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Archiv


Der Boden des Jahres 2010 geht an …

Die Böden, auf denen wir täglich herumlaufen, sind überlebenswichtig. Gerade in großen Städten bindet der Boden Schadstoffe, die sonst ins Grundwasser liefen. Die Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft rief heute die Stadtböden zum "Boden des Jahres 2010" aus.

Von Maren Schibilsky | 04.12.2009
    Berlin. Mauerstreifen. Bernauerstraße. Neben der Versöhnungskapelle wächst auf einem halben Hektar Winterroggen. Eine grüne Oase des Erinnerns. Im August hatte die Berliner Bodenforscherin Jutta Zeitz hier 1,20 Meter tief gegraben. Zusammen mit ihren Studenten der Landwirtschaftlichen Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie haben den Stadtboden erforscht. Direkt unterm ehemaligen Todesstreifen.

    "Wir haben alte Löffel gefunden, alte Scherben gefunden. Wir haben Metall gefunden. Wir wissen noch nicht, ob das Metall auch mit diesen militärischen Aktionen zu tun gehabt hat. Das war ganz, ganz spannend."

    Bodenforscher interessiert besonders die Schichtung der Erde. Sie stellt ein außergewöhnliches Archiv dar – erzählt Jutta Zeitz.

    "Böden haben ein Gedächtnis und man kann, wenn man ein Bodenprofil aufgräbt, sehr viel über die Nutzung einer Landschaft erfahren und vielleicht in unserer heutigen Klimadiskussion sogar noch alte Reste von Pollen oder Pflanzenresten finden, dass man weiß, vor 600, 700 Jahren war das und das angebaut und Experten können sogar Rückschlüsse auf bestimmte Klima- und Nutzungsaspekte ziehen."

    Stadtböden sind besonders reich an Geschichten. Im Bodenprofil des Mauerstreifens haben die Forscher entdeckt, dass bis vor 150 Jahren hier noch Ackerbau betrieben wurde. Erst mit Bau der Versöhnungskirche entstand ein neuer Berliner Stadtteil. In den oberen Erdschichten fanden die Bodenkundler Schuttreste. Sie stammen von der Versöhnungskirche, die nach dem Mauerbau gesprengt wurde. Der Berliner Versöhnungsgemeinde wird jetzt zum Weltbodentag ihr "Stadtbodenprofil" zum Geschenk gemacht. Eine Geste, mit der die Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft Stadtböden landesweit ins Zentrum der Öffentlichkeit rücken will. Gerd Wessolek von der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft.

    "Wir sind immer wieder überrascht, welche Leistungen die Böden erbringen. Denn das Grundwasser in den Städten ist meistens sauber, nur in Extremfällen haben wir es mit Kontaminationen zu tun, die bis in das Grundwasser hinein reichen. Auf vielen Industriebrachen wissen wir, dass das Grundwasser verschont ist. Das haben wir den Böden zu verdanken, die die Schadstoffe binden und abpuffern."

    In Berlin befindet sich die Wiege der Stadtbodenforschung. Früh erkannten Wissenschaftler, wie überlebenswichtig funktionierende Böden in Städten sind. Als Regenwasserspeicher und kühlende Flächen an aufgeheizten Sommertagen. Vielleicht steht deshalb Berlin im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht dar, wenn es um den Verbau von Stadtböden geht. Gerd Wessolek, Stadtbodenforscher an der Technischen Universität Berlin.

    "Wenn sie Berlin anschauen, haben sie pro Einwohner 350 Quadratmeter Boden oder Grünfläche. In anderen Städten weltweit ist das viel weniger. In Mexiko-City nur 15 Quadratmeter. Das hat natürlich damit zu tun dass je mehr Freifläche wir haben pro Einwohner, wir uns wohler fühlen und mehr Lebensqualität haben. Deswegen ist es wichtig, die Freiflächen vor weiterer Bebauung zu schützen und den Versiegelungsgrad möglichst klein zu halten."

    In Deutschland werden pro Tag 93 Hektar Boden verbaut oder versiegelt. Vor einigen Jahren waren es noch 120 Hektar. Die Bundesregierung hat zum Ziel, den Flächenverbrauch auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Gerd Wessolek hält das für machbar.

    "Wir müssen dann anders bauen, wir müssen die Flächen effizienter ausnutzen. Der Umbau der Städte fängt jetzt erst an. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Umgang mit Gründächern ganz anders aussehen könnte als wie wir es heute haben. Das wären Herausforderungen baulicher, technischer Art, die wir gerne mitinitiieren möchten."