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Der Fall der türkischen Familie Boydak
Erst bejubelt und dann verhasst

Die türkische Regierung geht mit Massenentlassungen, Verboten, Enteignungen und Verhaftungen gegen Anhänger des Predigers Fethullah Gülen vor. Betroffen sind auch Unternehmer wie die Gebrüder Boydak. Mit 60 weiteren Kaufleuten stehen sie in Zentralanatolien in einem Massenprozess vor Gericht. Wirtschaftlich sind sie schon jetzt ruiniert.

Von Susanne Güsten | 01.11.2016
    Erdogan verhängt Ausnahmezustand über die Türkei (22.07.2016)
    Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich tritt als Nebenkläger in dem hochpolitischen Prozess auf. (dpa / picture alliance / Tolga Bozoglu)
    Es ist noch nicht lange her, da wurden die Gebrüder Boydak in der Türkei als Vorbilder bejubelt. Als "anatolische Tiger" feierte das Land die fromme Familie aus dem zentralanatolischen Kayseri, die aus ihrer Möbelschreinerei einen Konzern mit zwei Milliarden Euro Umsatz gemacht hatte; wegen ihres Fleißes und ihrer Frömmigkeit wurden sie als "muslimische Calvinisten" auch international bekannt. Doch als gebrochene Männer standen die Gebrüder Boydak vor drei Wochen in Handschellen am Sarg ihrer Mutter. Huriye Boydak hatte einen Herzinfarkt erlitten, als auch der letzte ihrer vier Söhne wegen Unterstützung des Predigers Fethullah Gülen abgeholt wurde.
    Nach dem Totengebet zurück ins Gefängnis
    Schockiert musste die Trauergemeinde vor der Moschee in Kayseri zusehen, wie die Gebrüder nach dem Totengebet wieder in den Gefangenentransporter stiegen – darunter der Vorstandsvorsitzende und der Generaldirektor der Boydak-Holding und der langjährige Vorsitzende der Handelskammer von Kayseri.
    Ab heute stehen die Gebrüder Boydak nun mit 60 weiteren Kaufleuten aus Kayseri in einem Massenprozess vor Gericht, in dem ihnen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich tritt als Nebenkläger in dem hochpolitischen Prozess auf. Die Gülen-Bewegung müsse wirtschaftlich zerschlagen werden, forderte Erdogan kürzlich:
    "Jeder Cent, der dieser Bewegung gespendet wurde, bedeutet eine Kugel gegen diese Nation. Jede ihrer Schulen und Universitäten, jede ihrer Firmen und Unternehmen ist ein Hort des Terrorismus."
    Großzügige Spenden an Fethullah Gülen
    Die Boydaks hatten als fromme Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen immer großzügig für dessen Schulen gespendet. Jahrelang mit ausdrücklicher Zustimmung und Unterstützung der Regierung Erdogan. Die Gründung einer vom Boydak-Konzern finanzierten Stiftungsuniversität in Kayseri etwa wurde 2008 mit den Stimmen der AKP vom Parlament gebilligt und von der Regierung Erdogan gegen Kritik der säkularistischen Opposition verteidigt.
    Und Erdogan selbst überreichte dem Boydak-Vorstand noch 2011 eine staatliche Auszeichnung für seine Verdienste um die türkische Exportwirtschaft. Da waren AKP und Gülen-Bewegung noch vereint in ihrem Machtkampf gegen die säkularistischen alten Eliten der Türkei. Doch seit der gewonnen ist, fallen die einstigen Bündnispartner übereinander her. Die Boydaks begriffen das zu spät. Der Vorstandsvorsitzende Haci Boydak äußerte sich anfangs noch verwundert über öffentliche Angriffe von Erdogan auf Gülen:
    "Das macht uns natürlich sehr traurig. Der Meister hat solche Vorwürfe nicht verdient. Aber das wird hoffentlich bald alles vorübergehen, wenn der Wahlkampf vorbei ist, dann wird hoffentlich alles wieder normal in der Türkei."
    Schon im September 2015 einmal festgenommen
    Statt dessen sitzt Boydak nun mit seinen Brüdern auf der Anklagebank. Zu spät hatten sie die Zeichen der Zeit erkannt und sich öffentlich von Gülen distanziert. Schon im September 2015 wurden die Gebrüder festgenommen, später wieder auf freien Fuß gesetzt und in diesem Frühjahr wieder verhaftet. Vergeblich versuchte der frühere Staatspräsident Abdullah Gül, der selbst aus Kayseri stammt, für die Boydaks zu intervenieren:
    "Die Familie Boydak ist für ihren Fleiß, ihre Ehrlichkeit und ihre Wohltätigkeit bekannt. Ich hoffe, dass sie nicht weiter gequält wird."
    Doch selbst Abdullah Gül, der langjährige Weggefährte von Erdogan, hat nichts mehr zu sagen in der Türkei. Versuchten Umsturz der öffentlichen Ordnung wirft die Staatsanwaltschaft den Boydaks nun vor, obwohl sie zum Zeitpunkt des Putschversuches bereits hinter Gittern waren. Mit ihrer Wirtschaftsmacht hätten sie andere Unternehmen in Kayseri gezwungen, für Gülen-Schulen zu spenden, heißt es in der Anklageschrift. Außerdem hätten sie sich in sozialen Medien kritisch über die Schließung von Gülen-Schulen durch die türkischen Behörden geäußert. Am Ausgang des Verfahrens ließ Erdogan in einer Rede vor den türkischen Handelskammern keinen Zweifel:
    "Wir werden alle ihre Wurzeln in der Wirtschaft mit Stumpf und Stiel ausreißen. Wir werden kein Erbarmen haben, mehr noch: Wer sich ihrer erbarmt, der wird es bereuen."
    Bis zum Urteil in dem Prozess dürfte es noch viele Monate dauern, aber wirtschaftlich sind die Boydaks schon jetzt ruiniert. Ihren milliardenschweren Konzern haben die Behörden bereits beschlagnahmt und nach dem Notstandsrecht verstaatlicht.