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Der Eurovision Song Contest 2017 in Kiew
"Nach Außen sieht es unwürdig aus, was sich jetzt abspielt"

Beim ESC werde es immer auch um Politik gehen, sogar in absoluten Friedenszeiten, sagte der Künstler Aljoscha, Sohn eines Russen und einer Ukrainerin, im DLF. Die verhängten Einreiseverbote zum diesjährigen ESC in Kiew gegenüber einer russischen Sängerin und russischen Journalisten seien "kontraproduktiv und überflüssig".

Aljoscha im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 12.05.2017
    Frauen machen ein Selfie vor dem Eurovision Song Contest Logo auf dem Maidan in Kiew.
    Frauen machen ein Selfie vor dem Eurovision Song Contest Logo auf dem Maidan in Kiew. (picture alliance / Jussi Nukari/Lehtikuva/dpa)
    Die russische Sängerin Julia Samoilowa durfte nicht einreisen, weil sie vor zwei Jahren auf der Krim aufgetreten ist; auch russische Journalisten erhielten ein Einreiseverbot für die Ukraine.

    Anja Buchmann: Sogar die Musikerin Christiane Rösinger ist - ein kritischer, aber immerhin auch - Fan des Eurovision Song Contest: Das diesjährige Finale findet am Samstag statt, in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Im Vorfeld natürlich: Querelen. Und die deutlich politischer Natur – obwohl es sich doch 'nur' um einen friedlichen Musik-Wettstreit handeln soll, dieses Jahr sogar unter dem Motto "Celebrate diversity". Der bildende Künstler Aljoscha ist Sohn eines Russen und einer Ukrainerin, lebt in Düsseldorf und verfolgt auch die Geschehnisse um den ESC in seiner Heimat. Herzlich willkommen zum Corsogespräch, Aljoscha.
    Aljoscha: Hallo.
    Buchmann: Würden Sie sich als Russe oder Ukrainer bezeichnen?
    Aljoscha: Ich bin eher ein Mischling. Ich bin noch in der Sowjetunion geboren. Damals spielten diese Nationalitäten noch überhaupt keine Rolle in der Gesellschaft und es war ein Reich, das sowjetische Reich. Und erst seit Kurzem haben wir diese Problematik, dass sich beide neu entstandene Gesellschaften extrem nationalisieren und mehr und mehr radikalisieren in diesem Bereich.
    "Die Politiker sollten die Chancen nutzen"
    Buchmann: Dieses Jahr ist es ja ein sehr großes Politikum beim ESC, beim Eurovision Song Contest. Die russische Sängerin Julija Samoilowa durfte nicht einreisen zum Halbfinale, da sie vor zwei Jahren auf der Krim aufgetreten ist. Auch russische Journalisten, die auf der Krim waren, haben Einreiseverbot für die Ukraine. Wie beurteilen Sie das?
    Aljoscha: Ich finde, diese Verbote sind kontraproduktiv und überflüssig, weil man muss schon objektiv bleiben. Russland wird die Krim niemals wieder an die Ukraine zurückgeben, weil die ganze russische Gesellschaft betrachtet das als ein historisches Stück von Russland. Und die Ukraine - meiner Meinung nach, als Ukrainer, als Halbukrainer mit einem ukrainischen Pass - soll immer noch lieber pragmatisch und konstruktiv bleiben, egal was passiert. Besonders im Kulturbereich sehe ich, sollten die Politiker auch die Chancen nutzen, um die Gesellschaft nicht wirklich in eine ganz große Konfrontation zu bringen.
    Der russisch-ukrainische Künstler Aljoscha zu Gast im Funkhaus Köln.
    Der russisch-ukrainische Künstler Aljoscha zu Gast im Funkhaus Köln. (Deutschlandradio / Tim Bieler)
    Buchmann: Wie sind die Reaktionen in Ihrem Umfeld? Ich gehe davon aus, dass Sie auch noch russische und, oder ukrainische Freundinnen und Freunde haben. Was sagen die zu den Auseinandersetzungen jetzt insbesondere bezüglich des ESC oder allgemein zwischen Russland und der Ukraine?
    Aljoscha: Nun, ich arbeite im künstlerischen Bereich, das heißt, alle meine Freunde sind Künstler und auch Ukrainer, Russen und Weißrussen. Und den bildenden Künstlern ist diese Veranstaltung ziemlich egal, sorry. Das heißt, es wird eher als Politikum und nicht als eine richtige musikalische oder künstlerische Gelegenheit betrachtet.
