Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Der Ball ist flach

Im Nanokosmos gelten eigene Gesetze. Wer winzige Maschinen baut, die nur Bruchteile einer Haaresbreite messen, muss diese Regeln beherzigen. Welche technologischen Strategien für Nanoroboter Erfolg versprechen, erproben Grundlagenforscher seit Jahren. Im Juli 2009 vergleichen sie die Fertigkeiten ihrer Hightech-Winzlinge erstmals bei einem internationalen Wettbewerb. Nanosoccer heißt die neue Sportart.

Von Ralf Krauter | 12.07.2009
    Schön abgespielt zu Kotschitz. Jetzt Gefahr! Schuss! Auf der Torlinie gerettet! Nachschuss müsste kommen! Noch einmal auf der Torlinie gerettet! Das erste mal Posipan, das zweite Mal Kohlmeier, aber die Ungarn bleiben im Ballbesitz…

    Man stelle sich das Wankdorfstadion vor, in dem 1954 das Wunder von Bern seinen Lauf nahm. Und dann stelle man sich vor, dass grüne Spielfeld würde allmählich zusammenschrumpfen.

    Bei Verkleinerung um einen Faktor 100, wäre es immer noch rund einen Meter lang. Die erneute Verkleinerung um das Hundertfache liefert ein Spielfeld im Zentimeter-Maßstab. Schrumpft man dieses noch einmal auf ein Fünftel seiner Größe, erhält man ein Spielfeld mit 2 Millimetern Seitenlänge.

    Zwei mal zwei Millimeter, das ist die Arena für den skurrilsten Ball-Wettbewerb unserer Tage: Das internationale Kräftemessen kickender Nanoroboter, ausgetragen vergangene Woche im österreichischen Graz. Gespielt wird unter dem Mikroskop, auf einem silbern glänzenden Siliziumchip. 300 mal 300 Mikrometer dürfen die winzigen Kicker laut Reglement messen, soviel wie der Punkt am Ende eines Zeitungsartikels.

    "We had the first competition in Atlanta in 2007."

    Craig McGray, der Mann, der den Wettstreit der Winzlinge ins Leben gerufen hat, arbeitet am Institut für Standards und Technologie der USA in Gaithersburg. Maschinen im Staubkornformat sind sein Spezialgebiet. 2006 begann er zu überlegen, wie man die Grundlagenforschung auf dem Gebiet voran treiben könnte. Der Robocup, die alljährliche Fußball-Weltmeisterschaft der Roboter schien ihm die ideale Plattform dafür.

    "Die Technologie, um Roboter mit Abmessungen in der Größe einer Haaresbreite zu bauen, ist so neu, dass sie einer Art schwarzer Magie ähnelt. Nur eine Handvoll Forscher beherrschen sie. Wir dachten uns: Um den Übergang zu komplexeren und robusteren Systemen zu beschleunigen, wäre es hilfreich, eine eigene Liga bei diesem Fußball-Wettbewerb ins Leben zu rufen."

    Weil die Abmessungen der kleinsten Roboter der Welt im Mikrometerbereich liegen – also in der Größenordnung von Tausendstel Millimetern - müssten sie eigentlich Mikroroboter heißen. Doch diesen Begriff verwenden Experten seit Jahren für intelligente Maschinen im Millimeterformat. Beim Zwergenfußball geht es um viel kleinere Dimensionen. Deshalb hat Craig McGray den Namen Nanofußball eingeführt. Ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter. Die kickenden Zwergroboter sind zwar größer, aber ihr Gewicht wird tatsächlich in Nanogramm gemessen, in Milliardstel Gramm also.

    Am Vorabend des ersten Spieltages bereiten die angereisten Teams in der Grazer Stadthalle ihre Mannschaften auf die kommenden Aufgaben vor. Als Favorit gilt der Titelverteidiger von 2007: Das Institut für Robotik und intelligente Systeme der Schweizer Elite-Universität ETH Zürich

    "Ja, es sieht ziemlich gut aus. Aber es kann immer noch viel schief gehen, weil die Roboter sind manchmal etwas launisch. Aber im Moment sieht es gut aus. Ja."

