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Der Demaskierer des Bewusstseins

Ödön von Horvaths Stücke wurden von den Nationalsozialisten verboten und in den 60ern wiederentdeckt. Heute sind sie fester Bestandteil deutscher Bühnen. Am 1. Juni 1938 starb der erst 36-Jährige unter tragischen Umständen.

Von Hildegard Wenner | 01.06.2013
    Schweigen soll Gold sein? Schweigen ist ein Grabenkrieg, den automatisch der Falsche gewinnt. Und der hat anschließend das Wort. Er sagt nicht, was er meint und meint nicht, was er sagt, stolpert in einer Sprache herum, die ihm nicht gehört – und hat doch keine andere. Der Kampf zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein, wie Ödön von Horvath die Pausen – und davon gibt es viele - in seinen Stücken nennt, gebiert immer die verkehrten Antworten

    Kasimir und Karoline:
    - "Das ist ein krasses Missverständnis, was du da nämlich jetzt denkst."
    - "Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur."

    In einem Jargon, den sie nicht beherrscht, redet sich die Büroangestellte Karoline auf dem Münchner Oktoberfest in den falschen Film und ins private Unglück hinein, verliert nicht nur ihren Verlobten Kasimir, sondern auch sich selbst dabei.

    "Ich habe es mir halt eingebildet, dass ich mir einen rosigeren Blick in die Zukunft erringen könnte. Und einige Momente hab ich mit allerhand Gedanken gespielt."

    Nicht nur in seinem 1932 uraufgeführten Volksstück "Kasimir und Karoline" knüpft Horvath die existenziellen Nöte der Kleinbürger in den Wirtschaftskrisenzeiten an ihre Beziehungsfähigkeit: Liebe muss sich rentieren; dabei statuiert dieser "Zwischenkriegsdramatiker" aber kein didaktisches Exempel wie etwa sein Zeitgenosse Bert Brecht. Horvath lässt die Leute in seiner Menschenexperimentierbude einfach reden, falsch zitieren, sich selbst betrügen in einem unablässigen Strom von Gefühlskitsch.

    "Ich schreibe nicht gegen, ich zeige es nur. Ich habe nur zwei Dinge, gegen die ich schreibe, die Dummheit und die Lüge."

    Als Adelsspross einer ungarisch-österreichisch-deutschen Diplomatenfamilie am 9. Dezember 1901 in Fiume, dem heutigen Rijeka, geboren, in der und um die Donaumonarchie herum in den verschiedensten Sprachen und Dialekten aufgewachsen, war Horvath wohl prädestiniert, hinter den Sinn der Worte und Wörter zu blicken, theoretisch unterfüttert noch durch ein Philosophie- und Germanistikstudium in München. Stets betonte er, dass es ihm nie um die Demaskierung des Menschen, nur des Bewusstseins gehe. Seine Stücke - 17 insgesamt – nannte er Tragödien.

    "Komisch sind sie nur, weil sie unheimlich sind."

    - "Du sollst nicht so herumbohren in meinem Kopf."
    - "Ich möchte Dir mal in den Kopf hineinschauen. Ich möchte einmal die Hirnschale herunter und nachkontrollieren, was du da innen denkst."
    - "Aber das kannst du nicht."


    Und dennoch wird der Fleischermeister Oskar seine Trophäe namens Marianne am Ende zum Traualtar schleppen: "Du wirst meiner Liebe nicht entgehen." Mit der allergrößten Gemütlichkeit hat man in der schönen Wachau Mariannes uneheliches Kind ermordet und ihren Willen gebrochen. Horvaths Weg ins Glück ist immer der brutalstmögliche. Gerade die "Geschichten aus dem Wiener Wald" bündeln das ganze Typenkabinett des Dramatikers und Erzählers Horvath.

    Die vielen Facetten der kleinen Gemeinen präsentierte er schon 1930 in dem Episodenroman "Der ewige Spießer". Und immer galt sein besonderes Interesse der Beute des Spießers, dem Fräulein, das sich - wie man so sagt - in die Verhältnisse schickt.

    "Kennt ihr das Märchen von Fräulein Pollinger? Sie arbeitete im Kontor einer Kraftwagenvermietung, dort konnte sie sich höchstens ein Fahrrad auf Abzahlung leisten. Hingegen durfte sie ab und zu auf einem Motorrad hinten mitfahren, aber dafür erwartete man auch meistens was von ihr."

    Das Glück des Fräuleins: Horvath ist auch sein Verbündeter. Und deshalb ist es weder Flittchen noch Hure, nur ein Kind seiner Zeit. Leider darf es sich unter seiner Feder kaum je emanzipieren, denn sein Erfinder hat

    "kein anderes Bestreben, als die Welt so zu schildern, wie sie halt leider ist."

    In Murnau zum Beispiel, wo Horvaths Eltern eine Ferienvilla besitzen. Dort, nahe an der "Hauptstadt der Bewegung", ist der latente Faschismus überhaupt nicht mehr latent. Horvaths "Italienische Nacht", die davon handelt, wird 1931 in Berlin uraufgeführt. Seit Mitte der 20er pendelt der Dramatiker zwischen der Theaterhauptstadt Berlin und Murnau. Nach Hitlers Machtantritt wird er, wie viele seiner Freunde, ein Exilreisender: Österreich, Ungarn, solange es noch geht. Ende Mai 1938 fährt er nach Paris, der dorthin geflüchtete Robert Siodmak will seinen Roman "Jugend ohne Gott" verfilmen.

    Das französische Wetter am 1. Juni jenes Jahres kommt direkt aus einem Horvath-Drama: Es stürmt, blitzt und donnert. Zum Opfer fallen ihm diesmal eine alte Kastanie - und der junge, 36-jährige Ödön von Horvath. Er ist, schreibt Joseph Roth in einem Nachruf,

    "Opfer eines jener Unfälle geworden, die wir als sinnlos zu bezeichnen pflegen, weil uns das Unerklärliche sinnlos erscheint."