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Der Buckingham-Palast als Horrorschloss

Einen Monat vor ihrem Unfalltod am 31. August 1997 in Paris hatte Princess Diana mit der Journalistin in New York zu Mittag gegessen. Es war Diana, die das Treffen mit der einflussreichen Chefredakteurin des "New Yorker" wollte. Nun hat Brown ein 700-Seiten-Opus als englische Sozialgeschichte über die Prinzessin der Herzen geschrieben.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 28.08.2007
    Jeder Journalist arbeitet sich an ein paar Stories ab, in die er selber involviert ist und an denen er besonders hängt. Sie verfolgen ihn mitunter lebenslang. Oft führen sie zu einem dicken Buch. Dieses hier ist so ein Fall. Einen Monat vor ihrem Unfalltod in Paris hatte Princess Diana mit Tina Brown in New York zu Mittag gegessen.

    Es war Diana, die dieses Treffen wollte, denn Tina Brown war damals eine der einflussreichsten Frauen im amerikanischen Medienbetrieb; als Chefredakteurin des "New Yorker" hatte sie seit fünf Jahren das renommierteste Kulturmagazin der Welt entkernt, umgebürstet, renoviert und um den Preis atemberaubender Stilbrüche auf wirtschaftlichen Erfolgskurs gebracht. Zuvor war ihr ähnliches mit "Vanity Fair" gelungen, und davor hatte sie der traditionsreichen, aber verschnarchten britischen Upper-Class-Zeitschrift "Tatler" neues Leben eingehaucht. 1979 war das, und Tina Brown, ein blondes Gift von 26 Lenzen, hatte bereits eine beachtliche publizistische Karriere hinter sich.

    Mit 21 begann die Oxford-Absolventin für die Londoner "Sunday Times" zu schreiben, strich auf Anhieb mehrere Journalistenpreise ein und verdrehte den Starautoren Martin Amis und Auberon Waugh gleichzeitig den Kopf. Es war aber der damalige Chefredakteur der "Sunday Times", Harold Evans, von dem sie sich 1981 heiraten ließ, und mit dem sie später in New York ein geradezu furchterregendes Duo bildete: Er war Präsident des Verlags Random House (bevor Bertelsmann ihn kaufte) und Chef des Nachrichtenmagazins "US News & World Report", während sie mit dem "New Yorker" einen Knüller nach dem anderen landete.

    Genau zur selben Zeit, als Tina und Harold heirateten, war die Weltaufmerksamkeit auf eine andere Hochzeit gerichtet: Der britische Thronfolger Prinz Charles schloss mit Lady Diana Spencer vor 750 Millionen Fernsehzuschauern den berühmten Bund fürs Leben. Später sollte die Braut diesen Tag als den schrecklichsten in ihrem Leben bezeichnen.

    Der Buckingham-Palast ist wie gemacht für Bulimiker. Er ist erstickend eng und leer zugleich, und jedermann ist darauf trainiert wegzuschauen. Im Innern erscheint er wie das königliche Pendant zu dem gespenstischen Film "Das Dorf". Die Bewohner sprechen dieselbe Sprache wie ihre Nachbarn, aber sie leben auf einer anderen Astralebene. Der Palast beherbergt die Büros der königlichen Beamten, Sekretäre, Buchhalter und Kammerherrn sowie ganze Kompanien von Lakaien, Butlern, Zofen und so weiter, die eine eigene Polizeiwache und eine eigene Berufsfeuerwehr, ein eigenes Postamt; eine Arztpraxis, eine Wäscherei, eine Kapelle samt Kaplan, Elektriker, Schreiner, Vergolder und Klempner haben.

