Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Der doppelte Raffael

2008 erhält Roberto De Feo einen Anruf, der sein bis dato eher ruhiges Dasein als Kunsthistoriker auf den Kopf stellte: In einer Privatsammalung gebe es angebliche eine zweite Version des Gemäldes "Die Vision des Ezechiel" von Raffael.

Von Thomas Migge | 13.05.2011
    Im September 2008 erhält Roberto De Feo einen Anruf, der sein bis dato eher ruhiges Dasein als Kunsthistoriker an der Universität Udine auf den Kopf stellte. Durch das Telefonat erfuhr er von der Existenz einer in einer Privatsammlung in Ferrara aufbewahrten zweiten Version des berühmten und im Florentiner Palazzo Pitti ausgestellten Gemäldes "Die Vision des Ezechiel" von Raffael:

    "Ich beschäftigte mich gleich mit dieser zweiten Ausgabe des Bildes und fand heraus, dass man bereits in alten kunsthistorischen Schriften die Autorenschaft des Gemäldes, das im Palazzo Pitti gezeigt wird, in Zweifel zog. Bei meiner Recherche ging es mir um die Dokumentenlage nicht um die Frage, welche Version des Bildes das Original ist."

    Roberto De Feos Studie - ein Vergleich der beiden Gemälde sowie eine akkurate Analyse aller in Europa verfügbaren Dokumente zum Bild - wird wahrscheinlich schon bald in der römischen Accademia dei Lincei, einer altehrwürdigen italienischen Wissenschaftseinrichtung, einem Fachpublikum vorgestellt werden:

    "Ich stelle Dokumente vor, die ich in verschiedenen italienischen, englischen und französischen Archiven fand und die zu widerlegen scheinen, dass im Palazzo Pitti ein Original gezeigt wird. Ich will, dass sich die Wissenschaftlergemeinde diese zum Teil unveröffentlichten Unterlagen mal anschaut."

    Einige der von De Feo zusammen getragenen Punkte, die die Authentizität des Pitti-Gemäldes infrage stellen, überraschen. So hieß es bisher immer, dass die "Vision des Ezechiel" 1579 durch Agostino Hercolani, den päpstlichen Botschafter am Hof der Medici, den Herrschern von Florenz vermacht worden sei. De Feo weist nach, dass Agostini nie Botschafter war und von einer Schenkung keine Rede sein könne. 1589 ist im Inventar der sogenannten "Tribuna medicea", die alle Kunstwerke des Fürstengeschlechts auflistete, von einem, Zitat, "Gemälde mit Gott Vater und 4 Evangelisten aus der Hand von Rafael" die Rede. Seitdem heißt es in der offiziellen Kunstgeschichtsforschung, dass es sich um die "Vision des Eezechiel" handelt. De Feo weist nach, dass nicht wenige der in der "Tribuna" aufgeführten Gemälde später als Fälschungen überführt wurden. Das Original, so der Kunsthistoriker, sei in Wirklichkeit bei der Familie Hercolani geblieben. Sie verkaufte es 1641 an den bekannten französischen Sammler de Chantelou. Im frühen 18. Jahrhundert befand sich das Bild im Besitz von Phillipe von Orleans und 1799, so ist in den von De Feo vorgelegten Dokumenten nachzulesen, gelangte es nach England. Dort wurde eine dritte Version des Gemäldes angefertigt. Sie überlebte das aus Frankreich gekommene Bild und tauchte schließlich 1983 wieder in Italien auf.
    Die von De Feo zusammengetragenen Dokumente sorgen in Italien für großes Aufsehen. Das Wochenmagazin "L’Espresso" veröffentlichte zum Thema sogar eine Titelgeschichte. Die Rede ist vom "Raffael-Kodex" und De Feo wird mit Mr. Langdon aus Dan Browns Roman "Der Da-Vinci-Kodex" verglichen, habe doch auch er eine abenteuerliche Suche nach der Wahrheit begonnen, die nachweist, dass der berühmte Raffael im Pitti-Museum eine Fälschung sei.

    Roberto De Feo: "Dass eine zweite Version dieses Gemälde entdeckt wurde, scheint bei unseren Medien eine Hysterie ausgelöst zu haben. Da wird eines unserer wichtigsten Kunstwerke in Frage gestellt und ich bin der Held, der das wagt. Von dieser, sagen wir, Gefangennahme durch sensationslüsterne Medien muss ich mich befreien."

    Doch das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Noch bevor De Feo seine Studien einem Expertenpublikum unterbreiten kann, in Rom, in der Accademia dei Lincei, will die Direktion des Palazzo Pitti Klage einreichen. Schließlich werde doch behauptet, dass man eine Fälschung ausstelle. Damit würde der gute Ruf der hauseigenen Kunstexperten beschädigt.

    Zum Fall "De Feo und Raffael" will sich derzeit noch kein angesehener Kunsthistoriker äußern. Man will erst die von De Feo gesammelten Dokumenten genauestens studieren, um nicht, so der römische Renaissance- und Raffaelf-Fachmann Claudio Strinati, "durch voreilige Einschätzungen in Teufels Küche zu kommen".