Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Der Druck muss einfach erhöht werden"

Seit Tagen dominiert der Dioxin-Skandal die Schlagzeilen. Es gebe zwar Fortschritte bei den Lebensmittelkontrollen, dem Aktionsplan der Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner müssten nun aber auch Taten folgen, sagt Ulrike Höfken, die ernährungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen.

Ulrike Höfken im Gespräch mit Gerd Breker | 14.01.2011
    Gerd Breker: In Sachen Dioxin in Lebensmitteln ist so ziemlich alles schon gesagt worden, wenn auch noch nicht von jedem. Nur gehandelt, um solches künftig zu verhindern, also getan wurde bislang wenig, was dazu führte, dass die zuständige Ministerin von der CSU unter Druck geriet. Davon wollte sie sich heute befreien, indem sie einen Aktionsplan vorlegte. Andere waren auf diesem Gebiet schon schneller gewesen. Als Konsequenz aus dem Dioxin-Skandal will die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner nun also mehr Sicherheitsstandards für Wirtschaft und mehr Kontrollen einführen.
    Am Telefon begrüße ich nun Ulrike Höfken, die verbraucher- und agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag, Frau Höfken.

    Ulrike Höfken: Schönen guten Tag!

    Breker: Reicht Ihnen dieser Aktionsplan der Ministerin Aigner?

    Höfken: Sagen wir mal, es sind ja Fortschritte zu verzeichnen. Und ich denke, das ist auch die Vorarbeit, die Länder wie NRW da geleistet haben, mit dem Katalog, den sie schon vorgelegt haben, oder gestern auch die SPD-Länder. Man muss sagen, der Druck muss einfach erhöht werden, damit sich endlich was tut, und vieles in diesem Aktionsplan ist sicher richtig. Aber der springende Punkt ist immer, inwieweit wird das dann politisches Handeln. Und da haben wir einfach schlechte Erfahrungen mit dieser Regierung, auch mit der Ministerin.

    Ich verweise ja nur mal auf die früheren Aktionspläne zum Gammelfleisch, wo dann das nicht zum Verzehr geeignete Fleisch, also dieses K3-Fleisch, eingefärbt werden sollte; darauf warten wir noch heute. Bei dem Analogkäse oder dem Klebeschinken, da hätten unmissverständliche deutsche Verkehrsbezeichnungen gemacht werden müssen; auch das ist nicht erfolgt.

    Und was uns nun besonders ärgert – darum regen sich alle so auf -, im letzten Sonderausschuss hat dann ja die Koalition einen Antrag vorgelegt, einen Bundestagsantrag (das ist ja sozusagen die Konkretisierung des ganzen Geredes), und da steht das, was Ministerin Aigner heute wieder verkündet im Aktionsplan, eben gar nicht drin, und dann fühlt man sich doch reichlich verarscht.

    Breker: Das kann ja noch da reinkommen. – Ist nicht ein Kernproblem dieser ganzen Lebensmittelsicherheit, dass es eben halt unterschiedliche Kompetenzen gibt, wofür der Bund zuständig ist und was dann die Länder tun müssen. Und ist nicht vieles, was Ländersache ist, möglicherweise vom Bund aus zu regeln?

    Höfken: Also, das ist lange ein Thema für uns Grüne. Wir verlangen schon seit Jahren eine Veränderung in diesem Bereich. Die Lösung, die damals Frau Künast gefunden hatte, war eine sogenannte AVV RÜB. Das ist so eine Rahmenüberwachungsverordnung, die Frau Aigner auch jetzt ausweiten will, was auch richtig ist. Aber nötig wäre eigentlich eine Grundgesetzänderung, denn gerade mit dieser letzten Föderalismusreform hat man das Disaster ja noch verstärkt.

    Einerseits gibt es von der EU Anforderungen an die Qualität der Kontrollen, die aber bei uns aufgesplittert sind bis hin zu den Landkreisen, die völlig überfordert sind. Schon die Informationsströme funktionieren nicht und hier ist dringend eine Änderung nötig, entweder als Vereinbarung, verbindliche Vereinbarung der Länder. Oder aber durch eine grundgesetzliche Änderung, die ohnehin ansteht meines Erachtens. Ein System, was auf jeden Fall akut helfen könnte, ohne die Anstrengung einer Grundgesetzänderung, das wäre ja, das zu realisieren, was kurz vor Weihnachten schon die Unterstützung der Länder gefunden hat, nämlich das Verbraucherinformationsgesetz jetzt wirklich mal endlich zu reformieren und ein Smilie-System einzuführen.

    Dann hätte man zwei Dinge miteinander verbunden: einmal ein System von Futtermittelerzeugung bis hin zur Ladentheke, dort die Kontrollen zu veröffentlichen, für die Verbraucher, für die Medien, und gleichzeitig natürlich auch deutlich zu machen, dass die Kontrollen ordentlich arbeiten. Das braucht aber eine bundesgesetzliche Grundlage und auf die warten wir und die wollen wir jetzt endlich umsetzen.

