Mittwoch, 24. April 2024

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Der Arzt Alois Alzheimer
Schneeglöckchen gegen Alzheimer

Alois Alzheimer sei als Assistenzarzt an der Anstalt für Irre und Epileptische in Frankfurt "immer auf der Suche nach Krankheit" gewesen, sagte sein Biograf Konrad Maurer im DLF. Von Geisteskrankheiten habe Alzheimer nie sprechen wollen. Am Ende eines Schicksalsjahres habe Alzheimer eine besondere Form des Vergessens entdeckt.

14.06.2014
    Büste von Alois Alzheimer
    Büste des Hirnforschers Alois Alzheimer (dpa / picture alliance / Werner Baum)
    Thielko Grieß: Anfang des vergangenen Jahrhunderts – ein Arzt führt mit einer Patientin ein Gespräch, und er findet dessen Verlauf dann so sonderbar, dass er es im Nachhinein genau protokolliert. Und dieses Protokoll ist erhalten. Beim Lesen wird deutlich, der Patientin fehlt es an Orientierung.
    Die Patientin trug den Namen Auguste Deter, und der protokollierende Arzt hieß Alois Alzheimer. Dessen Nachname ist heute weltweit ein Synonym für die Krankheit, die Vergesslichkeit und Desorientierung mit sich bringt. Bei Alzheimer werden manche Gehirnregionen ausgedünnt und Eiweißplaque überzieht die Nervenzellen. Alois Alzheimer wurde heute vor 150 Jahren in Marktbreit in Franken geboren. Über ihn war lange Zeit wenig bekannt, bis Konrad Maurer, selbst Mediziner, die Akte über ihn wiederfand, die er auch mit geschrieben hatte. Und eine Biografie hat er dann verfasst über Alois Alzheimer. Konrad Maurer, emeritierter Professor und Chef der Psychiatrie an der Uniklinik in Frankfurt am Main – den haben wir vor dieser Sendung angerufen und ihn als erstes gefragt: Weshalb hat Alois Alzheimer die Patientin Auguste Deter und das Gespräch mit ihr als so sonderbar empfunden?
    "Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten"
    Konrad Maurer: Ja, es ist so, dass der Alois Alzheimer, der war ja damals Assistenzarzt an der Anstalt für Irre und Epileptische in Frankfurt. Und er war eigentlich immer auf der Suche nach Krankheit – er wollte belegen, dass psychische Krankheiten auch ein entsprechendes Korrelat im Gehirn haben. Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten, das war sein Motto.
    Grieß: Und was war bis dahin die gängige Schule? Geisteskrankheiten gehen worauf zurück, wenn man sich in die Zeit zurückversetzt?
    Maurer: Geisteskrankheiten – bei der progressiven Paralyse, später bei der Syphilis hat man sogar vermutet, dass die Lebenshaltung, wie man sich benommen, was man gegessen und getrunken hat, wie man sich verhalten hat. Das gab auch eine Hypothese, dass ein schlechter Lebenswandel eben auch zu diesen Erkrankungen führen kann. Ansonsten war es weitgehend unklar. Und man hat es manchmal auch bösen Geistern zugeschrieben. Aber Alzheimer war immer überzeugt, das Gehirn, das ist die Zentrale, und da muss sich das finden, die Ursache der psychischen Erkrankungen.
    Grieß: Und er hat durch ein Mikroskop geschaut und sich Ausschnitte aus dem Gehirn der Patientin nach deren Tod angeschaut. Das hat gereicht damals?
    Maurer: Es ist so, dass das dann sozusagen sein erster Fall gewesen ist. Wenn Sie die Geschichte genau kennen wollen: Die fing ja im November 1901 an. Und da war die Symptomatik dieser Auguste Deter in der Mörfelder Landstraße 64 in Frankfurt aufgetreten. Dieses Haus steht immer noch, und da wurde die Auguste D. – wohlgemerkt, Deter, das haben wir erst später oder ich erst später herausgefunden aufgrund des Aktenfundes – Auguste D. war sehr auffällig geworden, und zwar, Eisenbahnkanzlistenfrau, also der Mann war Eisenbahnbeamter und sie war eigentlich so eine ganz ordentliche Hausfrau. Plötzlich fing die an zu schreien und zu toben, rannte durch die Mörfelder Landstraße, betätigte die Klingeln und schrie, die da drüben, und wurde eifersüchtig auf die Nachbarin, denn sie wähnte, ihr Mann, wohlgemerkt ein Eisenbahnbeamter hätte was mit der Nachbarin. Und dann wurde sie vergesslich.
    Folgendes Protokoll legte Alzheimer über ein Gespräch mit Auguste Deter an:

