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Der Dichter ohne Gesicht

In Frankreich streitet man weiter um die Authentizität eines Fotos, auf dem auch der französische Dichter Arthur Rimbaud zu sehen sein soll. Der Literaturwissenschaftler Reinhard Pabst hält die Spur für sehr, sehr zweifelhaft. Rimbaud bleibe auch weiterhin ein Objekt der Begierde für viele Fantasien.

Reinhard Pabst im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 09.02.2011
    Stefan Koldehoff: Ein vergilbtes Foto: eine Terrasse, zwei Kaffeetische, sechs Männer mit Bärten, eine Frau in bodenlangem weißen Kleid. Angeblich wurde dieses Foto vor drei Jahren auf einem Flohmarkt gefunden. Angeblich zeigt es den französischen Dichter Arthur Rimbaud 1880 vor einem Hotel in Aden, und tatsächlich bezahlte dafür ein unbekannter Sammler mindestens 100.000 Euro, wenige Minuten, nachdem das Foto auf einer Antiquariatsmesse angeboten worden war. Andere Quellen sprechen sogar von 150.000 Euro. Rimbaud war es, dessen Werk Thomas Bernhard das gewaltigste und das ursprünglichste, das je in französischer Sprache geschrieben wurde, genannt hat, und Rimbaud war es natürlich auch, der dieses Foto so teuer gemacht hat. Und nun, sagt der Literaturwissenschaftler Reinhard Pabst, ist er es gar nicht, der Mann mit dem blassen Gesicht und dem dünnen Oberlippenbart, und Sie sind nicht der Einzige, Herr Pabst.

    Reinhard Pabst: Also die Zweifel haben sich schon ganz früh artikuliert. Es gibt so eine Pro-Fraktion und eine Kontra-Fraktion in Frankreich. Die Pro-Fraktion ist klar, die beiden Buchhändler, die Finder und ihr Kompagnon, Monsieur Lefrère, der Verfasser einer Biografie und vieler anderer Bände zu Rimbaud. Der hat nun wirklich ein Ansehen in der Rimbaud-Forschung. Also das ist die Pro-Seite.

    Die Kontra-Seite, die wird vertreten durch fast alle des Rimbaud-Establishments. Claude Jeancolas ist da zu nennen und vor allem am vehementesten Jacques Bienvenu. Das ist ein Mathematiker, der sich mit Rimbaud hobbymäßig beschäftigt, und der hat schon mehrfach versucht, diesen Personen auf dem Foto auf die Spur zu kommen, hat tatsächlich eine Person auf dem Foto identifizieren können, nämlich den Forschungsreisenden Henri Lucereau, und dann ganz aktuell eine zweite Person identifizieren können, nämlich den Forschungsreisenden Pierre Dutrieux ganz links auf dem Foto, und die Chronologie passt einfach so nicht zusammen, dass es dann Rimbaud sein kann.

    Koldehoff: Die Chronologie passt nicht zusammen heißt, die waren zu einem Zeitpunkt in Aden, wo dieses Bild entstanden sein soll, als Rimbaud nachweislich nicht dort war, oder wahrscheinlich nicht dort war?

    Pabst: Also die Chronologie ganz kurz: Rimbaud kam vermutlich Mitte August 1880 nach Aden, und da war Lucereau zwar noch da, aber Dutrieux auf gar keinen Fall. Es gibt ein Zeugnis von Dutrieux, dass er Lucereau getroffen habe im November 1879. Das mag auch sein. Da gibt es auch keinen Anhaltspunkt, dass das irgendein Irrtum ist. Aber wenn eben Dutrieux und Lucereau sich in Aden getroffen haben, kann Rimbaud nicht dabei gewesen sein.

