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Der Autismus fundamentalistischer Konzepte

In den Bildern der Bibel wird das Paradies als Garten dargestellt, als Garten Eden. Gott selbst erscheint in der Figur eines Gärtners, der seine Schöpfung pflegt, sich um ihr Gedeihen sorgt. In der Szenerie eines Gartens spielt auch der Roman des holländischen, hierzulande noch wenig bekannten Schriftstellers Jan Sibelink, Jahrgang 1938, mit dem bezeichnenden Titel "Der Garten des Vaters".

Von Ursula März | 28.04.2008
    Hans Sieves, der Protagonist der Geschichte, bewirtschaft in dem Örtchen Velp bei Arnheim eine kleine Blumengärtnerei und es sieht aus, als hätten sich in dieser Idylle alle seine Jugend- und Lebensträume erfüllt. Nichts wünschte er sich sehnlicher als einen eigenen kleinen Betrieb, nichts sehnlicher als die Liebe seiner Schulfreundin Margje. Beides hat er bekommen. Aber die Idylle wird - auch darin lehnt sich der Roman an die christliche Symbolik - vom Verführer, vom Teufel in menschlicher Gestalt heimgesucht, und Hans Sieves kann ihm nicht widerstehen. Er ist das Opfer einer fundamentalistischen Sekte von Calvinisten, die mitten im 20. Jahrhundert in ketzerischer Opposition zur offiziellen reformierten Kirche in einer Art Geheimbund ihr Unwesen treibt.

    Merkwürdige, mit allen literarischen Attributen der Scheußlichkeit ausgestattete Gestalten, Vagabunden von undurchsichtiger Existenz sind es, die über Jahre und Jahrzehnte immer wieder in den Garten eindringen, den sensiblen gutmütigen Hans Sievez in den Bann von Ekel und Faszination und in die Schrecken der Kindheit ziehen. Denn seine Erziehung spielte sich im Schatten dieser Sekte ab. Hans Sievez` Vater gehörte ihr an. Der Roman porträtiert den Vater als Inbild des kalten brutalen Patriarchen, der seine Familie mit Prügeln, Strafen, Verboten drangsaliert. Hans flieht als Jugendlicher aus seinem Elternhaus, geht nach Den Haag, beginnt eine Lehre als Gärtner. Als er nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Betrieb aufbaut, heiratet, Kinder bekommt, scheint er der Herkunft und der Sekte entkommen zu sein. Aber er ist es nicht. Denn er kann sich selbst nicht entkommen.

    Das furchtbare Wechselspiel aus religiöser Hörigkeit und religiöser Tyrannei, aus Demut und Aggression hat ihn für immer geprägt. Anfallartig wird Hans Sievez zum cholerischen Prügler, einmal beinahe zum Mörder. Anfallartig zieht es ihn zu den Treffen der Calvinisten. Der Garten wird mehr und mehr ein Abbild des Gefängnisses, in dem sich das seelische und geistige Leben des Mannes abspielt. Diesen klaustrophobischen Prozess fundamentalistischer Versessenheit formt die Erzählung konsequent nach. Von Kapitel zu Kapitel schwindet der Kontakt zwischen dem Mikrokosmos der Gärtnerei und der Außenwelt. So ist der gesellschaftliche und historische Kontext des Romans, der das Schicksal von Hans Sievez bis in die 70er Jahre verfolgt, kaum sichtbar und allenfalls ahnbar, beispielsweise durch den Bau eines Wellness-Bades neben der Gärtnerei. Die Zeit scheint in diesem Roman trotz seiner chronologischen Dramaturgie beängstigend und bedrohlich still zu stehen.

    Der Autismus fundamentalistischer Konzepte - das ist das Thema des "Garten des Vaters", und dieses Thema ist unübersehbar, zumal in Holland, brandaktuell. Obwohl Jan Siebelink aus einer Epoche holländischer Geschichte erzählt, in der Islamismus noch keine Rolle spielte, ist der Stoff seines neuesten Romans leicht auf die Gegenwart zu übertragen. "Der Garten des Vaters" überzeugt als düstere, detaillierte Studie einer Fallgeschichte, in der ein Mensch in die Fänge paranoider Ideen gerät. Eines Menschen, der seiner Verstrickung zusieht und sich doch nicht aus ihr lösen kann. Es ist zugleich eine Studie über die Ohnmacht der Aufklärung mitten in der Moderne. In Holland wurde der Roman zum Bestseller, das heißt: Seine dringliche Botschaft wurde verstanden.

    Jan Sieblink: "Im Garten des Vaters". Roman. Aus dem Niederländischen von Bettina Bach. Arche Literatur Verlag Zürich, 2007