    Das klingt vielleicht so, als sei Diana von munterer Geschäftigkeit umgeben gewesen, aber weit gefehlt. Die meisten Angestellten arbeiten im Verborgenen, in Räumen, die durch unterirdische Gänge miteinander verbunden sind. Über der Erde sieht man selten einen Menschen in diesem Labyrinth von insgesamt über 600 Räumen. Einmal in einen falschen Gang abgebogen, und man landet womöglich mitten in einem langweiligen Cocktailempfang oder einer lamettaglänzenden militärischen Zeremonie. Da die Bediensteten kaum zu atmen wagen und immer den Blick abwenden, haben alle, die dort wohnen, das Gefühl, unsichtbar zu sein.

    Im Lichte der Geschichte ist es natürlich angebracht, den neuen Wohnort von Prinzessin Diana als Horrorschloss darzustellen, aber die Öffentlichkeit empfand es damals anders. Damals sahen es die meisten so, dass die kleine Spencer das große Los gezogen habe. Immerhin war der Prinz von Wales zwar nicht unbedingt der attraktivste, wohl aber der begehrteste Junggeselle des Vereinigten Königreichs, und viele wunderten sich, wie er ausgerechnet an jene unscheinbare Zwanzigjährige geraten war, die von der Boulevardzeitung "The Sun" erstmals "Lady Di" genannt wurde, woraus dann bald "Shy Di" wurde - in Anspielung auf ihr nervöses Gekicher und ihren scheu gesenkten Blick.

    Bis zur Hochzeit hat die Biografin Tina Brown bereits auf 200 Seiten die ganze verkorkste Familiengeschichte der altadeligen Spencers und Dianas frühkindliche Beschädigungen erzählt: die gescheiterte Ehe ihrer Eltern, der üble Rauswurf der Mutter, als sie ihre Kinder sehen wollte, ein tölpelhafter Vater, der den Kindern seine Liebe hauptsächlich dadurch zeigte, dass er sie fotografierte - ein in der Tat bemerkenswerter Fingerzeig, denn Dianas Posieren vor Kameras war später auch eine Art Liebeswerben - und der Einzug einer durchaus exzentrischen Stiefmutter namens Raine, die den Kindern gar nicht passte.

    Aristokratenkinder sind in ihren Manieren auf fast schon aggressive Weise locker. Von ihren Eltern übernehmen sie den in ihrer Klasse kultivierten Snobismus, der im Proletengewand daherkommt und darauf abzielt, gesellschaftliche Emporkömmlinge abzuschütteln und deren Versuche, in ihre Kreise vorzudringen, abzuwehren. Je höher der Rang, desto mehr spielt man diesen herunter. Für die Spencer-Kinder war es unvorstellbar, dass ihr unauffälliger, unprätentiöser Vater eine Frau so sehr bewundern sollte, die gegen all die restriktiven Aufnahmebedingungen verstieß. Sie verabscheuten Raine vom ersten Moment an.

    Sollte man sich bei der Lektüre dieses 700-Seiten-Opus' hin und wieder fragen, weshalb man sich eigentlich mit der Regenbogenwelt einer strohdummen Prinzessin, ihren Seelennöten und Körperdysfunktionen sowie dem ganzen auf Adelsverehrung gegründeten Gesellschaftskitsch überhaupt beschäftigt, so sind es solche Passagen, die immerhin beim Finden einer Antwort helfen: Die aggressive Lockerheit von Aristokratenkindern ist gut beobachtet, wie überhaupt ein Luftzug von Sozialgeschichte erfrischend durch die Seiten weht.

    Im übrigen gilt: Die meisten der hier auftretenden Personen sind weniger aus sich heraus interessant; sie sind es vielmehr aufgrund ihrer Stellung. Auch die seinen Kindern so verhasste neue Lebensgefährtin des Earl Spencer, Raine, hatte einen geradezu tragischen Background zu bieten: Sie war die Tochter der Schnulzenschriftstellerin Barbara Cartland. Dianas Vater heiratete sie schließlich, ohne es seinen Kindern auch nur anzukündigen, geschweige denn sie einzuladen - wofür ihm Diana bei passender Gelegenheit voll ins Gesicht schlug.

