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Der elsässische Schriftsteller René Schickele
Für Weltoffenheit und "Franzosentum"

Citoyen français und deutscher Dichter, so sah sich René Schickele. Das Werk des 1883 im Elsass in Oberehnheim, heute Obernai, geborenen Schriftstellers spiegelt die konfliktgeladene Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich. Schickele verstand sich stets als Mittler, als Vordenker der europäischen Idee kämpfte er gegen Nationalismus und Krieg.

Von Ruth Jung | 31.01.2015
    Die Altstadt von Riquewihr mit der Kirche im Elsass.
    Das Elsass, hier die Altstadt von Riquewihr mit Kirche, war zwischen Deutschland und Frankreich immer wieder umstritten. (imago/blickwinkel)
    "Meine Herkunft ist mein Schicksal."
    Das empfand der Schriftsteller René Schickele Zeit seines Lebens so. Geboren 1883 in Oberehnheim, dem heutigen Obernai, im Elsass, in einer Region, die über Jahrhunderte ein Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland war, sollte er immer ein Grenzgänger bleiben. Seine Mutter war Französin, der Vater war seit Generationen im Alemannischen ansässig. Zuhause sprach man Französisch, Amtssprache war Deutsch, allgemein jedoch wurde alemannische Mundart gesprochen.
    "So geht es in unseren Familien zu. Deutschland und Frankreich berühren sich so dicht, dass die Beteiligten sich oft selbst nicht mehr recht auskennen", schrieb der Literaturstudent aus Straßburg. Um die Jahrhundertwende versammelte sich dort eine Generation junger Künstler, die aus der Not der Zerrissenheit eine Tugend machte: "Geistiges Elsässertum". Für Schickele hieß das eine Öffnung zum deutschen und zum französischen Kulturraum.
    Seine ersten, 1899 erschienenen Essays, kritisieren die "preußisch-deutsche Kolonialmacht", die nach der Niederlage Frankreichs im Deutsch-französischen Krieg von 1870/71 das Elsass annektiert und alles Französische hatte verbannen wollen. René Schickele, der die deutsche Sprache liebte, schrieb seine Essays, Reportagen, Gedichte und Romane auf Deutsch. Als Elsässer verband er damit eine Mission: Er wollte deutschen Lesern Weltoffenheit und "Franzosentum" nahebringen.
    "Wir haben trotz allem etwas spezifisch Gallisches an uns, im tiefsten Wesen des Elsässers birgt sich ein Stück 'Franzosentum' [...] und das ist nicht schädlich, sondern notwendig."
    Gemünzt war dies gegen deutsche Autoritätshörigkeit und Revolutionsangst. Von 1904 bis 1915 arbeitete Schickele als politischer Korrespondent, Journalist und Schriftsteller in Berlin. Dort schloss er sich der expressionistischen Avantgarde an und wurde Herausgeber der "Weißen Blätter", der führenden kritischen Kulturzeitung. Gegen den preußisch-deutschen Militarismus warb Schickele für Völkerverständigung und Sozialismus. Das nötigte ihn 1915 zur Flucht ins Schweizer Exil.
    Der "Hans im Schnakenloch" aus dem berühmten Volkslied ist ein Sinnbild für den zerrissenen Elsässer. 1914 verfasste Schickele ein Bühnenstück unter diesem Titel. Am Schicksal zweier ungleicher Brüder wird das "elsässische Problem" thematisiert. Ein Anti-Kriegsstück, das bald verboten wurde. In der Vorrede zur Wiederaufnahme 1927 schreibt Schickele:
    "Was den Autor anlangt, so war von jeher alles, was er gegen Deutschland, was er gegen Frankreich vorbrachte [...] niemals Feindschaft wider die eine oder andere Nation. Kasernenhofmenschen hatten darum den Eindruck, er schiele. Nein, er blickt gerade mit den zwei ihm angeborenen Augen."
    In Südfrankreich im Exil
    In den Jahren der Weimarer Republik lebte der Schriftsteller zurückgezogen in Badenweiler. Seine Romane gehörten damals zu den meistgelesenen Büchern. Am bekanntesten wurde die 1925 begonnene Romantrilogie "Das Erbe am Rhein". Heinrich Mann über den Autor:
    "Darin ist endlich Schärfe und Radikalismus, strenge Geistigkeit [...] und kein gemüthvoller Mischmasch. Sie werden [...] ein großer Autor werden – und ganz allein bleiben, da Sie in einer von Menschen unseres Grades wenig beachteten Sprache schreiben."
    Er blieb ein Außenseiter; auch als er 1932 ins südfranzösische Sanary-sur-Mer emigrierte, wo er, wie er sagte, in einem "seltsamen Exil" lebte: als Elsässer mit französischer Staatsangehörigkeit. Nachdem Schickeles Bücher 1935 beim Berliner Verlag beschlagnahmt worden waren, schrieb er voller Zorn der Schriftstellerin und Freundin Annette Kolb, die sich für ihn hatte einsetzen wollen:
    "Ein für alle Mal, ich will mit allem, was von fern oder nah offizielles Deutschland ist, nichts zu tun haben. [...] Alles, was wir im Exil während des Ersten Weltkriegs erlebten, ist ein Kinderspiel [...] Die Hakenkreuzspinne ist die giftigste aller bekannten Arten."
    Die "Blauen Hefte", Notizen und Tagebuchaufzeichnungen, mit denen der Dichter am 10. Juni 1932 begonnen hatte, dokumentieren, wie hellsichtig der Elsässer Rebell gewesen war: Die Bedrohung der Juden begriff er als Bedrohung der Menschheit. Den Untergang musste er nicht mehr erleben: René Schickele starb, erst 56-jährig, am 31. Januar 1940 im südfranzösischen Vence.