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"Der bizarre Personenkult wird bleiben" in Nordkorea

Nordkorea leide unter Versorgungsproblemen, an denen sich auch mit einem neuen Machthaber nichts ändern werde, vermutet der stellvertretende SPD-Fraktionschef, Ulrich Kelber, der das Land schon bereist hat. Die Söhne des Verstorbenen fügten sich, um die Vorteile der Führungselite zu übernehmen.

Ulrich Kelber im Gespräch mit Dirk Müller | 19.12.2011
    Dirk Müller: 1994 hatte er die Macht von seinem Vater übernommen. Heute Morgen nun melden die nordkoreanischen Medien den Tot von Kim Jong Il, das Ende des großen ruhmreichen Führers, wie er in Pjöngjang offiziell genannt wurde. Am Telefon begrüße ich nun den stellvertretenden SPD-Fraktionschef Ulrich Kelber, der in der Vergangenheit Nordkorea besuchen konnte. Guten Morgen.

    Ulrich Kelber: Guten Morgen.

    Müller: Herr Kelber, ist das eine Erlösung für die Menschen in Nordkorea?

    Kelber: Nein. Es wird sich natürlich an der politischen Richtung der Führung in Nordkorea wenig ändern. Es war ja auch nie eine Person, die das geführt hat, vor allem nach dem Tod damals des Gründungspräsidenten Kim Il Sung, sondern es war natürlich immer eine Gruppe und auch die Kims mussten Zugeständnisse machen. Gerade jetzt der Enkel oder jetzt der Sohn des Verstorbenen wird keinen großen Wechsel in der Politik vornehmen. Die Versorgungsprobleme werden bleiben, der bizarre Personenkult wird bleiben und die Unbeweglichkeit des Regimes.

    Müller: Sie sind ja viele Tage durch Nordkorea gereist. War die Macht des Machthabers all gegenwärtig?

    Kelber: Zumindest natürlich mit dem, was man präsentiert bekommen hat. Es war nie unbeobachtet auf der Reise. Jeder Besuch jeder Fabrik, jeder Einrichtung begann mit dem Raum, in dem vorgestellt wurde, wann Kim diesen Betrieb besucht hat und welche wichtigen Anregungen er für die Produktion gegeben hat. Sie werden als Genies, als Allround-Genies beschrieben, die den Straußenzüchtern bessere Fütterungen erzählen, die in ihrem Garten die neuen Apfelsorten entwickelt haben, und in der Musikhochschule übergeben sie direkt mehrere Kompositionen aus eigener Feder. Das ist ein bizarrer Personenkult, den hat die DDR nie erreicht.

    Müller: Wie haben Sie die normalen Menschen in Nordkorea kennengelernt?

    Kelber: Gar nicht. Es gab keinen unbeobachteten Kontakt. Man konnte allerhöchstens aus der Ferne beobachten oder Dinge interpretieren, die man gesehen hat. Der Versorgungsmangel, den sehen sie selbst in der Hauptstadt Pjöngjang den Menschen an. Bei den kurzen Fahrten über Land, bei Fahrten durch Dörfer, hat man auch gesehen, dass es eindeutig solche Mangelerscheinungen gibt, auch durch die Größe zum Beispiel von Kindern, die die hatten. Ansonsten hat nie einer in einem unbeobachteten Moment sprechen können.

    Müller: Der Besuch in Nordkorea von Ihnen, Herr Kelber, liegt ja einige Monate zurück. Wir haben jetzt in diesem Jahr ganz, ganz viel über die Arabische Revolution berichtet. Wir haben über das Internet als neue Kraft des Faktischen berichtet. Gab es so etwas auch in Nordkorea?