    Oh ja, es geht in dero Kreisen mitunter heftig zu, und dieses Buch ist voll von saftigen Geschichten: Ehebruch, Fremdgehen, Verrat, Betrug - die menschliche Komödie erweist sich wieder einmal als hauptsächlich libidogesteuert. Auch und gerade das Schicksal der Prinzessin Di verdankt seine Tragik den pochenden Impulsen der Sexualität - nicht zuletzt auf Seiten ihres Mannes, der schon in den Flitterwochen von einer anderen Frau träumte.

    Diana war voller Verlangen, aber ohne Fantasie. Sex gab es in den Flitterwochen "nicht oft", und wenn, dann "war es kaum der Rede wert". Kaum mehr als ein "Roll-on/Roll-off" sei es gewesen, sagte Diana später. Die Probleme, so vertraute sie James Colthurst an, seien "geographischer" Natur gewesen, ein Hinweis darauf, dass entweder Seine Königliche Hoheit Schwierigkeiten hatte, ihre erogenen Zonen aufzuspüren, oder dass seine eigenen erogenen Zonen dorthin strebten, wo sie sie nicht haben wollte. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass Dianas ständiges Erbrechen der sexuellen Beziehung nicht eben förderlich gewesen sein kann.

    Bekanntlich lebt eine ganze Medienindustrie von dem obsessiven Interesse vieler Menschen an königlichem Geschlechtsverkehr. Tina Brown versucht - und es gelingt ihr insgesamt recht gut -, diese beiden Themenfelder gleichermaßen zu beackern: die Geschichte einer langsam alle Maßstäbe verlierenden Presse sowie die Geschichte einer ehelichen Zerrüttung inklusive einschlägiger Pikanterien.

    Zum Beispiel beteiligt sich die Autorin ernsthaft an der in England mit großem Eifer geführten Diskussion um die Möglichkeit, dass Charles und Diana es schon vor der Hochzeit miteinander taten. Insbesondere geht es um die vom "Sunday Mirror" im November 1980 aufgebrachte Vermutung, die beiden hätten sich insgeheim zu Schäferstündchen im königlichen Zug getroffen, der in Wiltshire auf einem Abstellgleis stand. Wahrhaftig deutet alles darauf hin, daß es so war, denn einer der zur Bewachung des Zugs eingesetzten Polizisten hatte die Sache dem "Mirror" gesteckt. Wenn Brown allerdings schreibt, dass dem Polizisten das Kennzeichen des Autos, mit dem die Geliebte des Prinzen erwartet wurde, vorher zugefaxt worden sei, dann stellen sich Zweifel an der Akribie dieser Recherche ein, denn 1980 gab es in englischen Polizeistationen noch keine Faxgeräte.

    Doch abgesehen von der Freude am Detektivspiel und an allem, was mit den neun weinroten Wagons des königlichen Zugs zusammenhängt, erhebt sich die Frage, auf welchen Geisteszustand es eigentlich hindeutet, den Liebkosungen zweier unverheirateter Menschen solche Beachtung zu schenken. Es gehört nun zu den Vorzügen von Tina Browns Erzählung, daß sie mit Dianas Leben immer wieder den Geisteszustand einer ganzen Epoche thematisiert.

    Aus heutiger Sicht erscheint die Suche nach einer geeigneten Jungfrau als Braut für Prinz Charles Ende der siebziger Jahre so anachronistisch und frauenfeindlich wie die in Afrika praktizierte Genitalverstümmelung. Reichlich bizarr wirkte sie auch schon damals. Nur jemand, der so rückständig war wie die achtzehnjährige Lady Diana Spencer, konnte sagen:

    "Ich wusste, dass ich mich für das, was vor mir lag, rein erhalten musste."

