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Der besondere Fall
Bakterien im Hüftgelenk

Vorher war der Patient aus Menden noch nie im Krankenhaus gewesen, doch dann hatte er starke Schmerzen im Rücken. Erst nach etlichen Arztbesuchen und Krankenhauskonsultationen wird bei dem Mann festgestellt, dass er Bakterien im Hüftgelenk hat. Das kommt selten vor, aber bei diesem Fall ist die Infektion ungewöhnlich hartnäckig.

Von Mirko Smiljanic | 11.10.2016
    Ein OP-Team, bestehend aus drei Personen, operieren
    Bei einer Operation mussten die Ärzte feststellen, dass das Hüftgelenk voller Eiter war. (picture-alliance/ dpa - Stephan Görlich)
    Juni 2014, Menden im Sauerland, Training der Alten Herren beim BSV Menden. Der Fußballverein wirbt mit dem Slogan "Pure Leidenschaft", was einige Spieler durchaus wörtlich nehmen und die Zweikämpfe ebenso rustikal wie fair gestalten. Hin und wieder gibt’s blaue Flecken, das war’s aber auch schon. Ein Krankenhaus, erzählt dieses 62 Jahre alte Mendener Urgestein, habe er noch nie von innen gesehen.
    "Bis 'das' jetzt kam, bin ich noch in keinem Krankenhaus gewesen!"
    "Das" schlich sich langsam und unscheinbar ein in sein Leben, niemals hätte der Heizungsbauer damit gerechnet, dass er demnächst von einer Klinik in die andere gereicht wird. Aber der Reihe nach. Mitte 2014 schmerzt dem Stürmer nach einem Spiel der Rücken. Nichts Besonderes, denkt er, wem tut heute nicht ab und zu der Rücken weh? Das Problem ist nur: Was immer er auch unternimmt, die Schmerzen bleiben.
    "Dann habe ich Tabletten genommen und hin her, dann ging das wieder gut, und dann ging an einem Morgen gar nichts mehr. Ich konnte gar nicht mehr auftreten, nicht mehr aufstehen, gar nichts! Dann habe ich meinen Hausarzt angerufen, der ist dann sofort gekommen und hatte gedacht, ich hätte eine Thrombose gehabt."
    Was aber falsch ist, eine Thrombose schließt der Mediziner rasch aus. Bleibt die Frage, warum der Rücken des 62-jährigen Sauerländers so penetrant schmerzt? Hat er sich beim Training eine Prellung der Wirbelsäule zugezogen? Oder einen Bandscheibenvorfall? Weil die Schmerzen bleiben, konsultiert er einen Schmerztherapeuten im nahen Iserlohn. Dort bekommt er Spritzen, die auch tatsächlich helfen: Die unerträglichen Schmerzen verschwinden – leider aber nur für ein paar Tage, dann kehren sie mit voller Wucht zurück.
    "Ich konnte mich vor Schmerzen im Bett bald nicht drehen, trotz Morphium, trotz allem Drum und Dran. Es ging nichts mehr. Dann bin ich ins Krankenhaus in Menden gekommen, dann bin ich auch in den MRT, und da hat der Dr. Neuhaus gesagt, der Chefarzt aus Menden, da macht er nichts, und dann hat mich nach Dortmund Nord geschickt."
    Die Hüfte ist voller Flüssigkeit
    Der Chefarzt einer Klinik streckt nach nur einem Blick auf die MRT-Bilder die Waffen und schickt seinen Patienten in ein anderes Krankenhaus. So etwas ist selten! Was zeigt der Magnetresonanztomograph? Genaues wissen weder der Arzt noch sein Patient. Nur so viel: Die Hüfte ist voller Flüssigkeit. Die Ärzte im Krankenhaus Dortmund Nord schauen sich die MRT-Bilder an und wollen dem Problem auf den Grund gehen.
    "Die haben punktiert und haben mich nach drei Tagen hier hin geschickt."