    Dominic Frutiger ist sozusagen der Cheftrainer des Zürcher Zwergroboter-Teams. In einigen Monaten will er seine Dissertation über die agilen Winzlinge schreiben. Ihr Herzstück ist ein pfiffiger Magnetmotor, der bereits 2007, beim ersten Nanokicker-Turnier in Atlanta, die Konkurrenz deklassierte. Aber nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Ob es dieses Jahr genauso gut läuft, bleibt abzuwarten. Noch tun die Nanoroboter längst nicht immer, was ihre Entwickler gern hätten. Frutiger:

    "Wir haben mindestens zwei gute Kandidaten. Wir hoffen, wir verlieren die nicht. Wir hoffen, die Spieler sind motiviert, bis zum Ende des Spiels. Falls nicht, werden wir andere Kandidaten abwerben. Internationale vielleicht. Aber jedenfalls sollte es gehen, ja."

    Beim US-Team der Marine-Akademie in Annapolis, Maryland, ist die Stimmung nicht ganz so locker. Laptop, Oszilloskope und Frequenzgeneratoren stehen auf einem Tisch. Da die eingeflogene Elektronik fürs US-Stromnetz ausgelegt ist, flogen Samara Firebaugh beim Einstöpseln reihenweise Sicherungen um die Ohren, weil sie die falschen Adapter im Gepäck hatte. Außerdem weiß die junge Professorin noch gar nicht so genau, welchen ihrer Roboter sie morgen aufs Feld schicken soll. Bei rund 10.000 Spielern, die sie auf einem Chip im Handgepäck transportiert hat, fällt die Auswahl schwer.

    "Wir wissen, wie ein guter Roboter aussieht. Aber erst wenn wir ihn mit Spannung versorgen und er sich tatsächlich bewegt, sehen wir, was er wirklich taugt."

    Samara Firebaugh und ihre Team-Kollegen haben eine lange Nacht vor sich. Sie müssen unter dem Mikroskop einen viel versprechenden Spieler ausfindig machen, ihn mit winzigen Pinzetten auf dem Silizium-Spielfeld platzieren und die elektrischen Steuerbefehle so optimieren, dass er auf Kommando flott und kontrolliert übers Feld zischt. Denn darauf kommt es am ersten Tag an, erklärt Turnier-Veranstalter Craig McGray vom NIST.

    "Die Teams müssen drei verschiedene Aufgaben meistern. Die erste ist der 2-Millimeter-Sprint. Dabei muss der Roboter möglichst schnell auf gerader Linie von einer Torlinie zur anderen Laufen. Die Aufgabe für den zweiten Tag ist der Slalomlauf. Dabei müssen die Roboter Hindernisse auf dem Spielfeld umfahren, damit wir sehen, wie agil sie sind."

    Am dritten Wettkampftag bekommen die Zwergroboter dann endlich Bälle vor die Füße. Genauer gesagt: Flache Siliziumscheiben vom Durchmesser eines menschlichen Haares, die sie um Hindernisse herum ins Tor schieben müssen. Mit echtem Fußball hat das natürlich wenig zu tun. Aber das sei auch kein Wunder, sagt Craig McGray: Die Technologie stecke schließlich noch in den Kinderschuhen.

    "Wir haben diese Aufgaben gewählt, weil sie jene Fähigkeiten erfordern, die winzige Roboter für künftige Anwendungen brauchen werden, sei es etwa in der Medizin oder bei der Herstellung von Nanowerkstoffen. Sie müssen sich geschickt bewegen und mit mikroskopischen Partikeln interagieren können."

    Die technischen Hürden, staubkorngroße Maschinen zu bauen, die diese Aufgaben meistern können, sind enorm. Neben der ETH Zürich haben sich vier weitere Teams aus den USA und Kanada für das Nanogramm-Duell in Graz angemeldet. Drei davon sagten ihre Teilnahme kurzfristig ab, weil sie trotz monatelanger Vorbereitung keine funktionierenden Roboter aufstellen konnten. Nur die Marine-Akademie kann den erfolgsverwöhnten Schweizern jetzt noch Konkurrenz machen.