    Rein? Die Rede ist von einer Zeit, in der es die Pille schon gab, Aids noch unbekannt und vorehelicher Sex - zügellos und nicht unbedingt wählerisch - gang und gäbe war. Die Mädchen trugen keine BHs unter ihren Zigeunerblusen, die Jungen lange Haare und enge Jeans, in der Stereoanlage liefen die Stones, im Kino sah man immer öfter nackte Menschen von vorn, und es gab kaum einen empfindungsfähigen Briten (oder Amerikaner oder Europäer) im Alter zwischen zwölf und fünfzig Jahren, der nicht an Sex gedacht hätte.

    Gleichwohl gab es gerade in der Gesellschaftsschicht, aus der Diana stammte, eine geistige Beschränktheit, die man sich heute fast nicht mehr vorstellen kann. Das Internat, das sie besuchte, kannte als Bildungsziel nur Nettigkeit und haushaltliche Qualitäten, und es machte auch nichts aus, dass sie mit 17 keine einzige ihrer Mittelschul-Abschlußprüfungen bestand. Später sollte sie sich des öfteren mit koketten Charme als "dumm wie Bohnenstroh" bezeichnen, und als sie einmal vor einer gefährlichen Ecke gewarnt wurde, damit sie sich nicht am Kopf stoße, erwiderte sie, das sei bei ihr nicht schlimm, es sei ja eh nichts drin.

    Aus solchen Defiziten erwuchs, was später ihre große Stärke wurde: eine Form von emotionaler Intelligenz, mit der sie alle Royals in die Tasche steckte. Ihre fabelhafte Fähigkeit, das Volk zu faszinieren, beruhte auf jener unkomplizierten Direktheit, mit der sie gelernt hatte, Kranke zu pflegen, Geschirr zu spülen und Kinder zu betreuen. Insofern war sie das absolute Gegenteil von Prinz Charles, allerdings aufgrund einer gleichermaßen rückständigen Erziehung.

    Wer außer ihm war - wie früher die russischen Zarenkinder - den Kameras noch in weißen Matrosenanzügen präsentiert worden, wer außer ihm hatte die ganze Flower-Power-Ära seiner Jugend hindurch einen Scheitel getragen, der niemals nach oben oder unten rutschte? Wer außer ihm zupfte mit vierzehn Jahren ständig an seinen Manschetten oder begrüßte seine Mutter am Flughafen mit einem Händedruck?

    Auch die Zerstreuungen des Prinzen waren die eines doppelt so alten Mannes. Ob beschaulich oder sportlich, alles geschah routiniert und ritualisiert. In den Briefen an seine Freunde, die er auf der Britannia schrieb, sprach er von seiner jungen Frau wie ein Großvater von seiner halbwüchsigen Enkelin: "Diana schwirrt herum und plaudert mit den Matrosen und den Köchen in der Kombüse, während ich, tief versunken in den reinen Genuss eines Buches von Laurens van der Post, wie ein Eremit auf dem Verandadeck sitze."

    Mehr noch als Laurens van der Post, dessen Bücher der Prinz lieber las, als seine Frau von Köchen und Matrosen fernzuhalten, stand eine Person namens Camilla Parker-Bowles dem Eheglück Dianas im Wege. Wir wissen inzwischen nur zu genau, wie die Geschichte ausgegangen ist; wir wissen dank abgehörten Telefongeflüsters, dass Charles gerne ein Tampon in Camillas Scheide wäre, wir wissen dank unzähliger Enthüllungsbücher von Bediensteten und anderswie Beteiligten, dass Camilla von Anfang an und ständig Charles'Geliebte war, dass er sogar auf seiner Hochzeitsreise die von ihr erhaltenen Manschettenknöpfe trug, und dass die beiden darauf hofften, Diana würde sich auf ein solches Dreiecksverhältnis, für das es in den Familien des Hochadels etliche Beispiele gibt, klaglos einlassen. Schließlich war Camilla im Gegensatz zu Diana eine begeisterte Reiterin, und eine der lapidarsten Weisheiten des britischen Kamasutras à la Tina Brown lautet:

    "Frauen, die Pferde lieben, mögen im Allgemeinen auch Sex."