    "Wie heißen Sie?"
    "Auguste."
    "Familienname?"
    "Auguste."
    "Wie heißt ihr Mann?"
    "Ich glaube... Auguste."
    "Ihr Mann?"
    "Ach so."
    "Wie alt sind Sie?"
    "51."
    "Und wo wohnen Sie?"
    "Ach, Sie waren doch schon bei uns."
    "Sind Sie verheiratet?"
    "Ach, ich bin doch so verwirrt."
    "Wo sind Sie hier?"
    "Hier und überall, hier und jetzt, Sie dürfen mir nichts übel nehmen."
    "Wo sind Sie hier?"
    "Da werden wir noch wohnen."
    "Wo ist Ihr Bett?"
    "Wo soll es sein?"
    Grieß: Und dann sind diese Akten, sind diese Protokolle verschwunden, und Sie haben sie wiedergefunden im Keller der Universitätsklinik für Psychiatrie in Frankfurt am Main, 1995 wiedergefunden. In was für einem Zustand waren diese Akten damals?
    Maurer: Also diese Akte, wenn ich es jetzt direkt beantworte, war in einem glänzenden Zustand. Wir hatten soeben, am 19. Dezember 1995, das Geburtshaus eingeweiht, die Firma Lilly hat das Geburtshaus erworben, meine Frau hat es völlig neu gestaltet, auch mit Originalgegenständen versehen. Wir hatten die deutschen Ordinarien eingelesen, und wir waren auf der Rückreise von Marktbreit nach Frankfurt, und ich sag zu zwei Kollegen, Oberärzten: So, jetzt gehen wir in den Keller, jetzt wollen wir's wissen, und jetzt müssen wir die Akte finden. Und siehe da, wir haben die Akte dann auch tatsächlich gefunden, und sie lag dann in einer Ecke, unter anderen Akten, himmelblau und wie, wenn sie noch nie jemand berührt hätte – hat ja immerhin zwei Weltkriege überstanden – und dann waren wir natürlich die glücklichen Finder dieser Akte und haben sie dann auch anschließend im "Lancet" veröffentlicht.
    Starke Zunahme an Alzheimer
    Grieß: Das war 1998, das ist auch inzwischen schon einige Jahre her, Herr Maurer. Was ist denn an Kenntnis über Alzheimers Leben seitdem dazu gekommen?
    Maurer: Also über sein Leben – wir haben die Biografie geschrieben Ende des Jahrtausends dann. Und da steht eigentlich alles drin, denn die Vita, wissen Sie, das Leben und diese Krankheitsbezeichnung, die ist gut dokumentiert. Viel wichtiger ist natürlich, dass man in der Krankheitserforschung weiter kommt. Es gibt ja zum Beispiel folgende Berechnung: Wir haben etwa 300.000 (Patienten) Zunahme an Demenz hier in Deutschland pro Jahr. Das muss man sich mal vorstellen. Und wenn man jetzt die ganze Welt mal ausrechnet, China und Indien mitgerechnet, dann dürften wir ja 2100, das kann man ja schon bald im Kopf ausrechnen, hätten wir so viele Alzheimer-Kranke wie Europa Einwohner. Und da muss ich sagen, da wird es natürlich höchste Zeit, dass man auch eine Therapie findet.
    Grieß: Und die ist noch nicht in Aussicht.
    Maurer: Es gibt natürlich Therapieformen, und zwar die unmittelbare Behandlung dieses Defizits an Acetylcholin – das ist vielleicht etwas kompliziert –, also der Neurotransmitter des Gedächtnisses und des Denkens, und das lässt sich von dem Schneeglöckchen herleiten, Galantis Nivalis.
    "Alzheimer hat das Leben geliebt"
    Grieß: Der Wirkstoff aus dem Schneeglöckchen.
    Maurer: Der Wirkstoff Galantis Nivalis kommt vom Schneeglöckchen. Und dann kann man das Gedächtnis und überhaupt die Symptome der frühen Form verbessern und immerhin also eineinhalb bis zwei Jahre oft – ich habe viele Patienten gehabt mit Beginn dieser Alzheimer-Krankheit, die konnten dann auch wieder in den Beruf gehen. Es gibt eine Behandlung, die hält nur nicht so lange an, und auch in Anbetracht der Zahlen, der steigenden Krankheitszahlen, brauchen wir unbedingt eine Therapieform, die das Krankheitsbild entweder gar nicht entstehen lässt, oder dass es dann zum Abbruch der Erkrankung, zur Beendigung der Erkrankung kommt und zu einer besseren Lebensführungsmöglichkeit.
    Grieß: Kehren wir abschließend, Herr Maurer, noch einmal kurz zu Alois Alzheimer zurück, zu ihm als Person, als Mensch. Wir haben viel gehört über seine Arbeit als Mediziner. Was war er ansonsten für ein Mensch?
    Maurer: Er war zunächst mal ein Unterfranke – das ist vielleicht ganz wichtig, weil viele denken, oh Gott, so ein bekannter Name, der kommt sonst wo her –, er kommt tatsächlich aus Unterfranken. Er war ein strebsamer Mensch, hat aber auch das Leben geliebt. War übrigens in der Verbindung Franconia in Würzburg, schlagende Verbindung. Er hat ja dann auch sich nur noch von einer Seite fotografieren lassen können, weil er dann schon einen ganz netten Schmiss hatte. Auf der anderen Seite war er ein lebenslustiger Student, hat dann aber begriffen, wo es lang geht, und glücklicherweise hat er sich in Frankfurt beworben. Und dann muss man auch sagen, 1901 war sein Schicksalsjahr, seine Frau, die Cäcilie, ist verstorben, und im November hat er dann die Auguste aufgenommen, und dann hat sich der ganze Lebensfaden und die Entwicklung dieser Erkrankung hat sich dann so langsam, der fing an, so langsam sich aufzurollen, und 1906 hat es dann seine Definition gefunden als Alzheimersche Krankheit.
    Grieß: Konrad Maurer war das, Biograf Alois Alzheimers. Der Mediziner wurde heute vor 150 Jahren in Unterfranken geboren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.