    Drei Wochen vor dem Match, ein Besuch im Trainingslager der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Auf dem Weg ins Labor erklärt Dr. Brad Kratochvil vom Institut für Robotik und intelligente Systeme, man habe Zugang zu drei Reinräumen.

    "We have access to a lot of cleanroom facilities. In this building we have one, there’s also one at another campus. And then IBM just recently…"

    Einer davon befindet sich direkt im Institut. Das ist praktisch, denn in der staubfreien Umgebung eines Reinraums wachsen die dünnen Metalllfilme aus denen die Mikroroboter bestehen. Knapp zwei Wochen dauern die insgesamt rund 15 Arbeitsschritte zur Herstellung einer Charge. Die reinen Materialkosten betragen rund 1500 Euro. Ziemlich günstig für eine Armada von Hunderten von Weltklasse-Kickern.

    Magmites, so haben die Zürcher Forscher ihre magnetischen Mikroroboter getauft. Brad Kratochvil, zeigt auf einen silbernen Chip von der Größe eines Daumennagels. Er steckt in einer Halterung unter einem Mikroskopobjektiv, aufgesetzt ist eine Digitalkamera. Wenn man genau hinschaut, ist auf dem Chip mit bloßem Auge ein weißes Staubkorn zu sehen. Doch der Schein trügt. Der Blick auf das vergrößerte Bild auf dem Computermonitor zeigt: Das Staubkorn ist eine quadratische Maschine: 300 Mikrometer Kantenlänge, Energieversorgung, Antrieb und Motor auf engstem Raum. Kratochvil:

    "So if you want to take a look: This is one of the devices. It’s 300 micron square. It’s maybe 50 to 100 microns tall. And if we turn it on, hopefully it will work."

    Brad Kratochvil beugt sich über die Tastatur. Was dann passiert, erinnert an Pacman. Der weiße Punkt flitzt kreuz und quer über den Chip. In welche Richtung er fährt, bestimmt das Magnetfeld der vier Kupferspulen, die links, rechts, vor und hinter dem Chip montiert sind. Sein Nordpol lässt sich computergesteuert in alle Richtungen drehen. Der Roboter folgt ihm wie eine Kompassnadel dem Erdmagnetfeld. Weil die Magnetspulen wie kleine Lautsprecher wirken, kann man das sogar hören.

    Der Clou der Magmites ist ihr Magnet-Motor. Er besteht aus zwei winzigen Weichmagneten, die über eine Goldfeder verbunden sind. Ein oszillierendes äußeres Magnetfeld versetzt das System in Schwingung. Jedes Mal, wenn die Magnete zusammen schnellen, hämmern sie aufeinander. Der resultierende Impuls lässt den Roboter zigtausend Mal pro Sekunde ein Stückchen vorwärts rutschen. Kratochvil:

    "Wir können den Roboter manuell kontrollieren, wie ich das eben getan habe, oder per Computer. Durch die Kamera über dem Chip kann der Rechner verfolgen, wo sich der Roboter befindet. Er kann ihn vorprogrammierte Bahnen abfahren lassen, also etwa ein Quadrat oder so etwas. Im Fall des Nanogramm-Wettbewerbs kann er ihn auch Bälle finden und ins Tor schieben lassen."

    Zur Vorbereitung auf den diesjährigen Wettbewerb haben die Zürcher die Steuerungselektronik und -software der Magmites runderneuert. Die Roboter selbst sind seit 2007 praktisch unverändert geblieben.

    Sechs Minuten noch im Wankdorfstadion in Bern. Keiner wankt. Der Regen prasselt unaufhörlich hernieder. Es ist schwer. Aber die Zuschauer, sie harren aus. Wie könnten sie auch. Eine Fußball-WM ist alle vier Jahre. Und wann sieht man ein solches Endspiel. So ausgeglichen, so packend…

    Donnerstag, 2. Juli. Erster Wettkampftag im Duell der Zwergroboter. Das Team der ETH ist schon früh am Start und es läuft gut. Dominic Frutiger:

    "Der Spieler ist außerordentlich schnell, weil es geht heute vor allem ums Schnellsein. Jetzt versuche ich gerade noch mit dem Platzwart hier auszumachen, wo genau der Start und der Endpunkt ist. Und wenn das alles organisiert ist, können wir den Roboter mal losschicken."

