Donnerstag, 18. April 2024

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Der Europäische Haftbefehl und die Sicherheitspolitik

Heute fällt das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über den Europäischen Haftbefehl: Es geht um die Frage, ob der Haftbefehl mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Falls ja, könnten künftig auch Staatsbürger des eigenen Landes in einen anderen EU-Staat ausgeliefert werden. Entscheiden die Richter aber dagegen, so befürchten manche einen neuen Rückschlag für die Sicherheitspolitik in Europa.

18.07.2005
    Die ist heute auch Thema unsere Europa-Kolumne von Cornelia Bolesch, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Brüssel.

    Die Welt ist wieder ein großes Stück zusammengerückt. Seit dem 7. Juli 2005 spüren die Europäer in ungewohnter Intensität, wie sich Israelis fühlen müssen. An diesem 7. Juli, einem Donnerstag, fanden in London über 50 Menschen den Tod, als Sprengsätze in drei U-Bahnen und einem Bus detonierten. Zum ersten Mal in Europa waren Selbstmord-Attentäter für das Zerstörungswerk verantwortlich. So wie die Bürger von Jerusalem und Tel Aviv müssen jetzt auch die Bewohner von Berlin, Brüssel oder Rom damit rechnen, dass der unauffällige Nachbar mit dem Rucksack in Metro oder Bus ein schrecklicher Todesbote sein kann.

    Die Folgen dieser psychologischen Dauerbelastung für unsere Gesellschaften sind noch gar nicht absehbar. Die Bewohner von London haben Ruhe und Würde bewahrt. Werden diese Beispiele auf ganz Europa ausstrahlen und Wirkung zeigen? Die tödliche Gefahr aus dem Dunkeln trifft schließlich auf Gesellschaften, die bereits tief verunsichert sind. Soziale und wirtschaftliche Grundlagen, die auf ewig sicher schienen, werden durch die Globalisierung herausgefordert. Die zusätzliche Bedrohung durch fanatisierte Glaubenskrieger hat Europa gerade noch gefehlt.

    Der Terror zwingt die europäischen Demokratien in eine Bewährungsprobe, die sie so noch nie zu bestehen hatten. Dabei geht es auch um unsere Freiheit. Wie viele unserer so selbstverständlich wahrgenommenen Rechte sind ein Luxus, auf den wir zugunsten von mehr Sicherheit verzichten sollten? Welche Bürgerrechte gehören dagegen zum Kern der Demokratie und dürfen auf keinen Fall angetastet werden? Jedes Land in Europa wird die Antwort herausfinden müssen.

    In Deutschland wird am heutigen Montag das Bundesverfassungsgericht dazu Stellung nehmen. Es geht um den Europäischen Haftbefehl. Er ist ein wirksames Instrument, um Terrorverdächtige schneller über die europäischen Grenzen hinweg auszuliefern. Die Richter in Karlsruhe werden jedoch über einen konkreten Fall urteilen. Sie werden klären, ob der Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli von Deutschland nach Spanien ausgeliefert werden darf. Dabei spielt ein wesentlicher Grundsatz unserer Rechtsordnung die entscheidende Rolle. Dieser Grundsatz besagt, dass jemand nur dann verfolgt werden darf, wenn die Tat bereits unter Strafe gestellt war, als der Verdächtige sie begangen haben soll. Rückwirkende Strafen sind ausgeschlossen.

    Sollte das Verfassungsgericht in diesem Sinne urteilen, so wäre damit aber nicht der Europäische Haftbefehl als solcher in Frage gestellt, sondern das deutsche Gesetz, das ihn auf die nationale Ebene übertragen hat. Jeder EU-Mitgliedsstaat hatte es nämlich in der Hand, solche Sicherheitsklauseln in den EU-Haftbefehl einzubauen. Der Bundestag hat es nicht getan. Er hat diesen europäischen Beschluss nur durchgewunken. Diese Art von Europapolitik aber sollte ein für allemal vorbei sein. Nicht zuletzt die Bedrohung durch den Terror verlangt ein ganz anderes Europa-Bewusstsein.

    Es klingt fast zynisch – doch die Terroristen könnten erreichen, was den Politikern bisher nicht gelungen ist: die Menschen von der Notwendigkeit der Europäischen Union zu überzeugen.