    Breker: Frau Höfken, bei solchen Skandalen fragt man sich immer, warum muss eigentlich das Kind erst in den Brunnen gefallen sein, bevor überhaupt etwas geschieht. Wenn man nun hört, dass die Produktionsstränge von Futterfetten und die Produktionsstränge von Industriefetten getrennt werden sollen, ja welcher Normalmensch hatte denn gedacht, dass es das nicht schon längst gab?

    Höfken: Der Fehler liegt im System. Das ist eben ein Punkt, den Frau Aigner und die Koalition überhaupt auch nicht angehen wollen. Sondern dieses Agrarsystem, was ja zunehmend industrialisiert wird und ausgerichtet wird auf eine Billigrohstoff-Erzeugung, setzt allein auf die Reduzierung der Kosten im System und will auf Masse produzieren.

    Wer das in dieser Form tut, der muss damit rechnen, dass diese, ich sage mal, Pervertierungen auch Teil dieses Systems sind. Also ich bin entsetzt darüber, dass man jetzt wieder darüber diskutiert, die Tiermehlverfütterung wieder in Gang zu setzen, auch bei den Antibiotika werden Aufweichungen vorgenommen.

    Das darf nicht sein, dass Lebensmittel ihre Qualität einbüßen und dass die Landwirte überhaupt nicht mehr vernünftig produzieren können. Insofern brauchen wir auch eine andere Agrarpolitik und der Zeitpunkt – wir stehen vor der Reform der EU-Agrarpolitik -, der ist auch gerade geeignet, um solche Reformen in Richtung Qualität, Nachhaltigkeit, Sicherheit für die Verbraucher dann auch umzusetzen.

    Breker: Frau Höfken, mir ist etwas Seltsames aufgefallen. Sie sind verbraucher- und agrarpolitische Sprecherin Ihrer Partei, Ihrer Fraktion. Wir haben eine Agrarministerin, die gleichzeitig auch Verbraucherministerin ist. Ist das nicht ein Widerspruch in sich inzwischen?

    Höfken: Ich bin gar nicht mehr ernährungs- und agrarpolitische Sprecherin, sondern ich bin ernährungspolitische Sprecherin und Sprecherin für Gentechnik, aber auch gleichzeitig stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

    Breker: Aber Sie verstehen, was ich meine? Zum einen schützt man die Produzenten und zum anderen schützt man die Konsumenten.

    Höfken: Ja, das ist richtig. Aber beide Ansätze im Blick zu haben und auch in der politischen Verantwortung, hat sich durchaus als positiv herausgestellt, denn wenn man immer nur, ich sage mal, als Umweltministerin klagt, dass die Wirtschaft so schlecht ist, das ist erfahrungsgemäß auch nicht gerade besonders effektiv, sondern die Verantwortung zusammenzuführen, ist im Grunde richtig. Aber man muss das auch tun und kann es nicht einfach bei Ankündigungen dann belassen und sich ansonsten bei den wirklichen Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der wirtschaftlichen Situation unter dem Tisch verstecken. Und darum muss die Auseinandersetzung über die Agrarpolitik geführt werden und eben auch die wirtschaftlichen Grundlagen.

    Breker: Nun hören wir, Frau Höfken, dass dioxinbelastete Eier im Handel gelandet sind. Wir wissen, dass dioxinbelastetes Schweinefleisch konsumiert wurde. Also kriminelle Energie ist da am Werke!

    Höfken: Ja. Das ist auch der Grund, warum wir sagen, diese Achillesferse der Landwirtschaft, die muss unter die besondere Beobachtung. Wo ich auch noch mal ein Fragezeichen machen würde bei den einzelnen Punkten, die Ministerin Aigner hier vorhat: Sie sagt, sie will die Produktionsströme trennen, aber nicht die Betriebe, und ich glaube, da müsste man einen Schritt weitergehen und die Betriebe trennen, dass die gleichzeitige Produktion innerhalb eines Betriebes nicht mehr zugelassen wird.

    Also es ist wichtig, dass wir hier zu einer neuen Futtermittelproduktion in Deutschland kommen, in Europa kommen. Es ist ja Dioxin bei Weitem nicht das einzige Problem. Pestizidbelastungen durch Importfuttermittel sind ein Riesenproblem und wir brauchen hier einen vernünftigen Aufbau einer Futtermittelwirtschaft wieder in Europa. Das hat man ausgelagert auf Entwicklungsländer, weil es eben billig war, aber natürlich auch dort zu riesigen Umweltproblemen führt. Das ist sicher ein Teil der Agrarpolitik, wie sie neu gestaltet werden muss. Und ansonsten ist es wichtig, dass wir zu einer nachhaltigen Erzeugung kommen. Da sind wir weit von entfernt und ich hoffe ja, dass die Verbraucher, die jetzt sagen – 79 Prozent waren es gerade in einer Umfrage, die im Fernsehen veröffentlicht wurde -, dass sie tatsächlich auch wirklich dazu beitragen mit einem veränderten Kaufverhalten und einer Unterstützung einer Politik, die auch andere Entwicklungen in der Landwirtschaft unterstützt, dass das dazu beiträgt, dass das passiert.

    Breker: Also die Verbraucher sollen es wieder richten. – Im Deutschlandfunk war das Ulrike Höfken. Sie ist die agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen. Vielen Dank für dieses Gespräch.