    Dominic Frutiger, Brad Kratochvil und Kollegen haben sicherheitshalber gleich zwei ihrer mit Magnetspulen bestückten Nanofußball-Arenen aus Zürich mitgebracht. Außerdem Steuerungscomputer, Netzteile, Messgeräte und ein Mikroskop. Auf dem Flachbildschirm erscheint der quadratische Mikroroboter auf dem Chip so groß wie ein Lego-Baustein. Für den 2-Millimeter-Sprint fährt ihn Dominic Frutiger mit Tastaturbefehlen hinter eine der Torlinien. Dann markiert er mit einem Mausklick das gegenüberliegende Tor, sodass eine schnurgerade Linie Start und Ziel verbindet. Den Rest erledigt der Computer.

    Alle Blicke ruhen auf ihm. Wird der Spieler aus Zürich dieser Anspannung gewachsen sein? Es scheint so einfach. Er muss nur ein Stückchen gerade aus laufen. Aber man steckt nicht drin – und es wäre nicht das erste Mal, dass hier in dieser Arena eine sichere Chance vergeben wird. Das war das Signal des Schiedsrichters. Der Zürcher stürmt los, auf das gegnerische Tor zu. Was für ein Tempo der macht. Ich bin mir nicht sicher, ob er das bis ins Ziel durchhalten kann. Aber: Die Mittellinie ist passiert und bisher keine Ermüdungserscheinungen. Noch ein paar Haaresbreiten bis zum Ziel. Und da ist es geschafft. Souverän und schnell. Was für eine Leistung.
    0,718 Sekunden hat der Mikroroboter für die 2 Millimeter gebraucht. Einmal blinzeln und das Spiel ist gelaufen. Schiedsrichter Craig McGray ist zufrieden.

    "Das war eine perfekte Demonstration. Das Team der ETH Zürich hat die Aufgabe in unter 0,8 Sekunden erfüllt. Das war eine gute Show."

    Eigentlich wäre jetzt die Konkurrenz an der Reihe. Doch obwohl das Team der Naval Academy bis spät in die Nacht gearbeitet hat, kann es derzeit keinen funktionsfähigen Spieler ins Rennen schicken. Firebaugh:

    "Unsere Roboter zappeln gerade ein bisschen, schaffen aber keine 2 Millimeter. Wenn wir heute noch einmal eine Spätschicht einlegen, bekommen wir hoffentlich doch noch einen zum Laufen. Vermutlich machen kleine Schmutzpartikel unseren Robotern zu schaffen. Wenn man so groß ist, wie ein menschliches Haar dick, kann einem jedes Staubkorn zum Verhängnis werden. Das erleben wir gerade."

    Die Mikroroboter aus Annapolis haben einen elektrostatischen Antrieb. Er besteht aus speziellen Metallen, die sich unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes verformen. Die Energie liefern feine Leiterbahnen im Boden des Spielfeldes. Legt man dort die passende Spannung und Frequenz an, kriecht der Roboter wie eine Raupe vorwärts, erklärt Samara Firebaugh.

    "Wir werden jetzt einfach versuchen, Hunderte unserer Roboter auf Spielfelder zu setzen, bis wir einen finden, der funktioniert. So läuft das eben manchmal: Man muss am Ball bleiben und irgendwann klappt es. Unsere Probleme zeigen, wie schwierig das Ganze ist – und wie beeindruckend die Leistung der ETH Zürich ist."

    Es sind die Gesetze der Physik, die Zwergrobotern zu schaffen machen. Aufgrund ihrer geringen Masse spüren sie praktisch keine Schwerkraft. Dafür gewinnen andere Kräfte die Oberhand: Reibung und Oberflächenspannung. Atomare Anziehungskräfte zwischen glatten Objekten wirken wie Sand im Getriebe von Mikromaschinen. Und die Oberflächenspannung lässt sie auf der Stelle fest kleben, wie Zuckerkörner am Finger, erklärt NIST-Forscher Craig McGray.

