Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Der besondere Fall
Probleme beim Schlucken und Atmen

Was noch relativ harmlos mit Beschwerden beim Schlucken und Atmen begann, steigerte sich bei einer Patientin immer mehr, bis körperliche Belastung fast unmöglich wurde. Etliche Besuche bei verschiedenen Ärzten führten zu keinem Ergebnis. Dann aber findet ein Arzt doch die Lösung - die bis in die Zeit als ungeborener Fötus zurückreicht.

Von Mirko Smiljanic | 04.07.2017
    Die Grafik der Lungen einer Frau.
    Die Grafik der Lungen einer Frau. (imago / Science Photo Library)
    Laudenbach an der Bergstraße, ein kleiner Ort zwischen Heidelberg und Frankfurt. Wälder und Wiesen, Wein- und Obstbau, Sonne satt in dieser wunderschönen Region. Wer hier lebt, kennt keinen Stress – fast zumindest.
    "Es ging eigentlich los, als ich mich von meinem Mann getrennt habe", erinnert sich die Bäckereifachverkäuferin Ute Bartmann an eine kritische Lebensphase im Jahre 2007. Nicht nur ihre Ehe ging in die Brüche, mit ihrer Gesundheit stimmte auch etwas nicht.
    "Der Blutdruck war dann nicht so besonders, und wo es richtig akut geworden ist, das war 2010, da habe ich wieder eine neue Filiale gekriegt, und ich hatte das Gefühl, ich hab was im Körper, was nicht dazugehört."
    Das, was "nicht dazugehört" sitzt irgendwo im oberen Bauchraum über dem Magen. Es drückt. Es quetscht. Es klemmt. Das Schlucken ist eine Qual.
    Mehrere Funktionen und Organe des Körpers können betroffen sein
    "Ich hab mich immer vor Essen geekelt, weil ich immer Angst gehabt hab, das bleibt mir im Hals stecken, und dann habe ich mich aufgestellt, bin so rumgehüpft, dass es besser rutscht, das Gefühl hatte ich so."
    Aber nicht nur das Schlucken fester Speisen bereitete der heute 60-jährigen Mutter von zwei Kindern Probleme.
    "Bei jeder anstrengenden Arbeit habe ich gedacht, jetzt kriege ich keine Luft mehr, ich musste immer nach Luft japsen, ich musste mich öfter mal hinsetzen, weil das nicht mehr weiterging, ich konnte nicht singen zum Beispiel, das war ganz schlimm für mich, ich musste mich dauernd verschlucken, das ging einfach nicht mehr."
    Natürlich geht die Baden-Württembergerin zu ihrem Hausarzt, leider ohne Erfolg. Die Symptome sind zwar eindeutig, weil gleich mehrere Funktionen und Organe des Körpers betroffen sind, kommen aber viele Ursachen in Betracht, so Prof. Tsvetomir Loukanov, Leiter der Sektion "Kinderherzchirurgie" am Universitätsklinikum Heidelberg.
    "Ein Allgemeinarzt denkt an Schluckbeschwerden, Speiseröhrenproblemen, Magenproblemen, Luftproblemen, Lungenproblemen,…"
    Erste Magenspiegelung ohne Ergebnis
    Und weil Ärzte sich zunächst das Offensichtliche und Naheliegende anschauen, veranlasst Ute Bartmanns Hausarzt eine Magenspiegelung.
    "Das ist absolut richtig! 99 Prozent der Ärzte würden sich in diese Richtung auch orientieren."
    "Bei der ersten Magenspiegelung ist gar nichts rausgekommen."
    Zwei weitere Jahre schleppt sie sich durchs Leben, um feste Speisen macht sie einen großen Bogen, körperliche Anstrengung geht gar nicht. Kurz vorm Zusammenbruch konsultiert sie einen anderen Arzt, der veranlasst eine zweite Magenspiegelung.