    Koldehoff: Jetzt sagen Sie selbst, Rimbaud kam wahrscheinlich Mitte August nach Aden. Das heißt, der advocatus diaboli würde jetzt sagen, na das ist nicht gesichert und ob die beiden Herren, die man da glaubt, identifiziert zu haben, tatsächlich die beiden sind, da ist auch das letzte Wort noch nicht gesprochen. Also gibt es ein Urteil, oder ist es alles noch eine Sache von Wahrscheinlichkeiten?

    Pabst: Also ich will mich davor hüten, ein letztes endgültiges Wort zu sprechen. Lucereau und Dutrieux, das sind zwei Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Foto zu sehen sind, während alle anderen mit Fragezeichen zu versehen sind, außer diesem Hotelbesitzer, den ich letzten Oktober habe identifizieren können. Aber die Rimbaud-Geschichte ist wahrscheinlich doch mit so vielen Fragezeichen zu versehen, dass wir uns davon sehr wahrscheinlich möglicherweise eventuell verabschieden müssen.

    Koldehoff: Die vielleicht noch spannende Frage ist ja auch: Warum löst das eigentlich im Moment in Frankreich so eine Welle aus? Es gibt Diskussionen im Fernsehen, in verschiedenen Medien. Warum ist es so wichtig, ob dieser eher etwas milchgesichtige Herr mit dem schmalen dünnen Oberlippenbärtchen, ob das tatsächlich Rimbaud ist?

    Pabst: Erstens ist ja Rimbaud eine literarische Ikone. Jeder hat irgendwann mal in der Schule Rimbaud behandelt. Dann kann man natürlich sehen, Rimbaud ist eine Kultfigur - das ist er in Deutschland genauso -, der Abenteurer, der Aussteiger, der ewig Junge, der mit 20 aufhörte, Gedichte zu schreiben. Rimbaud ist einfach ein Objekt der Begierde für viele Fantasien, antizivilisatorische Fantasien. Da hat wahrscheinlich der Hype, der um das Bild entstanden ist, allgemein kulturelle Gründe in Frankreich, aber eben in Deutschland auch, denn hier wird ja auch darüber diskutiert.

    Koldehoff: Wenn es nun tatsächlich nicht Arthur Rimbaud ist auf diesem 100.- oder möglicherweise sogar 150.000-Euro-Bild, gibt es denn wenigstens eines, auf dem er gesichert gezeigt wird?

    Pabst: Es gibt eine Hand voll Selbstporträts von ihm aus Afrika, auf denen allerdings, weil das Papier so schlecht war, er auch ein fotografischer Laie war, seine Gesichtszüge fast nicht zu erkennen sind. Also das Geheimnis Rimbaud ist weiter gewahrt, wir kommen nicht dahinter. Es mag sein, dass irgendwann in irgendeinem Archiv oder Museum noch weitere Rimbaud-Bilder, verbürgte gesicherte zum Vorschein kommen, aber im Augenblick ist erst mal diese Rimbaud-Spur nach Aden eine sehr, sehr zweifelhafte.

    Koldehoff: Irgendwie doch auch schön, dass er der Dichter ohne Gesicht bleibt und nur in seinen Werken lebt, oder?

    Pabst: Ich finde schon, dass auch das Leben dazugehört. Es gibt für mich überhaupt gar kein anderes Schreiben als autobiografisches Schreiben, und da ist auch das wesentlich, was ich das biografische Verlangen genannt habe. Es gibt auch andere, die das sogenannt haben, Ulrich Raulff hat diesen Begriff in die Diskussion eingeführt, das biografische Verlangen, dass die Begierde zu wissen herausbekommen möchte jedes Detail des Lebens und den möglichen Zusammenhang mit dem Werk. Das auch dazu dient, Klischees und Mythen zu widerlegen. Das ist ja eine spannende Frage, dass das Bild, was man sich von einem Künstler macht, ob es nun ein Dichter oder Maler ist, immer ein anderes ist als das, was den Fakten entspricht.

    Koldehoff: Also geht die Suche weiter. - Der Literaturwissenschaftler Reinhard Pabst war das. Vielen Dank.