    "Diese Mikroroboter sind kleiner als ein Zuckerkorn und spüren dieselben klebrigen Kräfte. Sie zu überwinden, erfordert völlig neuartige Motoren für den Mikrokosmos. Teils gibt es die schon, aber das sind alles sehr junge Technologien und es wird dauern, bis sie robust und zuverlässig sind."

    Neben magnetischen und elektrostatischen Antrieben werden auch Strukturen erprobt, die sich bewegen, wenn sie durch Laserbeschuss erhitzt werden. Für den Nanofußball ist die Technik aber noch nicht ausgereift.

    Schäfer nach innen geflankt, Kopfball. Abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt. Tor. Tor. Tor. Tor. … Tor für Deutschland.

    Freitag, 3. Juli, zweiter Wettkampftag. Ganz so packend wie in Bern seinerzeit geht es in Graz nicht zu. Das Team Zürich hat immer noch keinen richtigen Gegner. Die US-Marine-Akademie versucht weiter, einen funktionierenden Spieler aufs Feld zu bringen. Aufgeben ist keine Option, Samara Firebaugh läuft Marathons.

    "We’ll be here all morning. It’s a little bit slow our microsoccer. But I ran marathons. I like to go long distances. This is just another marathon."

    Auch Team Zürich rechnet heute nicht mit schnellen Erfolgen. Zuhause haben die Magmites schon dutzendmal Hindernisse auf Knopfdruck umfahren. Doch Auswärtsspiele sind immer schwerer. Staub und feuchte Luft in der Stadthalle fordern ihren Tribut: Einer der Stammspieler liegt auf dem Feld und rührt sich nicht mehr. Frutiger:

    "Ja, wir wissen nicht genau, warum. Aber irgendwie klebt der mit einer Ecke auf dem Hindernis fest. Sehr hartnäckig. Wir wissen jetzt auch nicht, ob jetzt irgendwas Spezielles mit dem Hindernis ist. Auf jeden Fall weigert er sich."

    Da hilft nur Auswechseln. Mit einem kleinen Magneten lupft Dominic Frutiger das Hightech-Staubkorn vom Spielfeld und bugsiert es in ein kleines Plastikdöschen. Dann platziert er einen Ersatzmann.

    "Der zweite Spieler ist gerade ins Feld eingelaufen. Er scheint noch etwas nervös zu sein. Aber wir versuchen ihn jetzt zu beruhigen, weil das ganze Spiel lastet jetzt primär auf seinen Schultern."

    Auch der Neue läuft sich nach ein paar Runden fest. Erst eine Stunde später, nachdem das Spielfeld gereinigt wurde, reagiert der Roboter wie gewünscht auf die Steuerbefehle. Frutiger:

    "Jetzt im Moment plant er seinen Weg oben rum. Das ist im Prinzip in Ordnung. Außer dass dieser Roboter etwas schnell fährt und wir das Risiko eingehen, dass er da oben gleich im ersten Hindernis stecken bleibt, weil er ihm eben doch zu nahe kommt – quasi durch Überschießen. Nach dem 20. Mal wird es bestimmt gehen."

    Das muss er jetzt alleine machen. Denn da ist weit und breit keiner in Sicht, der ihm helfen könnte. Vier Verteidiger versperren den Weg. Ab durch die Mitte geht nicht. Der Zürcher Stürmer spurtet los und… Was macht er da? In einem schnellen Bogen umläuft er die ersten beiden Gegner. Lässt sie einfach links stehen. Die wissen überhaupt nicht, wie ihnen geschieht. Aber da blockieren schon die nächsten zwei den Weg. Ah, war das frech. Da schlängelt er sich einfach mitten durch und läuft direkt ins Tor. Was für ein Auftritt. Schnell und flink schlüpft er durch die gegnerischen Reihen. Hut ab. Was die Schweizer hier heute zeigen, das verdient wirklich allen Respekt.

    "Das war jetzt optimal. Sehr schnell, sofort ins Ziel. Hat auch automatisch gestoppt. Jetzt speichern wir noch das Video. Weil einfach – das ist so beim experimentellen Arbeiten – alles was geklappt hat, ist besser aufgezeichnet."

