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Der Beginn einer neuen Epoche

Als der junge Carl Benz anfing, von einem pferdelosen Motorwagen zu träumen, war er seiner Zeit weit voraus. Doch gegen alle Widerstände hielt er an seiner Vision fest. Schließlich konnte er den ersten fahrbaren Motorwagen 1886 zum Patent anmelden.

Von Irene Meichsner | 29.01.2011
    "Töff, töff, töff! ... Ein erster Hornruf jener Epoche, wo der Motor seine Herrschaft antritt zu Lande, dann zu Wasser und schließlich in der Luft. Die Welt horcht auf! Ein Wagen ohne Pferde, rennend und rollend? Wie ein Wunder pufft der Wagen die Straßen entlang. Stolz wie ein König steuert der Lenker, grüßt er vom Sitze herunter zu den staunenden Menschen."

    Als sich Carl Benz 1924, im Alter von 80 Jahren, an die ersten Fahrten mit seinem damals noch primitiven, pferdelosen "Motorwagen" erinnerte, gab es schon eine blühende Automobilindustrie. Sie hatte ihn zu einem reichen Mann gemacht. Dabei war es anfangs alles andere als leicht gewesen, die Zeitgenossen vom Nutzen dieses neuen Verkehrsmittels zu überzeugen, von dem Benz selber schon als junger Maschinenbauer träumte. Sein früh verstorbener Vater war Lokomotivführer gewesen. Und Benz hatte sich vorgenommen, die Lokomotive aus ihrer, wie er es formulierte, "Zwangsläufigkeit" zu befreien.

    "Die Lokomotive sollte nicht mehr gebunden sein an die eiserne Linie der Schiene, an den starren Schienenstrang. Alle Straßen nach allen Seiten, nach links und rechts, nach oben und unten, kurz, den ganzen Raum sollte sie beherrschen."

    1871 gründete Carl Benz in Mannheim seinen ersten eigenen Betrieb. Seit 1878 tüftelte er an einem Motor, der von einem Luft- und Gasgemisch und nicht mehr von Dampf angetrieben werden sollte. Benz entwickelte alle wesentlichen Elemente selbst, die er für seinen Motorwagen brauchte: die elektrische Zündung, die Wasserkühlung, das Ausgleichs- oder Differenzialgetriebe. Wie viele große Erfinder hatte er kühne Visionen und einen eisernen Willen, aber wenig Sinn fürs Geschäft. Hier half Ehefrau Bertha weiter.

    "Er hat das Wissen, sie ist die treibende Kraft. Wenn er verzweifelt, drängt sie vorwärts",
    ... schreibt Angela Elis in ihrer 2010 veröffentlichten Romanbiografie über die couragierte Frau, die ihren Mann buchstäblich "zu Weltruhm fuhr". Bertha Benz lotste die Familie durch Zeiten tiefen Elends, sie investierte ihre ganze Mitgift und die Erbschaft in die Träume ihres Mannes, brachte ihn schließlich auf die Idee, als Treibstoff für den neuen Verbrennungsmotor das Ligroin, ein leicht entzündliches Waschbenzin, zu verwenden. Und Bertha war es auch, die den unter strengster Geheimhaltung in Mannheim gebauten, dreirädrigen "Motorwagen" am 3. Mai 1885, an ihrem 36. Geburtstag, als erste ins Rollen brachte.

    "Losfahren! Sie hält kurz inne. ... Doch dann atmet sie tief durch, greift an den langen Hebel und löst die Bremse, der Wagen setzt sich in Bewegung. Sie fährt, sie fährt tatsächlich! Sie fährt, ohne dass sie Pferde vor sich hat.”

    Die Probefahrt endet nach 20 Metern am Gartenzaun. Doch immerhin: Das "Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb" hat sich als fahrtauglich erwiesen.

    "Vorliegende Construktion bezweckt den Betrieb hauptsächlich leichter Fuhrwerke und kleiner Schiffe, wie solche zur Beförderung von ein bis vier Personen verwendet werden",

    ... heißt es in der Patentschrift, die Carl Benz am 29. Januar 1886 beim Reichspatentamt einreichte. Sie gilt als "Geburtsurkunde des Automobils."

    "‘Eine Spielerei, die nichts ist und nichts wird’, meinten die einen. ‘Wie kann man sich in so einen unzuverlässigen, armseligen, laut lärmenden Maschinenkasten setzen, wo es doch genug Pferde gibt auf der Welt und die eleganten Kutschen und Droschken obendrein’, sagten die anderen."

    Niemand wollte das holprige Gefährt kaufen – darunter litt Benz genauso wie Gottlieb Daimler, der in Cannstadt einen ähnlichen Motor entwickelt hatte, ohne dass die beiden Pioniere zunächst voneinander wussten.

    Noch einmal ergriff Bertha Benz die Initiative: Um der Welt zu beweisen, was der Benz’sche Motorwagen leisten konnte, unternahm sie im August 1888 mit ihren Söhnen Eugen und
    Richard die erste, spektakuläre "Fernfahrt" von Mannheim nach Pforzheim – eine abenteuerliche Reise über 104 Kilometer. Wenig später bekam Benz für das Fahrzeug auf der "Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung" in München die "Große Goldene Medaille", 1889 präsentierte er es auf der Pariser Weltausstellung. In Frankreich begann dann auch der Siegeszug des Automobils. Und Benz war der erste, der Autos in Serie herstellte.

    1926, drei Jahre vor seinem Tod, fusionierte die von ihm gegründete Gasmotorenfabrik mit der Daimler-Motoren-Gesellschaft zur Daimler-Benz AG – ein Meilenstein deutscher Verkehrs- und Industriegeschichte.