    "Eine tolle Gelegenheit für die Ukraine"
    Buchmann: Ja und selbst wenn Ihnen - verständlicherweise - vielleicht der ESC als "Kunstfestival" egal ist. Wie sehen Sie die Auseinandersetzung, also in Ihrem Bekanntenkreis, zwischen Ukraine und Russland? Auch sehr gelassen oder ...?
    Aljoscha: Gelassen. Auf jeden Fall sieht es nach Außen ziemlich unwürdig aus, was sich jetzt abspielt, für alle.
    Buchmann: Welche Bedeutung hat so ein Eurovision Song Contest für die Ukraine? Sind die Leute vor Ort begeistert oder eher genervt? Kriegen Sie da was mit?
    Aljoscha: Manche sind begeistert. Natürlich ist es toll, dass die Ukraine jetzt diese Gelegenheit bekommen hat, weil nach dieser Revolution, die 2014 stattfand, sind viele Leute ziemlich deprimiert, die Enttäuschung in der Gesellschaft ist schon enorm, weil die Ziele, die damals alle verfolgt hatten, wurden überhaupt nicht erreicht und sind sogar teilweise unerreichbar geworden. Und irgendwas frisches, freundliches, zukunftsweisendes ins Land zu holen ist natürlich für viele eine tolle Sache. Und für die Leute, die sowieso gegenüber solchen Veranstaltungen skeptisch sind, ist es auch egal.
    "Es wird auch um Politik gehen"
    Buchmann: Der ESC möchte ja eigentlich unpolitisch sein, also zumindest laut der Veranstalterin, der EBU, der European Broadcast Union. Ist das überhaupt möglich? Wie sehen Sie das? Ich meine, es soll ja eigentlich nur ein Sangeswettstreit sein, aber das funktioniert in der Regel nicht wirklich.
    Aljoscha: Nein, natürlich. Die Gesellschaft ist immer politisch. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis, es wird auch immer um Politik gehen, sogar wenn es in absoluten Friedenszeiten stattfindet, deshalb ist es auch ein Wettstreit zwischen Nationen in dem Sinne. Ich glaube nicht, dass man dieses Grundsatzziel überhaupt verfolgen kann.
    Buchmann: Kann Kunst denn allgemein unpolitisch sein? Sie bezeichnen ja selbst - also ich nehme jetzt mal den ESC als "Kunst" da mit rein - Ihre Kunst auch als unpolitisch, sogar, als Sie 2014 eine Kunstaktion auf dem Maidanplatz in Kiew gemacht haben.
    Aljoscha: Ja. Ich denke, Kunst muss auch apolitisch, also unpolitisch sein. Also grundsätzlich kann der Künstler die Gesellschaft nicht wirklich viel beeinflussen. Das beste Ziel, was man überhaupt verfolgen kann, ist Selbsterforschung. Man erkundet in erster Linie sich selbst, man begreift sich selbst durch eigene Kunstwerke und diese ganze Tätigkeit. Natürlich gibt es Künstler, die extrem sozial engagiert sind und deren Kunst immer politisch sein wird, aber ich zähle mich nicht zu solchen Leuten.
    "Wir sind alle soziale Tiere"
    Buchmann: Okay, aber es gibt natürlich auch Künstler, die wirklich auch konkret politisch sind wie Banksy oder Ai Weiwei oder wie auch immer.
    Aljoscha: Es ist auch vollkommen in Ordnung, weil wir sind sowieso alle soziale Tiere. Im sozialen Leben, wird man auch früher oder später mit Problemen dieser Gesellschaft konfrontiert, und ab uns zu passiert das auch mir.
    Buchmann: Können und wollen Sie einen Tipp abgeben, wie die Ukraine und, oder auch Deutschland beim ESC abschneiden wird dieses Jahr?
    Aljoscha: Also ich wünsche allen erstmal ein freudiges Musikfest, damit alle wenigstens für ein paar Tage glücklich werden. Aber wer welchen Platz kriegt ist, meiner Meinung nach, wirklich nicht wichtig.
    Buchmann: Der russisch-ukrainische Künstler Aljoscha zu den politischen Querelen zwischen Russland und der Ukraine beim diesjährigen Eurovision Song Contest. Das Finale gibt es am Samstagabend ab 21:00 Uhr im Ersten. Und wer sich für wirkliche Kunst interessiert - nämlich für die von Aljoscha: Eine neue Ausstellung von ihm beginnt am 28. Mai im Museum Schloss Benrath.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.