    Eine Formulierung, die nur noch überboten wird durch die liebestechnische Andeutung, Camilla verfüge über die seltene Begabung, "ein Soufflé aufzuwärmen". An diesem Punkt müssen wir kurz innehalten, um aus der königlichen Unterwäsche heraus mit Tina Brown einen Blick auf den Zustand der englischen Gesellschaft und besonders der englischen Presse in den 1980er und 90er Jahren zu werfen.

    Unmittelbar bevor Diana Spencer so nachhaltig ins Licht der Öffentlichkeit trat, verschob sich aufgrund eines medialen Klimawandels das ökologische Gleichgewicht zwischen der britischen Presse und der Königsfamilie. Die Sonne der Publizität, in der Diana anfangs - lächelnd und für die Kameras posierend - nur allzu gern badete, wurde zunehmend greller und heißer.

    Während die Zudringlichkeit der Presse immer öfter mit dem menschlichen Bedürfnis nach Privatsphäre kollidierte, wurden aus vereinzelten Schauern schwere Regengüsse und schließlich tödliche Wirbelstürme. Das Tragischste an dem Unglück 1997 in dem Pariser Tunnel war, dass Di selbst die Klimaänderung beschleunigt hatte, die ihr am Ende ein Weiterleben buchstäblich unmöglich machte.

    Wie hoch der Anteil einer einzelnen Diana am Klimawandel ist, mag einmal dahingestellt bleiben. Brown beschreibt aber seitenlang, in welchem desolaten Zustand sich England befand, als Dianas Karriere anfing. Es war die Zeit, als ein verkrusteter, aus dem Ruder gelaufener Wohlfahrtsstaat nur noch Pfusch hervorbrachte, als alles Englische als ein einziges Desaster angesehen wurde, und das Desaster zum beliebtesten Unterhaltungsprinzip wurde. Die Komik der "Monty Python"-Truppe spiegelte dieses Zeitgefühl genau wider, und der Verfall der nationalen Selbstachtung bildete auch den Nährboden für eine radikalvulgäre Klatschindustrie, wie man sie so noch in keinem Land der Welt kannte.

    Wie sehr sich die Berichterstattung über die Royals verändert hatte, lässt sich daran ermessen, wie die Queen während ihrer eigenen Schwangerschaften behandelt worden war. Als Prinz Charles und Prinzessin Anne unterwegs waren, hieß es nur, sie befinde sich "in einem interessanten Zustand", und das Fotografieren dieses "Zustands" wurde untersagt. Noch Anfang der achtziger Jahre, vor Demi Moores Zeiten, als es noch nicht üblich war, dass schwangere Starlets nackt für die Titelseiten nationaler und internationaler Magazine posierten, grenzte das Foto einer schönen Schwangeren, deren nackter Bauch unmissverständlich ihre sexuelle Erfahrung kundtat, an Pornografie.

    Was Tina Brown an dieser Stelle nicht erwähnt, ist, dass sie selbst es war, die im August 1991 den berühmten "Vanity-Fair"-Cover mit der schwangeren Demi Moore zu verantworten hatte. Zwischen dem Foto eines kunstvoll zur Schau gestellten nackten Bauches und der zerstörerischen Hatz auf privateste Details im Leben sogenannter Stars besteht jedoch ein Unterschied. Irgendwann kam hier eine Lawine ins Rollen, und Diana hatte das Pech, dass es genau dann geschah, als sie durch das Scheitern ihrer Ehe mit Prinz Charles am verwundbarsten und - journalistisch gesehen - am interessantesten geworden war.

