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Der Arabische Frühling macht Riad Angst

Der Fall Raif Badawi ist symptomatisch für die Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit im Königreich. Badawi wurde letzten Sommer wegen Veröffentlichungen im Internet verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, auf seiner Facebook-Seite und seiner Internetpräsenz den Islam beleidigt zu haben.

Von Mona Naggar | 27.04.2013
    Über Facebook hält Insaf Haidar die Öffentlichkeit auf dem Laufenden. Die Ehefrau des im saudi-arabischen Jeddah inhaftierten Onlineaktivisten Raif Badawi informiert ihre Leser über die jüngsten Solidaritätsaktionen oder die neusten Entwicklungen im Fall ihres Mannes:

    "Wie das Gerichtsverfahren gegen meinen Mann weiterlaufen wird, ist unklar. Das Strafgericht hat das Verfahren an das Kassationsgericht verwiesen. Ich habe kein Vertrauen in die saudi-arabische Justiz. Ein Richter, der am Verfahren beteiligt war, hatte ein Pamphlet mitunterschrieben, in dem er Raif beschuldigt vom Islam abgefallen zu sein. Wir wissen, nicht ob mein Mann auch des Abfalls vom Glauben beschuldigt wird oder nicht."

    Seit Juni letzten Jahres befindet sich Raif Badawi in Haft. Die Staatsanwaltschaft in Jeddah beschuldigt den 29-Jährigen gegen das Online-Gesetz verstoßen zu haben. Auf der Website "Liberale Saudi Arabier", die Badawi gegründet hat, sollen Inhalte veröffentlicht worden sein, die den Islam beleidigt haben und religiöse Würdenträger lächerlich gemacht haben sollen. Ein Beispiel für die Argumentation der Behörden ist Badawis Artikel über den Valentinstag. Darin gratuliert er den Völkern der Erde zum Fest der Liebe und den Menschen in Saudi Arabien zur Tugend, die vom Amt für religiöse Angelegenheiten eisern bewacht wird und dafür sorgt, dass die Menschen ins Paradies eingehen. Diese sarkastische Bemerkung wird von der Staatsanwaltschaft als Beleidigung islamischer Symbole interpretiert. Im Falle einer Verurteilung erwarten Badawi fünf Jahre Haft und eine hohe Geldstrafe. Wenn der Aktivist allerdings auch des Abfalls vom Glauben angeklagt wird, dann droht ihm die Todesstrafe.

    Der Fall Raif Badawi ist kein Einzelfall in Saudi Arabien. Der junge Journalist Hamza Kashgari sitzt seit über einem Jahr im Gefängnis, wegen angeblicher Beleidigung des Propheten Mohamed. Der 60-jährige Schriftsteller Turki Al-Hamad ist seit Ende letzten Jahres in Haft. Er soll sich über Twitter kritisch gegenüber dem Islam und dem Königshaus geäußert haben. Das arabische Netzwerk für Informationen über Menschenrechte stellt in ihrem jüngsten Bericht eine rapide Verschlechterung der Meinungsfreiheit im Königreich fest. Mohamed Shehada vom Arabischen Netzwerk in Kairo:

    "Nach dem Arabischen Frühling haben die Herrscher in Riad offenbar Angst um ihre Macht. In der arabischen Welt ist Saudi Arabien der Staat, der am meisten Websites sperren lässt. Auch gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Gesetzen und Dekreten, die dem Informationsministerium und andere Behörden immer mehr Vollmachten in die Hände gegeben haben. Parallel dazu erleben wir eine rasante Entwicklung des Internets in Saudi Arabien. Viele wissen Twitter, Youtube und Facebook gut zu nutzen. Mehr Rechte für Frauen, für die schiitische Minderheit im Osten des Landes oder Solidarität mit den politischen Gefangenen – diese Themen werden in den sozialen Netzwerken debattiert. Aber die Behörden reagieren erbarmungslos."

    Ein Beispiel ist die Journalistin Iman Al Qahtani. Über Twitter berichtete sie regelmäßig über die Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Vereinigung für zivile und politische Rechte in Saudi Arabien. Über 70.000 folgten Al Qahtanis Einträge. Anfang April machte die Journalistin ihren letzten Tweet. Den Druck, den die Behörden gegen sie ausübten, der auch vor ihrer Familie nicht haltmachte, wurde zu groß.

    In Saudi Arabien regiert ein absolutistisches Königshaus in Allianz mit islamischen Gelehrten, die eine fundamentalistische Richtung des Islam vertreten. Nennenswerte politische Reformen gab es in den letzten Jahrzehnten nicht. Das Internet ist trotz Zensur für viele Saudi Arabier die einzige Möglichkeit ihre Meinung öffentlich zu machen. Fast die Hälfte der 28 Millionen Einwohner des Königreiches sind online. Aber die Aktivisten, die sich kritisch gegenüber ihrer Gesellschaft äußern, müssen nicht nur die Willkür der Behörden im Land fürchten. Insaf Haidar, die Frau des inhaftierten Raif Badawi, berichtet von starkem sozialen Druck:

    "Weil mein Mann liberale Ansichten vertritt, die meine Familie ablehnt, hat sie bei Gericht eine Klage auf Zwangsscheidung eingereicht. Auch die Familie meines Mannes machen Probleme. Bei Gericht klagen sie auf das Sorgerecht unserer Kinder, damit sie, wie sie sagt, in einer islamischen Umgebung aufwachsen."

    Insaf Haidar hat Saudi Arabien verlassen. Von Beirut aus verfolgt sie das Gerichtsverfahren gegen ihren Mann.