Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Der Ethikrat ist gespalten"

Medizin.- Deutschland diskutiert gespalten über die sogenannte Präimplantationsdiagnostik. Inzwischen liegen drei Gesetzesentwürfe vor, mit der die Methode entweder erlaubt, in extremen Ausnahmefällen erlaubt oder ganz verboten werden soll. Heute hat der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme in Berlin dazu abgegeben.

Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen im Gespräch mit Uli Blumenthal | 08.03.2011
    Uli Blumenthal: Darf man künstlich gezeugte Embryonen in der Petrischale auf schwere Erbkrankheiten hin untersuchen und im Zweifelsfall sterben lassen? Im Juli 2010 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die PID nicht verboten ist in Deutschland und in einem abgesteckten engen Rahmen angewendet werden darf. Seitdem ist wieder eine heftige Debatte pro und kontra Präimplantationsdiagnostik hierzulande entbrannt. Heute nun hat der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme zur PID vorgestellt. Marieke Degen in Berlin, wie ist denn die Entscheidung des Ethikrates ausgefallen?

    Marieke Degen: Wir haben Jochen Taupitz ja eben schon gehört. Es gibt kein klares Votum für oder gegen die PID. Der Ethikrat ist gespalten. 13 Mitglieder sind dafür, die PID zuzulassen, in einem ganz engen Rahmen. 11 Mitglieder sind dagegen, die wollen die PID komplett verbieten. Es gibt auch noch ein Sondervotum dafür, dass man die PID dann anwenden darf, um zu überprüfen, ob ein Embryo überhaupt lebensfähig ist, und ein Mitglied hat sich enthalten.

    Blumenthal: Also eigentlich gespalten wie die Politik ist jetzt auch der Ethikrat. Wie sind die einzelnen Voten denn heute Vormittag begründet worden?

    Degen: Die Argumente an sich sind natürlich nicht neu. Also die Gegner sage, es ist natürlich verständlich, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen. Aber das rechtfertigt nicht, dass Embryonen gezielt ausgewählt, beziehungsweise auch vernichtet werden dürfen. Der Schutz des Embryos, also der Schutz des menschlichen Lebens, wiege in diesem Fall mehr. Außerdem befürchten die Gegner, dass man den Einsatz der PID eben nicht beschränken kann. Dass die PID also irgendwann nicht mehr nur bei Paaren angewandt wird, die nachweislich einen Gendefekt haben, sondern dass man irgendwann alle möglichen Krankheiten, alle möglichen Veranlagungen mit der PID herausfinden möchte. Und das wollen die Gegner auf jeden Fall verhindern. Sie sagen, man sollte nicht die PID erlauben, sondern man sollte lieber zusehen, dass wir als Gesellschaft Menschen mit Behinderungen besser unterstützen.

    Blumenthal: Und wie sieht die Position der Befürworter aus?

    Degen: Die Befürworter sagen, Paare haben generell ein Recht, Kinder zu bekommen. Und Frauen dürfen Kinder ja auch abtreiben, wenn das Kind krank ist und wenn die werdende Mutter sagt, ich schaffe das nicht. Dann darf sie das Kind auch abtreiben. Bislang war eigentlich klar: Wenn in einer Familie ein schwerer Gendefekt vorliegt, dann hat das Paar nur zwei Möglichkeiten: entweder es verzichtet komplett auf Kinder oder es geht diese berühmte Schwangerschaft auf Probe ein, die eventuell, wenn das Kind tatsächlich dann krank sein sollte, damit endet, dass die Mutter abtreiben muss. Und in diesen Fällen, aber wirklich nur in diesen Fällen, wo ein Gendefekt vorliegt, sollten die Paare doch eine PID machen dürfen, um eben diese Schwangerschaft auf Probe nicht eingehen zu müssen, und um von vornherein ein gesundes Kind in den Mutterleib eingepflanzt zu bekommen. Die Befürworter sagen auch, man kann den Einsatz der PID sehr wohl begrenzen. Und man muss ich auch begrenzen, man muss ihn eng begrenzen.
    Blumenthal: Nun ist der Deutsche Ethikrat ja ein Gremium, was die Bundesregierung in solchen ethischen, auch sehr problematischen, heiklen Fragen beraten soll. Jetzt gibt es ein Votum sowohl als auch, was beide Möglichkeiten eröffnet. Was ist heute gesagt worden: Wie hilfreich ist diese Stellungnahme des Ethikrates eigentlich jetzt für die Diskussion der Politik nächst Woche im Bundestag?

