Freitag, 19. April 2024

Archiv


Der Erfinder der Stromlinienförmigkeit

Raymond Loewy verabscheute schon immer "die Hässlichkeit der Dinge", und so war es nur folgerichtig, dass er vom Zahnstocher über Lokomotiven und Autos bis zur Ausblick-Luke des Skylab für die NASA die Welt verschönerte - bis er schließlich als der amerikanische Industrie-Designer galt.

Von Michaela Gericke | 14.07.2011
    Schwungvoll sein "L", der Rest eine gerade, schnelle Linie: Schon die Signatur verrät viel über den Designer.

    "Raymond Loewy"

    vor allem auch:

    "Raymond Loewy"

    Raymond Loewy, geboren am 5. November 1893 in Paris, ist eines von drei Kindern, seine Mutter Grundbesitzerin, der Vater Herausgeber eines Finanzjournals. Im Alter von 15 Jahren baut Raymond Loewy ein Modellflugzeug, das er sich patentieren lässt, Verkehrsmittel faszinieren ihn zeit seines Lebens.

    Die Zeichnung einer Lokomotive im Jahr 1911 gibt eine Ahnung davon, was Raymond Loewy später als Designer hervorhebt: Sie ist in Fahrt, man spürt geradezu die Geschwindigkeit. Er studiert in Paris Ingenieurwesen, zieht in den Ersten Weltkrieg und landet 1919 mit dem luxuriösen Transatlantikdampfer "France" in New York, wo seine beiden älteren Brüder bereits leben.

    "Er konnte gut zeichnen und - hat sich erstmal durchgeschlagen als Zeichner – er hat Modezeichnungen, er hat für Harpers Bazaar und Vogue und für große Kaufhäuser hat er auch Schaufenstergestaltung gemacht."

    Angela Schönberger, von 1985 bis 2001 Leiterin des Internationalen Design Zentrums Berlin. Der gut aussehende, immer elegante Loewy erhält Ende der 20er-Jahre das Patent auf ein Modell für eine Auto-Karosserie. Die Form des Fahrzeugs muss vom Luftstrom der Bewegung bestimmt werden, das ist Loewys Devise. Den ersten großen Industrie-Design-Auftrag bekommt er 1929: Für die Firma Gestetner gestaltet er eine Vervielfältigungsmaschine, indem er ihre Mechanik umhüllt und sie damit zu einem Büromöbel macht. Mit Lehm bzw. Plasteline ummantelt er zunächst die Objekte, um sie wie aus einem Guss erscheinen zu lassen.
    Er entwirft in den darauffolgenden Jahren Lokomotiv-Modelle für die Pennsylvania Railroad Company. Seine Schnell-Dampflok S 1 macht ihn 1937 berühmt: der Heizkessel in die Länge gestreckt, die Schnauze abgerundet. Kurven kontrastieren mit Geraden: Die als Streamline in die Design-Geschichte eingegangene Form, die "Stromlinie", beschreibt Angela Schönberger so:

    "Die Formen sind geglättet. Sie haben einen Schwung nach vorne, sie schießen nach vorne, sehr elegant. ... Es ist ein ganzes Lebensgefühl, es ist das Lebensgefühl einer Generation, es ist das Lebensgefühl der Geschwindigkeit der Maschinen, des Automobils, der Eisenbahn, des Flugzeugs, - das drückt eigentlich dieses 'Streamlining' aus."
    Raymond Loewy wird in den darauf folgenden Jahrzehnten zum Allround-Designer.
    Vom Zahnstocher bis zur Ausblick-Luke des Skylab für die NASA ist er der amerikanische Industrie-Designer. Er erneuert Firmen-Logos wie das für Shell oder Lucky Strike. "Never leave well enough" – heißt seine Autobiografie, die erscheint im Jahr 1951, zwei Jahre später auch in Frankreich und in Deutschland, hier unter dem Titel "Häßlichkeit verkauft sich schlecht". In Deutschland ist Loewy 1955 Gast auf der Industriemesse in Berlin.

    "Ich habe schon immer die Hässlichkeit von Dingen verabscheut. Und wir sehen, was den Wirkungsbereich unseres Berufes betrifft, keine Grenzen. In den USA nennt man mich den 'vom Lippenstift zur Lokomotive-Loewy'. Wir haben zurzeit 150 Auftraggeber ... arbeiten für Kliniken, Krankenhäuser, Supermärkte, Flughäfen bis in die Kosmetikbranche, wir gestalten Verpackungen, Flaschen, Lebensmittel."

    Selbst nach Moskau wird Raymond Loewy Anfang der 60er-Jahre eingeladen. Dort ein Büro zu eröffnen, ist in jener Zeit jedoch Illusion.

    "Als Raymond Loewy zurück nach Amerika gefahren ist, musste er Verhöre von der CIA über sich ergehen lassen und die amerikanischen Kunden haben ihm auch gedroht, wir wollen mit dir nicht mehr zusammen arbeiten, wenn du mit den Russen zusammenarbeitest."

    1974 entwirft seine Firma dann doch noch den "Moskwitsch" – ein Auto für die UdSSR. Raymond Loewy, Liebhaber von Eleganz und Pracht, stirbt im Alter von 92 Jahren, am 14. Juli 1986 in Monaco. Die Raymond-Loewy-Foundation, die nach der großen Werkausstellung 1990 gegründet wurde, hält die Erinnerung an ihn wach.