Dienstag, 23. April 2024


Der Charme einer Amtsstube

Fernando Brito kommt schnell zur Sache: "Unser größtes Problem ist der Müll", sagt er gleich zu Anfang. Brito ist seit Januar der neue Bürgermeister der Kommune Cairú, zu der auch die Insel Boipeba gehört. "Wir haben auf den drei großen Inseln je eine Müllkippe", erklärt Brito. Sein Ziel: Der Abfall soll weg, aufs Festland - und das am besten ordentlich getrennt.

Von Jörg-Christian Schillmöller mit Fotos von Dirk Gebhardt | 01.08.2013
    Für das Interview mit dem Präfekten sind wir eine halbe Stunde mit dem Schnellboot von Boipeba nach Cairú gefahren - dort hat das Rathaus des Archipels seinen Sitz, ein unschönes Gebäude in rosa. Auch drinnen herrscht der Charme einer Amtsstube. Neonlicht auf den Fluren, Durchzug - und dunkelbraune Türen, die zuknallen. Auf dem Laptop einer Sachbearbeiterin klebt ein großes Comic-Kätzchen in pink.

    Fernando Britos Büro liegt im ersten Stock. Den Präfekten selbst bekommen wir aber erst einmal nicht zu Gesicht. Eineinhalb Stunden lässt er uns im Konferenzraum warten - bei einem Cafécinho, einem Glas Wasser und einer rauschenden Klima-Anlage. Der Raum erinnert an das Behandlungszimmer eines Zahnarztes.

    Boipebas Bürgermeister Fernando Brito
    Boipebas Bürgermeister Fernando Brito (Dirk Gebhardt)
    Dafür kommt nach 45 Minuten der junge und smarte "Secretario de Turismo" herein: Tourismus-Dezernent Bruno Wendling. Er hat deutsche Urgroßeltern, ist selbst aber nicht deutschsprachig. Seine Frau hat er nach der Zusage für den Job in Cairú über Facebook gefragt, ob sie mit ihm hierher zieht. Sie hat ja gesagt.

    1000 Betten auf Boipeba
    Bruno Wendling hat die Zahlen: 100.000 Touristen kommen jedes Jahr in das Archipel, 80 Prozent davon nach Morro de São Paulo. Das ist der brasilienweit bekannte Badeort auf der Nachbarinsel Tinharé (das Ibiza Brasiliens). Den Rest teilen sich Boipeba und Cairú. 10.000 Betten gibt es auf Tinharé, 1000 auf Boipeba.

    Bruno Wendling, Dezernent für Tourismus
    Bruno Wendling, Dezernent für Tourismus (Dirk Gebhardt)
    Bislang kommen die meisten Touristen aus Brasilien - und nur ein Fünftel aus dem Ausland. "Wir wollen versuchen, den Tourismus mit Sportevents von der Spitzensaison zu lösen und in den Rest des Jahres zu ziehen", sagt Bruno Wendling. Mit Spitzensaison meint er zum Beispiel den brasilianischen Hochsommer. Das ist die Zeit um Weihnachten und Silvester.

    Dann ist es soweit: Der Präfekt empfängt uns in seinem Büro, gleich nebenan. Dort beobachtet uns seine Familie vom Sideboard: vier große Fotos stehen dort - zwei im Quer-, zwei im Hochformat - allesamt eingerahmt in Leopardenfell-Imitat. Fernando Brito erläutert uns, wie er das Müllproblem in den Griff bekommen will (Details dazu in unseren nächsten Blog-Einträgen, wir besuchen die Deponie auf Boipeba morgen).

    Zu viel Geld für die WM-Stadien
    Der Präfekt ist - bei aller politischen Rhetorik - offen und selbstkritisch. Ja, er habe die Proteste im Juni aufmerksam verfolgt, sagt er. Und er habe - abgesehen von einigen Vandalen - auch viel Verständnis für die Menschen. Es sei tatsächlich im Verhältnis viel zuviel Geld für die WM-Stadien und viel zu wenig für Gesundheit und Bildung ausgegeben worden. Dass es hier im Archipel um die Gesundheit ganz gut bestellt ist, haben wir bereits berichtet. Dass es in der Bildung dagegen noch hapert, haben wir schon öfter gehört. Auch das räumt Brito gleich ein.

    "Wir hatten hier jahrzehntelang ein Landschul-System", sagt er. Das heißt: Ein Gebäude, drei oder vier Klassenzimmer, keine Kantine. "Die Umstellung auf moderne Schulen dauert ihre Zeit", sagt er. "Unter anderem auf Boipeba haben wir aber jetzt eine Modellschule. Mit Computerraum und allem drum und dran". Und die Lehrer? Bisher haben die Bewohner des Archipels uns erzählt, dass es zwar keinen nennenswerten Lehrermangel gibt, aber dass die pädagogische Ausbildung nicht gut ist.

    Baustellenschilder in der Bezirkshauptstadt Cairú
    Die Präfektur wirbt für sich (Dirk Gebhardt)

    Auch das bestätigt uns Fernando Brito. Ein Grund dafür nach seinen Worten: Die jungen Leute, die eine gute Lehrerausbildung wollen, müssen den Archipel verlassen und anderswo studieren - zum Beispiel in Salvador da Bahia. Das Niveau steigt aber inzwischen, da die offen Stellen heute überregional ausgeschrieben werden.

    Geld gegen Öl und Gas
    Über die "Royalties" sprechen wir ebenfalls - das sind die Kompensationszahlungen, die ein Energiekonzern an die öffentliche Hand abführen muss, um die Ressourcen der Region zu nutzen. Sprich: Geld gegen Öl und Gas. Wie hoch ist der Anteil dieser Royalties am Gesamthaushalt von Cairú?

    Fernando Britos Antwort überrascht uns: Es sind gut 50 Prozent - bei einem Gesamtbudget von bis zu 60 Millionen Reais (ca. 25 Millionen Euro). Doch diese Geldreserve ist endlich: "Wir wissen, dass die Royalties eines Tages auslaufen. Darum haben wir in den ersten Jahren (sie fließen seit 2007) viel in die Infrastruktur investiert, in Straßen und Gebäude, um bleibende Werte für die Bevölkerung zu schaffen".

    Fernando Brito erläutert uns auch noch das Wappen von Cairú, in dem sich Geschichte und Gegenwart des Archipels begegnen. Zu sehen sind die beiden Palmenarten, die hier wirtschaftlich genutzt werden (Dendê und Pia Saba), außerdem zwei Fische für die Fischerei und zwei Hände mit Blutmalen für die Sklaven, die einst mit harter Arbeit den Aufstieg Cairús ermöglichten. Und dann steht da noch "Domus solis": Auch das ist ein Zitat aus der Geschichte der Insel. In der Sprache der Tupinambá (die vor den Kolonialherren hier lebten) heißt Cairú tatsächlich: "Haus der Sonne".


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    Jörg-Christian Schillmöller
    ist seit 2001 Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk. Er war mehrfach für den Sender im Ausland auf Reportage-Reisen - zuletzt 2012 mit Dirk Gebhardt im Iran. Brasilien hat er im vergangenen Jahr entdeckt.

    Dirk Gebhardt ist Fotograf und Professor für Bildjournalismus an der FH Dortmund. Er arbeitet seit Frühjahr 2012 an einer Langzeit-Dokumentation über den Sertão, eine Trockenwüste im Nordosten Brasiliens. Fotografiert hat er neben Südamerika auch in Afrika und auf dem Balkan.
    Karte von Boipeba