    Degen: Diese Stellungnahme des Ethikrats spielt schon eine große Rolle. Denn während der letzen Wochen in der ganzen Debatte um die PID haben viele Abgeordnete immer wieder gesagt, wir warten die Stellungnahme des Ethikrats ab, und erst dann entscheiden wir uns, wie wir zur PID stehen. Es gibt ja jetzt kein klares Dafür oder Dagegen. Das gibt es nicht. Aber die Argumente, auch wenn sie natürlich nicht neu sind - wir haben die Debatte seit Jahren - sind aber ordentlich aufgelistet und aufbereitet. Und wenn sich die Abgeordneten die Mühe machen, das ganze Papier zu lesen, das sind so um die 100 Seiten, dann hilft ihnen das vielleicht dabei, auch ihre eigenen Entscheidung zu treffen. Wie die Diskussion im Endeffekt ausgehen wird, ob die PID im Endeffekt erlaubt oder verboten sein wird, ist natürlich völlig offen.

    Blumenthal: Jetzt gibt es aber drei Anträge, die dem Parlament eigentlich zur Diskussion nächster Woche vorliegen. Einer lehnt die PID eigentlich ganz klar und eindeutig ab, die anderen beiden Vorschläge eigentlich auch. Allerdings mit mehr oder weniger starken Ausnahmeregelungen. Lässt sich da nicht schon eine gewissen Tendenz erkennen, dass man eigentlich sagt, Präimplantationsdiagnostik hat in Deutschland gesetzlich keine Chance?

    Degen: Nein, das würde ich so überhaupt nicht sagen, dass es gesetzlich keine Chance hat. Also wir haben ja im Moment dieses Recht auf Abtreibung, dass auf jeden Fall, das darf man machen. Und wir haben diesen Grundkonflikt, dass der Embryo, der Schutz des Embryos eigentlich mehr wiegt als der Schutz der Fötus oder eben auch der Mutter, die dann eine Abtreibung vornehmen muss und dadurch wirklich großen psychischen Belastungen ausgesetzt ist. Insofern kann man überhaupt nicht sagen, rechtlich hat das keine Chance. Das würde ich so nicht sagen. Die Befürworter des Ethikrats haben auch wirklich gute Vorschläge gemacht, wie man eine PID gesetzlich regeln könnte, wie man sie wirklich so eng begrenzen könnte, dass sie nur in diesen Spezialfällen zum Einsatz kommen kann, also bei Paaren, wo es klar ist, dass sie einen Gendefekt haben und wo es klar ist, dass dieser schwere Gendefekt dazu führt, dass das Kind behindert ist, dass das Kind schwer krank ist, oder dass es sogar vor oder nach der Geburt sofort stirbt. Die Befürworter sagen, es sollte definitiv keinen Katalog geben, der festlegt, bei welchen Krankheiten die PID erlaubt ist. Das lehnen sie ab. Sondern ausschlaggebend ist, wie auch im Schwangerschaftskonflikt ausschlaggebend ist, das Wohl der Mutter. Wenn die Mutter sagt, in diesem engen Rahmen des Gendefekts: Ich möchte es nicht riskieren mit einem schwerkranken Kind schwanger zu sein. Und wenn ich mit so einem Kind schwanger bin, dann werde ich abtreiben. Ich kann mir das nicht zumuten, ich schaffe das nicht. Dann sollte eine PID auf jeden Fall möglich sein. Dann müsste sich das Paar aber auch von Humangenetikern beraten lassen, von Reproduktionsmedizinern beraten lassen und von einer psychosozialen Beratungsstelle. Und danach würden die Ärzte zusammen mit dieser Beratungsstelle und mit einem Experten von der Landesärztekammer erst darüber entscheiden, ob eine PID gemacht wird oder nicht. Und die PID selber dürfte dann auch nur in einem zertifizierten Zentrum stattfinden. Die PID dürfte auf keinen Fall zum Einsatz kommen, wenn es nur darum, im Vorfeld jetzt das Geschlecht des Kindes zu bestimmen. Und sie darf auch auf keinen Fall eingesetzt werden, um Rettergeschwister gezielt auszuwählen, also das sind Kinder, die geboren werden, um ihrem Bruder oder ihrer Schwester Knochenmark zu spenden. Und die PID darf nicht eingesetzt werden bei Krankheiten, die sich erst im Erwachsenenalter manifestieren, also ab 18.