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Der Anfang vom Ende des Assad-Regimes

Das Attentat auf die syrische Militärführung hat nach Ansicht des ARD-Korrespondenten in Amman, Jens Wiening, die Karten in dem Konflikt neu gemischt. Die Opposition habe gezeigt, dass sie in der Lage sei, bis in den inneren Führungsapparat vorzudringen. Für Verhandlungen, geschweige denn einen Waffenstillstand gebe es nun keine Grundlage mehr.

Jens Wiening im Gespräch mit Bettina Klein | 19.07.2012
    Bettina Klein: Attentat auf die syrische Militärführung gestern, drei Todesopfer - ein dramatischer Tag in Damaskus und alle Welt rätselt, ob dies nun einen Wendepunkt markiert, hin zu einem Ende des Machtkampfes, einem Ende des Regimes, oder zunächst jedenfalls zu einer weiteren Eskalation. Der Kollege Jens Wiening beobachtet die Situation in Syrien. Wonach sieht es im Augenblick aus Ihrer Meinung nach?

    Jens Wiening: Ich glaube, dass das gestern der Beginn vom Ende dieses Regimes war. Was da gestern passiert ist, damit hat niemand gerechnet. Es war unvorstellbar, als diese Meldungen kamen, dass drei dieser Mitglieder dieses Kabinetts und der Regierungsmannschaft ums Leben gekommen sind. Das macht klar, dass dieser Regierungsapparat verwundbar ist. Präsident Assad hätte möglicherweise selbst an diesem Treffen teilnehmen sollen, gab es Gerüchte. Das heißt, er hätte selbst Opfer dieses Anschlags werden können, dann wäre es vorbei gewesen mit diesem Regime. Die Antworten sind heftig: Es gab gestern und vergangene Nacht wieder heftige Kämpfe in Damaskus. Augenzeugen berichten, dass Kampfhubschrauber wieder eingesetzt wurden gegen die Rebellen. Es soll heftige Kämpfe gegeben haben, die Bevölkerung soll zum Teil auf der Flucht sein, andere sitzen offenbar in ihren Häusern fest und das ist offenbar erst der Auftakt der Racheakte seitens der syrischen Regierung.

    Klein: Ist erkennbar, welche Strategie das Assad-Regime jetzt verfolgen wird?

    Wiening: Ich glaube, sie wird einfach versuchen, mit aller Macht die Kontrolle wieder zurück über Damaskus zu gewinnen, und das heißt, mit aller Macht und Kraft vorzugehen gegen die Rebellen, die sich dort versteckt halten, die gegen das syrische Militär kämpfen. Militärisch sind die Rebellen eigentlich nicht in der Lage, das Militär zu besiegen, dafür ist das Militär zu groß und zu stark. Dieser Anschlag von gestern hat aber die Karten neu gemischt, weil er gezeigt hat, dass die Opposition in der Lage ist, bis in den inneren Führungsapparat vorzudringen und allen Leuten dort klarzumachen, die dort arbeiten, die dort sitzen, ihr seid auch gefährdet, ihr könnt auch Opfer von solchen Anschlägen werden. Die Angst greift um sich, Präsident Assad hat seinen Schwager verloren, das dürfte ihn persönlich noch einmal treffen, und er wird vielleicht für die nächsten Tage oder Wochen noch etwas Ruhe herstellen können in Damaskus, aber mittel- oder langfristig wird er das nicht durchhalten können.

    Klein: Dennoch sagen Sie, trotz dieser Eskalation, wie Sie gerade noch mal betonten, das ist wahrscheinlich der Anfang vom Ende des Assad-Regimes. Wagen Sie eine Prognose, wie das dann ausgehen wird? Wird sozusagen die Opposition innerhalb des inneren Zirkels der Macht stärker werden und eventuell weitere solcher Anschläge versuchen?

    Wiening: Die Rebellen haben bereits gesagt, das war erst der Auftakt einer Serie, und sie hatten vorgestern gesagt, einen Tag vor diesem Anschlag, dass etwas Überraschendes passieren werde. Niemand wusste, was damit gemeint war; seit gestern wissen wir, was damit gemeint war. Und wenn das so weitergeht, dann werden beide Konfliktparteien weiter mit Gewalt aufeinander zusteuern. Offenbar haben sie sich entschieden, diesen Konflikt jetzt auszutragen, mit Gewalt, und egal was im Moment zum Beispiel in New York passiert, wo die UNO ja über Resolutionen berät: Ich glaube nicht, dass sich die beiden Konfliktparteien davon noch irgendwie beeinflussen lassen. Sie werden diesen Konflikt entscheiden wollen, mit Gewalt, und die Zivilbevölkerung wird dem Ganzen irgendwie zum Opfer fallen.

    Klein: UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon ist heute schon damit zitiert worden, dass er dieses Attentat gestern ausdrücklich verurteilt hat. Gleichzeitig muss man sagen, im Weltsicherheitsrat ist jetzt nicht so viel passiert, das tatsächlich zu einer Veränderung der Lage in Syrien hätte beitragen können. Das heißt, wie Sie gerade angedeutet haben, die Oppositionellen, die Rebellen nehmen das im Prinzip selbst in die Hand und werden da jetzt bis zum Ende bomben, oder wie?

    Wiening: Ja. Sie haben monatelang auf Hilfe von außen gewartet, die ist nicht gekommen, Russland und China haben immer im UNO-Sicherheitsrat alles blockiert, was dort an Resolutionen hätte kommen können. Jetzt nehmen sie das selbst in die Hand. Sie sind besser bewaffnet, als sie das je waren. Es reicht militärisch noch nicht, aber sie waren zum Beispiel in der Lage, vorgestern einen Kampfhubschrauber abzuschießen. Und jetzt drängen sie auf die Entscheidung, egal was in New York passiert. Sie sind auch nicht mehr gesprächsbereit. Ich sehe im Moment keine Grundlage mehr dafür, dass es überhaupt noch Verhandlungen geben kann zwischen diesen Konfliktparteien, geschweige denn einen Waffenstillstand. An Friedensverhandlungen mag ich gar nicht denken im Moment.

    Klein: Eindrücke von der Lage in Syrien vom Kollegen Jens Wiening. Ganz herzlichen Dank dafür.