    Ins Klinikum Dortmund, für den Sauerländer das mittlerweile dritte Krankenhaus binnen weniger Tage. Die flüssigkeitsgefüllte Hüfte ist auch den Kollegen in der Klinik Dortmund Nord nicht geheuer:
    "Dann habe ich erst fünf Tage auf der Inneren gelegen, und dann bin ich hier auf die Orthopädie gekommen, und die haben dann sofort offen gemacht."
    Er wird mit hohem Fieber, Schmerzen und Schüttelfrost eingewiesen:
    "Und Schüttelfrost ist dann schon ein relativ deutliches Zeichen der Infektion."
    Außerdem lassen seine Blutwerte – vor allem das c-reaktive Protein und die hohe Zahl der Leukozyten – einen eitrigen Entzündungsherd vermuten, so Professor Christian Lüring, Direktor der Klinik für Orthopädie am Klinikum Dortmund. Dem Mann geht es denkbar schlecht.
    "Man muss sich das so vorstellen, dass das Hüftgelenk eröffnet wird, die Gelenkkapsel eröffnet wird, die jedes Gelenk umschließt," erinnert sich Christian Lüring an die von ihm geleitete Notoperation.
    Was er und sein Team dabei sehen, lässt ihren Atem stocken: Das Hüftgelenk ist voller Eiter. Eile ist geboten! Zunächst saugen sie die Flüssigkeit ab und spülen anschließend das Gelenk mit 20 Litern Natriumchlorid und einer antiseptischen Lösung.
    "Es wird die Schleimhaut, die in der Regel stark entzündlich verändert ist, entfernt, und alles Gewebe, was infektverdächtig ist, das kann der Operateur in der Operation sehen, das ist sehr glasig, das Gewebe, das wird komplett entfernt."
    Hartnäckige Infektion
    Damit sind die Probleme aber noch lange nicht behoben. Weil die Infektion ungewöhnlich hartnäckig ist, setzt Lüring wenig später einen weiteren OP-Termin an:
    "Wir haben dann den Hüftkopf entfernen müssen, weil der schon komplett zerstört war durch die Infektion, sodass wir letztlich aus einem Gelenk ein Nicht-Gelenk gemacht haben, wir nennen das Girdlestone-Situation, das heißt, der Hüftkopf wird entfernt, die Pfanne ist leer, da ist kein Hüftkopf mehr drin, und dann als Platzhalter letztlich füllen wir Ketten ein von kleinen Perlen, die aus Knochenzement sind, wo ein Antibiotikum drin ist, sodass wir dass wir sowohl von außen mit Infusionen mit Infusionen arbeiten können, als auch von innen her die Infektion bekämpfen können."
    Insgesamt fünf Eingriffe muss der Mann aus Menden über sich ergehen lassen. Große Unsicherheit nach jeder OP: Sind die Bakterie abgetötet worden? Nach Monaten des Wartens schließlich implantiert Christian Lüring seinem Patienten rechts und links künstliche Hüftgelenke. Mit Erfolg: Er kann wieder gehen! Wie die Bakterien in die Hüfte gelangt sind, kann der Dortmunder Orthopäde allerdings nicht abschließend beantworten. Wahrscheinlich sei ein sogenannter Senkungsabszess, bei dem Eiter über Muskeln und Sehnen von der Wirbelsäule bis zum Hüftgelenk fließt und dort den eigentlichen Abszess bildet. Noch schwieriger sind Antworten auf die Frage, wer den Fehler verursacht hat. Der Schmerztherapeut mit unsauberen Spritzen oder nicht desinfizierter Haut? So etwas kann vorkommen, ist allerdings extrem selten.
    "Ich war jetzt zur Reha, habe aber immer noch zur Sicherheit meine Krücke dabei, Krücke sagt man ja nicht, scheißegal, Entschuldigung, also mir geht es jetzt schon hundert Mal besser."
    Nur den Sport vermisst er. Auf den wird er leider auf Dauer verzichten müssen.
    "Ich spiel kein Tennis mehr, kein Fußball mehr, seit anderthalb Jahren lauf ich ja so durch die Gegend, und das ist schon schwierig."