    Aufgezeichnet haben die Zürcher Forscher inzwischen auch jede Menge andere Videos, sie sind auf Youtube zu sehen. In einem flitzt ein magnetischer Mikroroboter wie Pacman durch ein Zwergenlabyrinth. In einem anderen wuselt eines der Maschinchen unter einer riesenhaft wirkenden Ameise herum. In einem dritten kurven die Magmites in einer wässrigen Lösung, in der sich auch einige Larven räkeln. Die Botschaft ist klar: Die Magmites sind biokompatibel. Will heißen: Sie funktionieren dort, wo sich das Leben abspielt. Frutiger:

    "Das ist deshalb ein großer Vorteil, weil wenn Sie schauen: Die meisten robotischen Systeme brauchen entweder ein Hochvakuum oder sonst irgendeinen exotischen Arbeitsbereich. Aber wir sind daran interessiert, reale Applikationen zu ermöglichen mit dieser Technologie, früher oder später. Und mit diesem Roboter hier können wir heute schon kleine biologische oder chemische Objekte wie zum Beispiel Proteine in einer Nährlösung umher schieben und das einfach mit einer Kamera beobachten."

    Zu Forschungszwecken ist das heute schon interessant. Übermorgen könnten Zwergroboter vielleicht ganz neue Produktionsverfahren ermöglichen, indem sie einzelne Moleküle Stück für Stück zu neuen Substanzen und Werkstoffen zusammen bauen. Nanofabrikation, heißt diese Vision des molekularen Legos. Bei der Diagnose und Therapie von Krankheiten ist mit schnelleren Erfolgen zu rechnen. In einem ihrer Labors erproben die Zürcher Forscher bereits einen magnetischen Mikroroboter für minimal-invasive Augenoperationen. Die millimetergroße Maschine soll vom Arzt ins Auge injiziert werden, um ohne großen chirurgische Eingriff genaue Bilder der Netzhaut zu liefern. Mikroroboter für Schlüsselloch-OPs - in den nächsten Monaten soll die Technologie an Hühnereiern getestet werden. Die feinen Aderstrukturen junger Hühnerembryonen ähneln denen der menschlichen Retina. Um weitere Anwendungen auszuloten, kommt demnächst eine Medizinerin ins Team, sagt Brad Kratochvil.

    "Unser Magnetmotor ist das mikromechanische Äquivalent eines konventionellen Elektromotors. Wir werden künftig viele weitere Geräte dieser Art sehen. Deshalb macht es solchen Spaß auf diesem Gebiet zu arbeiten: Wir entwerfen gerade jene grundlegenden Bauteile, die Menschen in den nächsten 20 bis 50 Jahren benutzen werden."

    Der Sekundenzeiger wandert so langsam. Wie gebannt starre ich hinüber. Geh’ doch schneller, geh’ doch schneller. Aber er tut es nicht. Mit der Präzision, die ihm vorgeschrieben ist, wandert er voran. Noch zwei Minuten jetzt

    Samstag, 4. Juli, dritter und letzter Tag des Zwergroboter-Duells. Dominic Frutiger:

    "Die Lage ist gleichzeitig relaxt und angespannt. Wir haben ja die erste und die zweite Aufgabe mit Bravour bestanden und eigentlich keine Gegner mehr. Das heißt, nach Punkten haben wir eh’ gewonnen. Aber jetzt kommt eigentlich die schwierigste Aufgabe: Das ist das Schieben von Bällen um die statischen Hindernisse herum ins Ziel."

    Im Zürcher Labor klappt das schon reibungslos, wie Videos dokumentieren. Doch die Roboter mit dem besten Ballgefühl gingen beim Transport verloren. Jetzt müssen die Ersatzspieler ran. Zu allem Übel ist die relative Luftfeuchte in der Grazer Stadthalle inzwischen auf 65 Prozent geklettert.

    "Und damit kleben eben die Bälle tendenziell auf dem Boden. Der Roboter wird träger. Und wir brauchen natürlich eine gewisse Kraft um Bälle zu schieben. Das heißt, wir haben noch keine Ahnung, wie weit wir heute kommen."

