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Der Fall Harvey Weinstein
Das Schweigen der Journalisten

Seit den Missbrauchs-Enthüllungen über Harvey Weinstein produziert der Fall des Filmproduzenten täglich neue Schlagzeilen. Dabei auch im Fokus steht die Rolle US-Medien. Sie wussten zum Teil offenbar schon länger Bescheid, schwiegen aber aus Angst vor Rechtsstreitigkeiten.

Von Marcus Schuler, Los Angeles | 16.10.2017
    Harvey Weinstein 2016 mit seiner Gattin Georgina Chapman.
    Harvey Weinstein 2016 mit seiner Gattin Georgina Chapman, die ihn inzwischen verlassen haben soll. (picture alliance / dpa / Ian Langsdon)
    Rätselfrage: Wer ist mächtiger – Hollywood-Produzent Harvey Weinstein oder US-Präsident Donald Trump? "Präsident Trump wird von mehreren Frauen sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen. Und weil er sehr reich und sehr mächtig ist, konnte er davonkommen. Und dennoch ist er Präsident geworden, hat die Wahlen gewonnen. Und das zeigt meiner Meinung nach, wie leicht es einem Menschen mit großer Macht ist, mit einem solchen Verhalten davonzukommen." Das ist Zach Schonfeld, Medienredakteur beim Nachrichtenmagazin Newsweek.
    Vor mehr als 13 Jahren landeten wohl zum ersten Mal Gerüchte über Harvey Weinstein bei der angesehenen New York Times. Veröffentlich wurde die damalige Geschichte nie. Begründung: keine, nur eine Vermutung. Das Anwaltsteam von Weinstein soll massiv Druck auf die Zeitung ausgeübt haben. 13 Jahre später veröffentlichten New York Times und das Wochenmagazin The New Yorker quasi parallel die Geschichte.
    Vor allem der zum Condé-Nast-Verlag gehörende The New Yorker fiel mit einer sehr detaillierten Geschichte auf. Der Autor: ein freier Mitarbeiter des Fernsehsenders NBC. "Es scheint wahrscheinlich, dass NBC die Geschichte nicht bringen wollte, weil sich der TV-Sender vor der Macht Weinsteins in der Filmindustrie fürchtete. Sie hatten vermutlich Sorge um juristische Auseinandersetzungen, weil sowohl vor als auch nach der Veröffentlichung der Geschichte in der New York Times die Anwälte von Weinstein mit rechtlichen Schritten gedroht hatten."
    Der Fall Gawker und die Folgen
    Um diese rechtlichen Schritte besser zu verstehen, lohnt es sich, das Anwaltsteam von Harvey Weinstein genauer anzusehen. Ein Name fällt dabei sofort auf: Charles Harder. "Charles Harder ist derselbe Anwalt, der vor einem Jahr Hulk Hogan gegen den Onlinedienst Gawker verteidigt hatte. Gawker wurde praktisch in den Konkurs geklagt. Das Unternehmen konnte nicht mehr existieren, nachdem es den Gerichtsfall verloren hatte."
    Ko-finanziert wurde das damalige Verfahren damals übrigens vom deutschstämmigen Trump-Unterstützer Peter Thiel. Ronan Farrow ist der Autor des viel zitierten New-Yorker-Artikels. Im Gespräch mit CNN beschreibt er, welcher Druck auf die von Weinstein mutmaßlich belästigten Frauen ausgeübt wurde: "Immer wieder erzählten mir die Frauen, wie sie sich vor Vergeltungsaktionen fürchteten. Sie sprachen von einer großen juristischen Maschinerie, die sie zur Abgabe einer Verschwiegenheitserklärung verpflichtete. Im Gegenzug gab es Geld. Und es gab einen PR-Apparat, der die Frauen öffentlich verunglimpfte."
    Weinstein ist kein Einzelfall
    Doch wie weit geht die Macht der Mächtigen? Sehr weit, meint Medienredakteur Schonfeld von Newsweek. Und seit dem Konkurs des Online-Medienhauses Gawker seien Verlage und Online-Publikationen noch vorsichtiger geworden. "Selbst, wenn die New York Times einen solchen Rechtsstreit leicht gewinnen würde – die Kosten sind einfach so hoch, dass kleine Medienunternehmen mit solch einem Verfahren schlicht überfordert wären."
    Der Fall Weinstein ist kein Einzelfall, wie die jüngsten Anschuldigungen gegen Amazon-Studio-Chef Price zeigen. Im Gegenteil: Sie scheinen seit Jahrzehnten zum System Hollywoods zu gehören, sagt die Schauspielerin Jane Fonda: "Mir ist das auch passiert. Ich habe Harvey nur einmal getroffen. Da war ich alt. Harvey interessiert sich aber nur für junge Frauen. Die sind verletzlicher. Aber dieses Verhalten ist sehr, sehr üblich."