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Der Deutsche und sein Auto
My car is my castle

Deutschland gelte nicht ohne Grund als Auto-Nation, meint Burkhard Müller-Ullrich. Die Autohersteller genießen Weltruf und tragen zu einem beachtlichen Teil des allgemeinen Wohlstands bei. Dass es gerade auch in Deutschland eine Menge Leute gebe, die gegen Autos seien, sei auch eine Folge des allgemeinen Wohlstands.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 02.08.2017
    Automarken VW, BMW, Audi, Porsche, Mercedes, Symbolfoto zum Kartellverdacht (Fotomontage)
    Die Deutschen lieben Autos und deutsche Autos werden in der ganzen Welt geschätzt. (imago stock&people)
    "Au-to" ist eines der ersten Wörter, die ein Kleinkind sagen kann. Später, mit 18, wird an der Volljährigkeit nichts so wichtig und erstrebenswert sein wie die Möglichkeit, einen Führerschein zu bekommen und selber Auto zu fahren. Noch etwas später, wenn es um die Anschaffung eines eigenen Wagens geht, zeigt sich die besondere Stellung des Autos in unserer Lebenswelt darin, dass es das teuerste aller Konsumgüter ist. Deshalb unterliegt das Marketing exorbitanten Anstrengungen. Nirgendwo wird so viel Geld in die Markenführung investiert wie in der Autobranche und nirgends glaubt man so inbrünstig an die Metaphysik der Namen: VW, Audi, Porsche, BMW, Mercedes, Opel und so weiter. Zu jeder Marke treten komplette Charaktere vors geistige Auge; man weiß einfach, was ein Porsche-Fahrer im Unterschied zu einem Opel-Fahrer ist.
    Es heißt, dass dies in Deutschland stärker ausgeprägt sei als in anderen Ländern. Das stimmt zum Teil. Ohne Zweifel sind wir eine Auto-Nation. Unsere Autohersteller genießen Weltruf und tragen in der Heimat immer noch zu einem beachtlichen Teil des allgemeinen Wohlstands bei. Es gibt aber auch und gerade in Deutschland eine Menge Leute, die gegen Autos sind und die Autoindustrie nach Kräften bekämpfen. Das ist, unter anderem, eine Folge des allgemeinen Wohlstands: Man hält ihn für selbstverständlich und vergisst, woher er eigentlich kommt.
    Seit Jahrzehnten macht sich eine Anti-Auto-Stimmung breit
    Die historischen Gründe, warum das Auto für die Deutschen so eine wichtige Rolle spielt, sind relativ simpel: Erstens hat der Straßenverkehr in diesem dezentralen Land von jeher höchste Bedeutung, zweitens gibt es traditionell ein ausgezeichnetes Ingenieurwesen, und drittens haben die Menschen genügend Geld, um sich immer wieder neue Wagen leisten zu können. Die Gründe, warum sich gerade in Deutschland seit Jahrzehnten eine Anti-Auto-Stimmung breit machen und eine Anti-Auto-Partei zu einer bestimmenden politischen Kraft werden konnte, sind dagegen schwerer zu verstehen. Es ist die gleiche grüne Ideologie, die hinter der sogenannten Energiewende steckt, mit der eine weitere Wohlstandssäule, nämlich die Kraftwerksindustrie, niedergerissen wurde.
    Kraftfahrt und Kraftwerke sind insofern verbunden, als man ihnen einer scheinheiligen Umweltromatik zuliebe den Garaus gemacht hat. Dahinter steckt etwas, das als Technikfeindschaft zu beschreiben nicht ganz zutreffend wäre. Denn zugleich hängen die Gegner der herkömmlichen Technik blind und bußfertig dem Glauben an Technikillusionen wie Elektroautos, Wind-, Sonnen- und Wüstenstrom an. Das Moment der Buße ist dabei wesentlich: Mit ihrem generalisierten Schuldgefühl haben sich viele Deutsche in eine Askese-Trance gesteigert, der ihre Wiedergutmachung an der Natur sein soll. Deshalb muss gerade das Autofahren verleidet werden, weil es einen so hohen Genussfaktor darstellt.
    Der Genuss ist schon bei den meisten Babys sichtbar: In einem Wagen, der sich bewegt, schlafen sie sofort ein. Beim aktiven Fahren liegt der Genuss in der übermenschlichen Kraft, die man mit dem rechten Fuß entfacht; dieses Einswerden von Mensch und Maschine, ein klassischer Topos der Moderne, äußert sich umgangssprachlich in Sätzen wie: "Ich stehe vor der Tür." Das sagt der Autofahrer in seiner Wohnung und meint: "Das Auto steht vor der Tür; ich habe es dort geparkt."
    Das Auto als erweiteres Ich
    Das Auto als erweitertes Ich erklärt nicht nur die Verhältnisse im Straßenverkehr, sondern auch, weshalb die eher Ich-schwachen Deutschen eine so tiefe Verbindung zum Auto pflegen. Der Straßenverkehr an sich ist allerdings ein Wunder, das jedem liberalen Geist den Glauben an eine demokratische Gesellschaft und die Selbstregulierung der Masse stärkt. Denn wenn man die sich im Alltag ständig manifestierende Dummheit und Triebhaftigkeit der Menschen auf die schiere Menge der von ihnen gesteuerten Autos hochrechnet, dürfte es eigentlich nur Unfälle geben. Doch in Wirklichkeit fädeln sich Millionen Kraftfahrer täglich korrekt in den Verkehrsfluss ein, gleiten durch die Landschaft, finden rechtzeitig das Bremspedal, blinken und biegen ab und beweisen einen unerwartet hohen Grad an Zivilisiertheit.
    Auch das gehört zum Genuss der Automobilität. Speziell in Deutschland kommt hinzu, dass nicht nur die Freude am praktischen Gebrauch das Verhältnis zum Auto prägt, sondern auch der Stolz auf die hiesigen Marken. In aller Welt gilt nämlich bis heute, dass man die Deutschen nicht unbedingt mag, wohl aber die deutschen Pkw.