    Beim Team der Marine-Akademie keimt derweil Hoffnung auf, vielleicht doch wenigstens noch den 2-Millimeter-Sprint zu meistern. Auf dem Feld liegen zwei intakte Roboter. Damit sie bei der hohen Luftfeuchtigkeit nicht festkleben, hat Samara Firebaugh die ganze Nacht Stickstoff übers Spielfeld strömen lassen.

    "Wenn sich einer der beiden bewegt, wäre das schon ein Erfolg. Wir werden jetzt gleich eine Spannung an das Feld anlegen. Der Computer ist angeschlossen. In fünf Minuten können wir einen Test wagen."

    Nachdem alles richtig verkabelt und eingestellt ist, fahren die Marine-Leute langsam die Spannung hoch und variieren die Frequenz des Elektrodensignals im Spielfeld so lange, bis die beiden Roboter zu zappeln beginnen. Nach bangen Minuten setzt sich einer in Bewegung.

    "Ouugh, there it goes, aah, go, buddy go…"

    Hat der Stürmer aus Annapolis wirklich das Zeug, zum lang ersehnten Comeback? Jetzt oder nie muss er zeigen, was in ihm steckt. Man darf gespannt sein. Jetzt tritt er an. Zügig, aber doch deutlich langsamer als die Konkurrenz, macht er sich auf die Strecke. Aber nein. Das sieht nicht gut aus. Er scheint verletzt oder zumindest desorientiert, macht einen Rechtsbogen, statt geradeaus zu laufen. Statt das Tor anzusteuern dreht er Kreise! Das ist bitter. Das tut weh.

    "Anything sticky on that bottom surface causes that effect. Look at this Go."

    Schmutzpartikel oder ein unsichtbarer Feuchtigkeitsfilm auf dem Spielfeld bringen den Roboter vom Kurs ab. Die Amerikaner setzen ihn auf ein anderes Feld. Doch dort rührt er sich überhaupt nicht mehr. Game over für Annapolis.

    Beim Team Zürich läuft es auch nicht gut. Der erste Spieler erweist sich als zu schwachbrüstig, um die am Boden klebenden Siliziumscheiben vom Durchmesser einer Haaresbreite zu schieben. Der zweite Roboter rollt einfach über die Bälle hinweg, statt sie zu schubsen. Ein Dritter reagiert so empfindlich auf die Steuerkommandos, dass er mehrmals vom Feld zischt. Alles suboptimal. Dominic Frutiger wirkt müde und genervt.

    "Ich habe wenig Hoffnung für diesen Roboter hier und heute. Wenn ich jetzt wirklich noch etwas zeigen möchte, besteht noch die Möglichkeit es unter Wasser zu machen. Dann sind die Eigenfrequenzen gedämpft, er fliegt nicht so weg. Wir können wirkliche Kugeln verwenden, also Glaskugeln. Das Prinzip bleibt vielleicht dasselbe. Das wäre eigentlich noch attraktiv, wir könnten eigentlich Robocup gleich mal unter Wasser machen."

    10 Minuten später schiebt der Magmite unter einem dünnen Wasserfilm auf dem Chip winzige Glaskugeln um Hindernisse herum ins Tor.

    Aus Fußball wurde Wasserball. Das ist zwar nicht ganz regelkonform, aber die Videos aus Zürich beweisen: Die Magmites haben diese Aufgabe auch schon trockenen Fußes gemeistert. Also Spiel, Satz und Sieg für die Nanokicker der ETH, das zweite Mal in Folge. Bleibt eigentlich nur noch die Frage: Werden tatsächlich jemals mehrere der Liliput-Fußballer gegeneinander antreten? Vielleicht sogar elf gegen elf? Frutiger:

    "Es ist zu hoffen, aber ich möchte im Moment keinerlei Voraussagen treffen. Diese Technologie ist schon ziemlich schwierig. Und wenn alles so klein wird, mehrere Spieler. Es ist auf jeden Fall möglich. Sagen wir in fünf Jahren, vielleicht zehn."

    Die Technologie, um mehrere Mikroroboter auf demselben Spielfeld einzeln ansteuern zu können, wird an der ETH bereits erprobt. Mit zwei Spielern klappt es bereits. Das ist immerhin schon mal ein Anfang.