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Der Entertainer und der Dänenprinz

Harald Schmidt hat sich schon lange fürs Theater interessiert. Er machte eine Schauspieler-Ausbildung an der Staatlichen Hochschule in Stuttgart, doch ins Charakterfach wollte oder konnte er nie. So dient das Hamlet-Musical mit seinem Schlager-Potpourri Schmidt als Folie für Albernheiten.

Von Christian Gampert | 26.10.2008
    Früher machte Harald Schmidt Witze über den türkischen Chauffeur Üzgür, dann machte er Polenwitze, jetzt macht er Witze mit Shakespeare. Diese lineare Entwicklung führt ihn "im Oktober seiner Fernsehkarriere", wie er hellsichtig selber ins Textbuch schreibt, auf die Bühne des Stuttgarter Staatstheaters, auf der er, vom schauspielerischen Können her, nichts zu suchen hat, wo aber der einstmals linke Intendant Hasko Weber nun auf Ranschmeißertum macht und Dirty Harry als Köder für bundesweite Aufmerksamkeit in die Medienlandschaft wirft.

    Ein großer Coup! Alle waren da, und der Kritiker hat nun die Wahl, dem allseits verbreiteten Speichellecker-Journalismus zu frönen und die Fernseh-Leiche Schmidt noch ein bißchen leben zu lassen, oder sich, wie es die Berufsehre gebietet, in Volk und Theater unbeliebt zu machen. Wir wählen Variante zwei.

    Denn so unterirdisch schwach, so schülertheatralisch pubertär war bislang nichts, was wir in den letzten zehn Jahren auf subventionierten Bühnen sahen. Ein Schlüsselwerk der Weltliteratur dient Ihro Albernheit Schmidt als Folie, um sich endlich einmal als Mischung aus Christkind und weißhaarigem Sektenguru zu verkleiden (das ist dann der Geist von Hamlets Vater); für die Mitglieder des Stuttgarter Ensembles ist der Text ein Vorwand, sich als Rocksänger zu versuchen – und dabei bisweilen ziemlich herumzuschlittern.

    Dem ganzen Unternehmen liegt die Annahme zugrunde, daß es für die Spaßgesellschaft spaßig sei, eine bewährte Marke in neuem Kontext zu sehen, also: der gelernte Zyniker Schmidt kommt nun als Polonius in Strumpfhosen daher, und um ihn herum springen richtige Schauspieler wie HB-Männchen durch die Gegend. Das mag für fünf Minuten Late-Night-Show angehen, für 90 Minuten Theater ist es eher wenig. Mit Shakespeare hat es nichts zu tun, mit Musical allerdings auch nicht: das Genre lebt von souveräner Lockerheit. In Stuttgart dagegen ist man angestrengt um Musikalität bemüht – und hat nicht verstanden, daß Rockmusik ein Gestus, eine Bauch-Sozialisation ist, die man nicht mal kurz aus dem Ärmel schütteln kann.

    Und so singen sie vor sich hin. Jeder Figur wird ein Etikett angeklebt, der Claudius ist böse und orgelt "Sympathie for the Devil", die Ophelia ist ein hysterisches Madonna-Püppchen und intoniert "Like a Virgin" und "Papa don’t preach". Zur Belohnung liegt sie dann wie Schneewittchen im Sarg. Der Hamlet des Benjamin Grüter, ein düsterer Gruftie-Vogel, macht noch die beste Figur in diesem Reigen immergrüner Geburtstags-Ständchen. Popmusik ist heute, von Sound und Arrangement her, eine hochkomplexe Angelegenheit; die steady und integrativ spielende Stuttgarter Begleitband kann da nur die Basics liefern, der Rest ist ambitionierte Karaoke – Ausnahmen bestätigen die Regel.

    Gibt es irgendeine auf Shakespeare bezogene Idee, irgendeinen Gedanken in diesem Schlager-Potpourri? Mitnichten. Man zetert und zittert und zagt und barmt, man scharwenzelt und chargiert, man liefert die Parodie einer Shakespeare-Parodie. Das ist selbstironisch gemeint, zeigt aber nur, auf welchem Pennäler- und Micky-Mouse-Niveau die Inszenierung von Christian Brey sich bewegt. Der Horatio schleudert dem Hamlet als Running Gag ein lächerliches "Ich liebe dich" entgegen, und der Hamlet muß auf die U-2-Schnulze "With or without you" ein eher fades "Sein oder Nichtsein" hauchen.

    Trotzdem werden die Massen in diese Aufführung pilgern, die eigentlich in die Tingeltangel-Mehrzweckhallen zwischen Backnang und Filderstadt gehört, die nun aber, leider, die große Bühne des Stuttgarter Staatstheaters auf lange Sicht blockieren wird. Als nächstes Projekt schlagen wir ein Faust-Musical vor, Musik Peter Maffay, mit Harald Schmidt als Gretchen. Da kommt dann das Stuttgarter Ensemble zu sich selbst.