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Der besondere Ton

Als "Tears of Sound" wurde der Ton des Altsaxofonisten Charlie Mariano bezeichnet, der am 16. Juni im Alter von 85 Jahren gestorben ist. Bekannt wurde der amerikanische Jazzmusiker durch sein Zusammenspiel mit Jazzgrößen wie Charlie Parker oder Dizzy Gillespie. Später wandte er sich der Pop- und Weltmusik zu.

Von Bert Noglik | 17.06.2009
    Der Saxofonist Charlie Mariano - sollte man ihn mit wenigen Worten beschreiben, dann wären es diese: Güte, Bescheidenheit, Gelassenheit und Teilnahme. Der altersweise Jazzmusiker strahlte innere Ruhe aus und Hingabe an den Prozess des Lebens. So hat er wohl auch nicht gegen den Krebs gekämpft, sondern diesen eher beiläufig abschütteln wollen. Als er dann Freunden kurz vor Pfingsten mitteilte, nicht mehr spielen zu können, war absehbar, dass es zu Ende geht. Ihm würde das fehlen, was ihn ausmachte. Charlie Marianos Spiel, sein Ton auf dem Altsaxofon war Ausdruck seiner Seele. Unter dem Eindruck von Johnny Hodges und Charlie Parker hat er sich bereits als Heranwachsender für den Jazz begeistert, und er hat diese Musik gelebt bis in das hohe Alter hinein.

    Es war der Bandleader Charles Mingus, der Charlie Marianos Ton auf dem Altsaxofon als "Tears of Sound", als einen Klang aus Leid und Freudentränen, bezeichnete. Tief emotional und mit einer Neigung zu Melos, die ihm wohl seine Vorfahren, italienische Einwanderer, die in Boston sesshaft wurden, mit auf den Weg gegeben haben.

    Charlie Marino erwies sich als ein Weltenwanderer, als ein Kosmopolit im Reich der Klänge. Als 18-Jähriger startete er seine Laufbahn in den USA, im Spiel mit Bebop-Heroen wie Charlie Parker und Dizzy Gillespie. Über verschlungene Wege, die ihn nach Indonesien und nach Südindien führten, kam er Anfang der 70er-Jahre nach Europa. Hier begann er eine gänzlich neue Karriere mit einer für einen Jazzmusiker außergewöhnlichen Popularität bei einem für ihn neuen Publikum.

    "Die meisten Musiker in Amerika wissen gar nicht, was ich heute mache. Sie kennen mich aus den 50er- und 60er-Jahren. Hier in Europa ist es genau umgekehrt: Hier weiß man, womit ich mich in den letzten zehn, 20 Jahren beschäftigt habe, aber kaum etwas über die Zeit davor."

    Zu den Konstanten im Schaffen von Charlie Mariano zählte der Drang nach Entwicklung und Veränderung. Dabei hat er stilistische Grenzen zwischen Jazz und Rockmusik überschritten und in der Zusammenarbeit mit indischen, arabischen und lateinamerikanischen Musikern Bande zwischen den Kulturen geknüpft. Charlie Mariano spielte Weltmusik, bevor der Begriff in Umlauf kam. Dankbar und mit der ihm eigenen Bescheidenheit schaute der Wegbereiter im Alter auf sein eigenes Leben zurück.

    "Alles nur Zufall. Die Dinge haben sich ereignet. Ich habe gar nichts erfunden, bin nur zur rechten Zeit da gewesen."