    Mit ihrem offiziellen Rückzug aus der Öffentlichkeit hatte sich der Preis eines Fotos von Diana um fünfundzwanzig Prozent erhöht. Eine Serie mit Fotos von ihr beim Einkaufsbummel brachte bis zu zweitausend Pfund ein. Diana im Badeanzug war zehntausend Pfund wert, und das galt nur für die Abdruckrechte innerhalb Großbritanniens; Fotos von Garbo Di kosteten im Ausland dreimal so viel wie zu Hause. Mittlerweile nahm sie einen Spitzenplatz unter den Fotoobjekten ein.

    Neue Celebrity-Hochglanzmagazine steigerten die Nachfrage noch weiter. Die etwas zahmeren Zeitschriften "OK!" und "Hello!" konkurrierten jetzt mit reißerischen Titeln, die auf den lukrativen Markt der Wochenzeitschriften drängten. In den neunziger Jahren garantierte ein Foto von Diana auf dem Titel eines solchen Magazins eine Auflagensteigerung von mindestens zehn Prozent.

    Die Tatsache, dass das Sensationsblatt "Daily Express" selbst heute noch fast jeden Montag (sonntags passiert meist nicht viel Berichtenswertes) Diana-Fotos und -Geschichten bringt, beweist die erstaunliche Langlebigkeit des Diana-Effekts. Darin besteht ja das Wesen der Stars: Sie sind Chimären der Menschlichkeit, Hirngespinste einer nach Heiligen lechzenden Masse, Platzhalterfiguren auf dem abgeräumten Tableau der Metaphysik.

    Göttinnengleich schwebte Diana durch unsere kollektiven Phantasien, unsere Augen dichteten ihr einen Liebreiz an, den die Kameralinsen durchaus nicht einzufangen vermochten, und je schlechter ihr Verhältnis zu Charles wurde, desto mehr öffentliche Sympathie gewann sie. Diana erschien immer königlicher, während die Royals zunehmend den Eindruck abgehalfterter Funktionsträger erweckten. Sie strahlte das Fluidum aus, das eine Nation von ihren Monarchen erwarten darf, und das nicht nur in korrekter Abwicklung der Amtspflichten, sondern auch in einer Portion Charme und einer Prise Leid besteht.

    Als sie sich, zwei Jahre vor ihrem Tod, in einem großen Fernsehinterview ihren Kummer von der Seele redete, war dies im Lande Shakespeares gleichsam ein Theaterereignis von allergrößtem dramatischen Kaliber. Überhaupt hat das Vorhandensein des Königshauses ja viel mit der Theatertradition Englands zu tun, das heißt: mit dem Willen und der Fähigkeit des Volkes, sich über Symbole zu verständigen und diese Ebene des Symbolischen für sakrosankt zu halten.

    Wer dieses Moment der Transzendenz nicht sieht und die Royals nur für Folklore hält, hat von der tiefen Zuneigung der Briten für ihre Fürsten nichts verstanden. Gerade in der gemeinsamen Trauer trat dieses Moment, dem im modernen Staatswesen ein eklatantes Defizit entgegengähnt, deutlich hervor. Diana war dennoch - und damit transzendierte sie ihre Rolle sozusagen rückwärts - eine Prinzessin aus Fleisch und Blut.

    Das zeigte sich den Rettungssanitätern am Morgen des 31. August 1997 auf grauenhafte Weise.
    Zwei Stunden lang versuchten Ärzte, sie im Pariser Krankenhaus Pitié-Salpêtrière wiederzubeleben: erst durch äußere Herzmassage, dann schnitten sie ihren Brustkorb auf und nahmen das Herz in ihre Hände - das Herz der Prinzessin. Wenn das kein Shakespearesches Motiv ist!

    Tina Brown: Diana - die Biographie
    Aus dem Englischen von Sylvia Höfer, Barbara Heller, Andrea von Struve und Rudolf Hermstein. Droemer Verlag, 784 Seiten, 19, 90 Euro.