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Der beschwerliche Weg eines spät berufenen Architekten

Unzählige Leute sprachen mich auf den Straßen von New York an, schrieben mir Briefe und riefen mich dazu auf, meine Geschichte zu erzählen. Sie wollten meine Entwurfsidee verstehen, wie deren Umsetzung aussieht und was mit New York geschehen wird. Also, habe ich ihnen versprochen, dieses Buch sehr schnell zu schreiben. Ich wollte die Öffentlichkeit die Arbeit im Hintergrund zeigen, wie man als Architekt von Punkt A nach B gelangt. Zur Architektur gehört nicht nur das fertige Gebäude, sondern auch der Weg dort hin.

Von Claudia Cosmo | 15.02.2005
    Im Kapitel "Zwangsehe" erfährt man wie beschwerlich der Weg eines Architekten sein kann, besonders wenn es um ein wichtiges Projekt wie Ground Zero geht. Seit Frühjahr 2003 bemüht sich Libeskind, seinen Entwurf vor dem New Yorker Bauunternehmer Larry Silverstein zu verteidigen. Diese Beharrlichkeit war auch beim Bau des Jüdischen Museums in Berlin während in den 90er Jahren hilfreich. Viele galt das Bauwerk als nicht realisierbar. 2001 jedoch wurde das Museum eröffnet.

    Libeskinds Entwurf zu Ground Zero umfasst fünf Gebäude, die spiralförmig ansteigen. Das höchste Gebäude, der "Freedom Tower" soll 1776 Fuß -541 Meter- hoch sein und somit an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung erinnern. Zu diesem "Masterplan" gehören außerdem das Gedenk- Areal "Memory Foundations" und einen öffentlicher Platz namens "Wedge of light", der das ehemalige Gelände des Trade Centers mit der Wall Street und mit dem Hudson River verbindet. Zu viel Symbolik, zu wenig Platz für Büroflächen, das meint Unternehmer Larry Silverstein, der als Pächter des Ground Zero auftritt und Libeskind den Architekten David Childs als Projektüberwacher entgegenstellt. In diesen sich auf das Projekt "Ground zero" beziehenden Teilen des Buchs präsentiert sich Libeskind als Realist und eifriger Verfechter demokratischer Werte.

    Demokratie bedeutet nicht, entweder ja oder nein zu sagen. Es bedeutet, für eine Sache zu kämpfen und sich durchzusetzen. Das gilt für alle Bereiche des Lebens: in der Musik, in der Wissenschaft. Darvin, Kopernikus, Michelangelo, James Joyce, Goethe mussten kämpfen. Das gilt auch für die Architektur. Denn sie ist Teil der Kultur. Aber wenn es keine Anstrengung in der Architektur gibt oder sie nur um der Anstrengung willen unternommen wird, dann werden unsere Erwartungen irgendwann zurückgeschraubt und enttäuscht sein von der Art der Bauweise. In meinem Buch wollte ich vermitteln, das man für eine gute Sache vollen Einsatz und sich selbst ganz mit einbringen muss, egal was geschieht. Denn es geht nicht um dich, sondern um was Größeres. Man muss an sich und an sein Vorhaben glauben. Da gibt es keine Grenzen. Meine Lebensgeschichte ist ein Beispiel für diese Haltung.

    Daniel Libeskind, der seine aktive Karriere mit dem Bau des jüdischen Museums in Berlin begann, ist nicht nur ein "late bloomer"-ein spätberufener Architekt. In erster Linie ist er ein visionärer Denker, der seine Arbeit als Ausdrucksmittel seiner Lebensphilosophie nutzt. Der preisgekrönte Architekt ist ist ein pragmatischer Philosoph, lässt seine Leser an seiner Weltanschauung teilhaben und erzeugt stellenweise die Spannung eines Abenteuerromans.

    Seine große Begeisterungsfähigkeit für Orte und Menschen erscheint anfangs etwas ungewohnt aber nie naiv und wirkt letztendlich ansteckend.

    Meine Philosophie setzt beim menschlichen Wesen an, beim Geist eines Ortes, bei der Erinnerung. Und nicht beim Stein oder Glas. Ich arbeite mit den Dingen, die das Leben verändern: Liebe Hoffnung und Glaube. Das sind Dinge, die Architektur prägen und sie in Licht, Proportionen und Materie fasst. In der Architektur geht es um Kultur. Natürlich braucht man auch die Technik. Aber Architektur ist nicht vergleichbar mit technischen Produkten, die in Massen hergestellt werden, wie ein Auto oder ein Fön. Man muss Architektur machen, die alle Sinne anspricht. Ein Gebäude muss riechbar und fühlbar sein. Es soll nicht nur das rationale Bewusstsein angesprochen werden.

    Unmissverständlich stellt Libeskind klar, dass seine Arbeit nichts mit Nostalgie zu tun hat, sondern mit erlebter Geschichte. Doch bevor er diese Sphären architektonisch auffangen und andere Menschen daran teilhaben lassen kann, muss er selbst einen Zugang gefunden haben.

    So führt er mit bewegtem Erzählton in die tiefe Baugrube des ehemaligen World Trade Center- Geländes, wo eine riesige Sperrmauer zu den erhaltenen Fundamenten gehört und New York vor dem Wasser des Hudson Rivers schützt. Der Autor lässt den Lesenden spüren und verstehen, welche Emotionen dieser Ort freisetzt

    Ich denke, man muss sich Orte genau anschauen. Wie die Menschen besitzen sie eine einzigartige Geschichte. Ich denke, man muss mit der Seele, mit der spirituellen Dimension eines Ortes in Kontakt treten. Ansonsten würde man nur über Quantitäten und Zahlen sprechen. Als ich in die Baugrube zu den Fundamenten von Ground Zero hinab stieg und die Sperrmauer berührte, da erkannte ich das Ausmaß der Zerstörung aber auch New Yorks Kraft! Und obwohl Städte verletzbar und zerstörbar sind, beeindruckte mich die Fähigkeit der Menschen, solch eine moderne Kathedrale wie einst das World Trade Center gebaut zu haben. Das habe ich mit der Grube in Verbindung gebracht, die für mich auch in die Zukunft weist.

