltkriegs klar zu machen, dass Deutschland nicht imstande sei, weitere Zahlungen zu leisten, nimmt er die Zuspitzung der Krise in Kauf. Als "Hungerkanzler" beschimpft, steht Brüning jetzt im Sperrfeuer der Kritik. Aber er verlässt sich weiter auf das Vertrauen des Reichspräsidenten und stilisiert sich selbst zum einsamen Kämpfer:

    "Ich lasse mich lieber, meine Damen und Herren, als Vaterlandsverräter und alles mögliche beschimpfen, als nur einen Augenblick die Nerven zu verlieren, um von dem Wege, den ich mir vorgenommen habe, abzuweichen."

    Brünings Popularität sinkt, entscheidender aber ist, dass Hindenburg ihm die Tolerierung durch die SPD verübelt und von ihm abrückt. Brüning versucht, die Unterstützung der NSDAP zu gewinnen und bietet Hitler - den er fatal unterschätzt - Koalitionen in den Ländern an, aber vergebens. Hitler will die ganze Macht. Als sich im Frühjahr 1932 in Hindenburgs Umgebung die Meinung durchsetzt, Brüning stehe der Bildung einer Rechtsregierung im Wege, wird er von Kanzlermacher Schleicher gestürzt.

    Mit dem Rücktritt Brünings am 30. Mai 1932 endet die Phase der gemäßigten Präsidialkabinette. Brüning hat durch seine Strategie, einzig auf das Vertrauen des Reichspräsidenten zu setzen, selbst seinen Sturz provoziert. Zu retten war die Republik mit dieser Taktik nicht. Was folgt, sind die Präsidialkabinette Franz von Papens, der Hitler für seine konservativen Restaurationspläne einspannen will, und Schleichers, der im letzten Moment versucht aufzuhalten, was er selbst heraufbeschworen hat. Sieger in diesem gefährlichen Spiel ist am Ende nur einer: Adolf Hitler.