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Der dritte Weg

Medizin. - Seit der Fälschungsaffäre um den Stammzellforscher Hwang steht die Wissenschaftsszene rund um die vielseitigen Zellen unter dem Schock der Kritik. Einen Ausweg könnten adulte Stammzellen darstellen, doch sie sind nicht einfach zu handhaben. Jetzt setzen Experten auf eine dritte Möglichkeit.

Von Michael Lange | 16.05.2006
    Eigentlich sollte der koreanische Klonpionier Hwang Woo Suk auch nach Münster zur Internationalen Tagung des Stammzellennetzwerkes Nordrhein-Westfalen kommen. Doch nachdem der Fälschungsskandal um den Koreaner hohe Wellen geschlagen hatte, wunderte sich niemand, dass der fehlte. Der Schock über die gefälschten Zellen aus Korea und die anschließende Lähmung der weltweiten Stammzellenforschung scheint jedoch überwunden. Rudolf Jaenisch vom Whitehead Instituts des MIT in Boston sieht die Affäre Hwang inzwischen positiv: als eine Art Neustart, eine zweite Initialzündung für die Stammzellenforschung.

    "Wir können nichts mehr glauben, was da von Hwang publiziert worden ist. Und das hat eigentlich eine gewisse Befreiung bewirkt. Viele Wissenschaftler waren eingeschüchtert. Sie sagten sich: Der Hwang macht das so gut, da können wir gar nicht mithalten. Und jetzt hat es eine enorme Ermutigung gegeben für gute Labors, und so glaube ich, dass wir über kurz oder lang wissen werden, wie man das machen muss."

    Rudolf Jaenisch meint das Klonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen - den Kerntransfer oder englisch: Nuclear transfer. Forschergruppen aus den USA, aus Großbritannien und Spanien wagen sich jetzt erneut an die umstrittene Methode. Die gleiche, nach der vor etwa zehn Jahren das Schaf Dolly geklont wurde. Gleichzeitig eröffnen sich neue Wege der Stammzellengewinnung. Einen davon hat das Team um Rudolf Jaenisch mit Mäusezellen erforscht.

    "Was vorgeschlagen wurde war, dass man Hautzellen genetisch verändert, so dass man - wenn man den Nuclear Transfer durchführt - keinen Embryo mehr macht. Man verhindert, dass ein Embryo entsteht, sondern es entsteht ein Gebilde, was keine Möglichkeiten hat, sich irgendwie zu differenzieren, das aber immer noch Stammzellen machen kann."

    Bei Mäusen hat das Konzept funktioniert. Wenn es gelingt, auch menschliche Stammzellen so herzustellen, entstünden menschliche embryonale Stammzellen ohne Embryo. Allerdings wären das genetisch veränderte Zellen. Ein anderes Verfahren nutzt die embryonalen Stammzellen nur noch als Starthilfe. Dabei verschmelzen die Forscher embryonale Stammzellen mit adulten Stammzellen oder sogar mit ausgereiften Körperzellen. Mit dieser Methode arbeitet auch Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster. An Mäusezellen hat er es ausprobiert:

    "Adulte Stammzellen und embryonale Stammzellen in Kombination sind momentan die interessantesten und viel versprechendsten Zellen. Das ist aus meiner Sicht das Spannendste überhaupt, dass man in der Lage ist, quasi die Kraft der embryonalen Stammzellen zu nutzen, um dann Körperzellen zu verjüngen."

    So entstehen neue Stammzellen, die sich immer weiter vermehren. Sie besitzen das Erbgut der Körperzellen und die Vielseitigkeit embryonaler Stammzellen - im Grunde ideale Zellen für den Ersatz geschädigter Körpergewebe. Das klingt nach einer Lösung für die Stammzellenfrage. Es könnte ein dritter Weg sein, zwischen embryonalen und adulten Stammzellen. Aber Rudolf Jaenisch vom Whitehead-Institut in Boston sieht noch Schwierigkeiten.

    "Das ist ein interessanter Ansatz. Wir wissen, dass es funktioniert. Aber das Problem ist, dass man dann die Chromosomen der Stammzelle in der Zelle hat. Das Hauptproblem ist: Wie kann man die entfernen? Und das ist völlig ungelöst."

    Die durch Fusion entstandenen Stammzellen haben also vier Chromosomensätze statt der üblichen zwei. Wie sich solche Zellen nach einer Transplantation im Körper verhalten, ist ungeklärt. Die Zellen für die Medizin der Zukunft wachsen also noch nicht in den Labors der Wissenschaftler. Die Grundlagenforscher stehen vor zahlreichen Herausforderungen. "Wenn wir nicht weiter forschen, werden wir nie erfahren, was diese Zellen alles können," resümierte Hans Schöler in Münster, und erntete bei seinen Fachkollegen uneingeschränkte Zustimmung.