    Daniel Libeskinds Buch "Breaking Groud" ist nicht chronologisch aufgebaut. Aber die insgesamt 11 Kapitel sind inhaltlich miteinander verwoben und mit Überschriften wie "Glaube", "Fundamente" und "Das Unsichtbare" versehen.

    Das Unsichtbare ist die ewig präsente Vergangenheit, die sich mit der Gegenwart in den von Libeskind entworfenen Bauten vermischt.
    Das Buch verdeutlicht zudem, dass Libeskinds eigene Familiengeschichte auch einen Schlüssel zum Verständnis seiner Arbeit darstellt: Der Architekt ist jüdischer Herkunft, seine Eltern Nachman und Dora Libeskind überlebten den Holocaust und emigrierten Ende der 50er Jahre erst nach Israel, bevor sie sich 1959 in New York niederließen. Das erste, was die Familie Libeskind bei ihrer Ankunft vom Schiff aus sah, war die Freiheitsstatue.

    Aufgrund ihrer Bedeutung für die Angehörigen des Architekten, huldigt Libeskind "Lady Liberty" mit seinem Entwurf des Freedom Tower, der die spiralförmigen Flammen der Freiheitsstatue adaptiert.
    Daniel Libeskind erzählt in seinem Buch nicht nur seine Geschichte, sondern auch die seiner Eltern

    Beim Schreiben des Buches erkannte ich plötzlich, dass meine Eltern und deren Erfahrungen einen großen Einfluss auf mich auswirkten. Jeder kommt irgendwo her und hat seine Wurzeln. Architekten sind keine abstrakten Entitäten, die stumpfsinnig im Büro zeichnen. Ihre Herkunft beeinflusst ihr Denken und ihre Entwürfe. Es gibt eine ganze Generation von osteuropäischen Juden wie meine Eltern es waren, die größtenteils in Konzentrationslagern umkamen. Mein Vater besucht Schule. Aber ich denke, dass er und meine Mutter mehr wissen als viele Professoren und Dozenten gerade wegen ihrer Lebenserfahrung und ihrem Interesse an Wissen und an der Welt. Es ist eine außergewöhnliche Generation. Und ich glaube, diese Generation ist nicht ausgelöscht. Denn wir sind immer noch auf sie angewiesen.
    Von seiner Mutter Dora hat der New Yorker die Furchtlosigkeit und von seinem Vater die optimistische Lebenshaltung geerbt. "Man kann nicht zugleich Architekt und Pessimist sein." schreibt Liebskind und vergleicht seine Arbeit mit der seiner weltberühmten Kollegen, die im Buch mit Witz und Schalk unter die Lupe genommen werden. Gegen Intrigen und Anfeindungen aus eigenen Reihen schützt ihn seine Frau Nina

    Mein Buch "Breaking Ground" ist auch eine Liebesgeschichte und ich hätte das alles nicht alleine geschafft. Wir sind ein Team und teilen Gefühle und Ideen. Es ist wahr, es war anstrengend und es war auch nicht einfach das jüdische Museum zu bauen oder Ground Zero neu zu gestalten. Das sind sehr schwere und komplizierte Projekte. Das sollten sie auch sein wegen ihrer Bedeutung. Auch wenn man im Team nicht gewinnen würde: Ein nobles Versagen ist besser als ein banaler Erfolg!

    Daniel Libeskind sieht sich als Vermittler von Architektur und zieht Parallelen zur Kunst, Literatur und zum Tanz. Architektur sei keine "antiseptische Realität", sondern ausdrucksstark wie eine Choreographie

    Einer meiner Leser kam zu mir und sagte: Herr Libeskind, ich war nie an Architektur interessiert und ich mochte sie auch nicht. Aber jetzt öffne ich meine Augen. Ich schaue mir die Gebäude an und sehe wie interessant Städte sein können. Und das stimmt. Gebäude gehören allen, man ist von ihnen immer umgeben. Und mein Buch wirkt auf eine Art und Weise entmystifizierend. Architektur gehört nicht nur Architekten und reichen Investoren. Das macht doch Städte und Gebäude so toll, dass Leute daran Teil haben!

    Daniel Libeskind möchte mit seinen architektonischen Schöpfungen den Nerv der Allgemeinheit treffen und seine Entwürfe in `singende Gebäude` verwandeln.

    Diese Fähigkeit soll in ein paar Jahren auch das neu gestaltete Areal von Ground Zero besitzen und den vergangenen und zukünftigen Sound der Stadt New York wiedergeben.
    In der Architektur gehe es um Unsterblichkeit von Ideen, meint Libeskind und kehrt am Ende seines interessanten Buchs noch einmal zu seinem Credo zurück: Architektur hat mit Glauben und Hoffnung zu tun.

    Daniel Libeskind ist nicht nur ein begnadeter Architekt, sondern auch ein begabter Erzähler, der- mal im heiteren, mal im nachdenklichen Ton- über die Verbindung zwischen Menschen und Architektur nachdenkt.

    Daniel Libeskind: Breaking Ground, Deutsch von Franca Fritz und Heinrich Koop, Kiepenheuer & Witsch, 2005, 352 Seiten, 22,90 Euro, gebunden.