    Kelber: Nein. Es gibt in Nordkorea natürlich Telekommunikation, aber streng abgeschottet. Es gibt ein Regierungsnetz, es gibt ein Netz der Bevölkerung, es gibt ein Extranetz für die wenigen Ausländer, die dort sind. Es gibt keinen Internetzugang in dem Land für Nichtausländer an der Stelle, wenige Ausnahmen zu Hause. Trotzdem ist das Land natürlich nicht mehr so abgeschottet wie vor zehn Jahren. In diesem Jahr gab es ja eine erneute Hungerkatastrophe, aber zum ersten Mal beginnt sich zumindest so etwas wie eine Erklärung durch die Bevölkerung zu entwickeln, dass es nicht überall auf der Welt so schlecht steht und dass es auch eigene Fehler sind, die zu dieser Katastrophe führen. Dass das Land unter massivem Versorgungsmangel leidet, sehen Sie auch nicht nur an den Menschen, sondern Sie müssen sich das vorstellen: Sie fahren über eine Landstraße und neben der Landstraße ist ein Entwässerungsgraben, wie Sie das bei uns auch kennen. Die Menschen haben Ackerfurchen bis an die Wasseroberfläche, also die Kante des Grabens noch runtergezogen, um jeden Quadratmeter zu nutzen, noch etwas mehr an Nahrungsmitteln zu produzieren.

    Müller: Wir wollen ein bisschen politisch spekulieren. Sie haben das eben schon angedeutet mit den Worten, Sie haben wenig Hoffnung, dass sich etwas ändern wird. Können die Söhne, die jetzt in Frage kommen, nicht besser sein als ihr Vater?

    Kelber: Doch, natürlich. Es ist immer die Hoffnung, dass jemand noch mal etwas Neues macht, der vielleicht sogar auch mehr erlebt hat von Dingen, die er im Ausland gesehen hat. Aber Sie müssen natürlich wissen: Auch die Nordkoreaner, die das Ausland erlebt haben, fügen sich dann dort ein, um auch die Vorteile der Führungseliten zu übernehmen. Also es gibt ja Kinder, die zum Beispiel als Söhne von Diplomaten in Österreich, in Deutschland, in den USA aufgewachsen sind, die Sprachen übrigens perfekt beherrschen und die natürlich gesehen haben, dass ihr Land nicht das wirtschaftlich führende auf der Welt ist, wie das ja manchmal in der dortigen Propaganda dargestellt wird. Das ist natürlich möglich. Aber damit Kim Jong Il seinen Sohn installieren konnte als Führer, musste er natürlich Zugeständnisse an die anderen Inhaber der Machtelite geben, und das heißt, er hat insbesondere natürlich weiter beim Militär, bei den alten Generälen auch Zugeständnisse machen können. Der neue Führer wird noch weniger alleine die Macht inne haben wie sein Vater und überhaupt nicht mehr vergleichbar mit dem Gründungspräsidenten.

    Müller: Wir haben, Herr Kelber, ja hier auch im Deutschlandfunk sehr viel über die Wiedervereinigungsperspektive gesprochen. Es hat ja auch solche Gespräche gegeben zwischen beiden Seiten, also zwischen Pjöngjang und Seoul. War das in irgendeiner Form Thema bei Ihrer Reise?

    Kelber: Das Thema Wiedervereinigung von Korea ist auch in der Propaganda der Nordkoreaner allumfassend und zu jeder Zeit präsent, auch anders, als es dann teilweise in der DDR war. Es wird immer als das Ziel ausgegeben, da ja auch der Gründungspräsident Kim Il Sung nicht etwa für ein eigenständiges Nordkorea, sondern für die Befreiung ganz Koreas gekämpft habe von der Fremdherrschaft. Auf jeder Karte ist Korea als einiges Land dargestellt. Das wird sehr schwierig, denn die Konfrontation ist größer, als es jemals zwischen den beiden deutschen Teilstaaten war, und es hat ja auch nach einer gewissen Tauwetterphase nicht nur von nordkoreanischer Seite, sondern auch von südkoreanischer Seite eine Verschärfung der Politik gegeben. Das heißt, der damalige Politikwechsel in Südkorea hat auch zu einer weiteren Konfrontation beigetragen.

    Müller: Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Ulrich Kelber bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kelber: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.