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Der britische Mindestlohn

Seit Jahren wird in Deutschland über einen landesweiten Mindestlohn diskutiert. Gegner der Idee beteuern immer wieder, eine solche generelle Lohnuntergrenze könnte Arbeitsplätze vernichten und den Wettbewerb verzerren. In Großbritannien hat man andere Erfahrungen gemacht.

Von Tobias Armbrüster | 01.03.2013
    Ein Pub in der Londoner Innenstadt – hinter der Theke steht Mike Colter. Er arbeitet seit Jahren als Kellner und Barmanager – und er hat einige Erfahrung mit dem gesetzlichen Mindestlohn.

    "Ich glaube, der Mindestlohn bei uns ist eine gute Sache. Er hält Arbeitgeber und Unternehmen davon ab, Leute auszunutzen, die verzweifelt nach einem Job suchen. Ich habe schon öfter in meinem Leben für den Mindestlohn gearbeitet und ich war immer froh, dass diese Untergrenze da war."

    Der Mindestlohn liegt in Großbritannien zurzeit bei etwas über sechs Pfund, knapp 7,20 Euro pro Stunde, dieser Satz gilt landesweit - in London also genauso wie in der schottischen Provinz. Festgelegt wird er einmal im Jahr in einem Bürogebäude in der Londoner Innenstadt …
    Die Low Pay Commission, auf deutsch die Niedriglohn-Kommission - die Ermittlung des Mindestlohns ist ihre einzige Aufgabe. Diese Kommission ist besetzt mit jeweils drei Vertretern aus dem Arbeitgeber- und dem Gewerkschaftslager, zwei Akademikern und einem Vorsitzenden, meist ist das ein hoher Beamter der Regierung. Sie treffen sich hier mehrmals im Jahr, um zu beraten. Robin Webb, leitet ein Team von sechs Mitarbeitern, die die Kommission bei ihrer Arbeit unterstützen.

    "Wir machen mit der Kommission im Jahr zehn bis zwölf Reisen durchs ganze Land, da reden wir mit Firmenchefs und mit Arbeitnehmern, wie sie sich die Entwicklung des Mindestlohns vorstellen. Außerdem bekommen wir viele Stellungnahmen mit der Post zugeschickt, und dann vergeben wir eine Menge Aufträge an Forschungsinstitute, um uns ein Bild von der Lage am Arbeitsmarkt zu machen."

    Die Low Pay Commission muss anschließend zu einem einstimmigen Ergebnis kommen, das hat bisher in jedem Jahr geklappt. Die Gruppe gibt ihre Empfehlung danach an die Regierung weiter. Und auch die hat das Votum bisher jedes Mal angenommen. Damit ist dieser Mindest-Stundenlohn dann Gesetz – jeder Arbeitgeber im Land muss sich daran halten.

    "Bei uns haben die Finanzbehörden die Aufgabe, diesen Mindestlohn im Zweifelsfall durchzusetzen, die Finanzämter haben dazu eine eigene Abteilung. Jeder, der unter Mindestlohn bezahlt wird, kann anrufen, die Behörde prüft den Fall und erstattet auch Anzeige. Das muss nicht der Arbeitnehmer selbst machen."

    Eingeführt hat den Mindestlohn die Labour-Regierung unter Tony Blair im Jahr 1999. Damals war diese Idee umstritten, ein Job-Killer hieß es. Inzwischen halten auch die Konservativen daran fest. Die großen Unternehmensverbände sind allerdings nach wie vor skeptisch. Shuren Thiru arbeitet als Analyst bei der britischen Handelskammer, die vertritt mehr als 100.000 Unternehmen im ganzen Land.

    "Wir haben zurzeit ein schwieriges Wirtschaftsklima. Die Unternehmen tun alles, um ihre Kosten zu senken. Wir wollen deshalb nicht den Mindestlohn abschaffen, aber wir sprechen uns dafür aus, dass die Unternehmen für diese Lohnuntergrenze entschädigt werden, etwa mit Steuer-Erleichterungen."

    Die britischen Gewerkschaften dagegen haben den gesetzlichen Mindestlohn immer als Erfolgsgeschichte gesehen, auch wenn einige kritisieren, dass auch 7,20 Euro pro Stunde nicht unbedingt zum Leben reichen.

    " My name is Mike Short …"

    Mike Short ist leitender Mitarbeiter bei Unison, das ist die größte Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst und das Dienstleistungsgewerbe in Großbritannien.

    "Als der Mindestlohn eingeführt wurde, hat das auf einen Schlag zwei Millionen Leute aus der Armut geholt. Er hat uns also eine Menge gebracht. Trotzdem wäre es uns lieber, wenn es ein System gäbe, das den Menschen tatsächlich einen gewissen Lebensstandard garantieren würde. Davon sind wir noch weit entfernt."

    Als das Konzept Ende der 90er-Jahre entwickelt wurde, gab es übrigens auch in Großbritannien mal die Idee, diesen Mindestlohn nach Regionen zu unterteilen, ähnlich wie das jetzt einige Politiker in Deutschland fordern, aber dieser Gedanke wurde schnell wieder verworfen, sagt Robin Webb von der Low Pay Commission.

    "Unsere Untersuchungen haben uns gezeigt, dass es auch in einzelnen Regionen immer noch große Unterschiede gibt, auch auf dem Land gibt es nun mal Gegenden, wo sie billig leben können, und andere, wo man schon mehr Geld verdienen muss. Theoretisch müssten sie also unzählige regionale Mindestlöhne einführen. Das war für uns keine Alternative zu einer landesweiten Lösung."

    Statt nach Regionen ist der Mindestlohn in Großbritannien inzwischen nach Alter unterteilt, es gibt vier Kategorien, der niedrigste Satz gilt für Auszubildende, die bekommen derzeit mindestens drei Euro pro Stunde.