    "Und der hat dann festgestellt, dass mir irgendwas auf die Speiseröhre drückt. Ich natürlich gleich gedacht, das ist Krebs!"
    Ihre Sorge ist unbegründet. Krebs als Ursache der Schluck- und Atembeschwerden ist im etwas höheren Alter zwar durchaus möglich, spielt bei Ute Bartmann allerdings keine Rolle. Was aber steckt denn nun hinter den seltsamen Symptomen?
    "Mindestens die Hälfte der Patienten, die zu uns kommen und dann chirurgisch behandelt werden, waren beim Arzt und sind nach Asthma behandelt oder in psychiatrische Klinik in Betreuung."
    Ein Aneurysma als falsche Spur
    Selbst im medizinisch hoch entwickelten Deutschland kommt so etwas noch vor, so Prof. Tsvetomir Loukanov. Wenn Mediziner keine körperlichen Ursachen finden, rückt irgendwann die Psyche in den Mittelpunkt. Soweit sollte es bei der Laudenbacherin zum Glück nicht kommen. Die Wende brachte eine Computertomographie bei einem Radiologen.
    "Der hat dann zu mir gesagt, das ist ein Aneurysma, fünf Zentimeter groß."
    Eine krankhafte Aussackung eines Blutgefäßes im oberen Bauchbereich. Aneurysmen können lebensbedrohlich sein und müssen wenn nötig rasch operiert werden – in diesem Fall am Universitätsklinikum Heidelberg.
    "Die haben mich untersucht, gemacht und getan und dann haben sie gesagt, sie wissen gar nicht, warum ich hier wäre, ich hätte das schon 50 Jahre."
    Wieder eine falsche Spur! Allerdings eine, die auf verschlungenen Wegen zur richtigen Diagnose führt. Dr. Joachim Eichhorn, damals Leitender Oberarzt der Abteilung für Kinderkardiologie an der Kinderklinik Heidelberg, hört von dem Fall – und hat eine Idee, die weit zurückreicht in die Zeit als Ute Bartmann noch ein ungeborener Fötus war.
    "Wir durchlaufen die Entwicklung eines Frosches, eines Reptils, eines Vogels, eines Säugetieres und, und, und, und es wird dann immer differenzierter, und in dieser Entwicklungsphase, wenn die Organe und auch das Gefäßsystem sich ausbildet, gibt es in der frühen Phase auch eine Zeit, wo wir alle auch ein doppeltes Gefäßsystem haben. Wir haben zwei Aortenbögen, wir haben zwei Körperschlagadern und, und und, es ist alles doppelt angelegt."
    Über zwei Aortenbögen zur Lösung
    Normalerweise entwickelt sich eines der Gefäßsysteme bis zur Geburt zurück, in sehr wenigen Fällen aber nicht. Genau das ist bei Ute Bartmann geschehen. Von der linken Herzkammer gehen zwei Aortenbögen aus und bilden einen geschlossenen Ring, durch den Speise- und Luftröhre laufen.
    "Wenn man sich jetzt in einem Ring vorstellt, der pulsiert noch, der wird eng und weit und eng und weit, dass dieser Ring die Luftröhre – auch Trachea genannt – und die Speiseröhre in die Zange nimmt und dem Patienten eine entsprechende Symptomatik machen kann."
    Speise- und Luftröhre sehen aus wie eine Sanduhr, die Luftröhre hatte zwei Drittel ihres Querschnitts verloren! Der Verdacht des Kinderarztes, heute leitet er die Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum Leverkusen, war richtig! Und die Behandlung ist jetzt vergleichbar einfach, so der Heidelberger Herzchirurg Prof. Tsvetomir Loukanov.
    "Man muss diesen Ring durchtrennen, sodass mehr Platz für Luftröhre und Speiseröhre ist."
    "Heute geht es mir gut, ich kann singen, ich kann pfeifen (lacht), das war ganz toll, ich bin ein ganz anderer Mensch geworden."