Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Der Film hat keinen Rhythmus"

Die Leistung, aber auch die Darstellung der Schauspieler in "Les adieux à la Reine" sei wenig überzeugend, sagt Kulturredakteur Christoph Schmitz, der den Eröffnungsfilm der Berlinale gesehen hat. Insgesamt stehe "der Aussagewille weit über der Aussagekraft" des Films.

Christoph Schmitz im Gespräch mit Dina Netz | 09.02.2012
    Dina Netz: Verloren geglaubte kambodschanische Filme, Dokumentationen über die Folgen von Fukushima und Sergej Eisensteins "Oktober" in restaurierter Fassung mit Orchestermusik – die Berlinale, die heute Abend beginnt, hat traditionell für jeden was zu bieten, und das wird ihr auch öfter vorgehalten. Trotzdem und obwohl die großen Premieren eher in Cannes stattfinden, ist die Berlinale eines der großen A-Festivals. 60.000 Besucher erwartet Berlin deshalb in den nächsten zehn Tagen, die sich 400 Filme ansehen können.
    Gleich geht’s los, ab halb acht wird der Eröffnungsfilm gezeigt, "Les adieux à la Reine" von Benoît Jacquot, eine französisch-spanische Koproduktion, die am Anfang der Französischen Revolution spielt. Diane Kruger spielt darin Königin Marie Antoinette, und das hat viel Erstaunen ausgelöst:

    Diane Kruger: "Zum Beispiel für meine Hollywood-Agenten. Die verstehen es also überhaupt nicht, warum ich irgendwie mal eine Nebenrolle in einem französischen Film spielen möchte, oder überhaupt französische Filme machen möchte. Für den ist das völlig nebensächlich. Für mich ist das unheimlich wichtig, ich lebe in Frankreich und im Grunde würde ich sagen, das europäische Kino ist eigentlich, wo ich mich am wohlsten fühle und wo ich die besten Rollen bisher hatte."

    Netz: Diane Kruger, die im Eröffnungsfilm der Berlinale Marie Antoinette spielt und ja übrigens Deutsche ist. - Mein Kollege Christoph Schmitz in Berlin hat "Les Adieux à la Reine" schon sehen können. Herr Schmitz, worum geht es genau?

    Christoph Schmitz: Es geht genau darum, dass Diane Kruger eigentlich doch keine Nebenrolle hat, sondern die Königin von Frankreich immerhin ist, Marie Antoinette, und diese Königin hat eine Vorleserin, gespielt von Léa Seydoux, und diese Vorleserin liest nun jeden Abend vor, an den entscheidenden Tagen der Revolution, die Bastille ist gestürmt worden, was wir im Film allerdings nicht sehen, und die Königin bekommt überhaupt gar nicht mit, was draußen passiert, es werden nur Gerüchte kolportiert. Und nun hat sie einen teuflischen Plan mit dieser Vorleserin: Die Königin möchte, dass ihre beste Freundin Versailles verlassen kann, denn sie selbst kann Versailles nicht verlassen, das hat der König verboten. Und damit diese andere Adelige nun aus Versailles herauskommt, das bedroht ist, verkleidet sich die Vorleserin in die Gestalt dieser Adeligen und rettet der sozusagen das Leben. – Darum geht es. Es ist aber kein opulenter Film, nicht so, wie das Sofia Coppola gemacht hat mit Marie Antoinette, der sehr luxuriös, schwelgerisch und prachtvoll den Reichtum, das Verwöhnte erzählt, sondern ein dunkler Film, das Getuschel wird erzählt, die Gerüchte, die so in diese klaustrophobische Welt hineinkommt von Versailles und eben dieser teuflische Plan. Es geht im Grunde um das Rumoren der zusammenbrechenden Welt des alten Regimes, und das sagt auch der Regisseur Benoît Jacquot ganz deutlich. Er sagt, mir war ein Drehbuch wichtig, das auch wenn es eine lange zurückliegende Zeit erzählt, so weit wie möglich alles in die Gegenwart transportiert, für den heutigen Zuschauer. Und dann weiter: "Aus der Sicht des Dienstpersonals habe ich erzählt, den Klassenkampf gibt es nämlich heute immer noch. Es geht um das Ende einer Herrschaftsepoche, und dafür bin ich und das freut mich." Also im O-Ton des Regisseurs Benoît Jacquot durchaus ein agitatorischer Film.

    Netz: Und ist "Les adieux à la Reine" ein würdiger Eröffnungsfilm für die Berlinale?

    Schmitz: Also wenn wir mal mit den Schauspielern beginnen, Diane Kruger. Eigentlich merkt man hier, dass sie nicht richtig spielen kann, würde ich sagen. Wenn sie gut in Szene gesetzt wird und gut beleuchtet und nur lächeln kann, dann wirkt das auf der Leinwand, aber so überhaupt nicht. Léa Seydoux als diese Sidonie, die Vorleserin, sie kann sich hier überhaupt gar nicht entfalten, obwohl sie eine großartige Schauspielerin ist. Ich kenne sie in verschiedenen anderen Filmen. Virginie Ledoyen, eine Schönheit, aber ihre Schönheit wird ausgestellt. Der Film hat keinen Rhythmus für meine Begriffe, er hat sehr unbeholfene Szenen, also das Handwerkliche stimmt nicht einmal, meine ich, unentschieden zwischen Realismus und Ironie, unfreiwillige Lacher hat er provoziert im Publikum der Pressepremieren, ein unfertiges Machwerk, finde ich, und hier steht der Aussagewille weit über der Aussagekraft.

    Netz: Sie haben außerdem, Herr Schmitz, schon eine Dokumentation von Werner Herzog über Todeskandidaten in US-Gefängnissen gesehen und einen indischen Gangster-Film. Auch das gelungene Beiträge zum Berlinale-Auftakt oder nicht?

    Schmitz: Na der Inder ist so ein Bollywood-Action-Film mit Shah Rukh Khan, dem größten Bollywood-Schauspieler, von Farhan Akhtar. Das ist sehr ironisches Action-Kino, Unterhaltungsgenre, müsste man sagen – geht in Ordnung, aber keine Filmkunst. Und "Death Row", also "Todeszelle", von Werner Herzog, vier Porträts von Todeskandidaten in US-Gefängnissen – drei Stunden dauert das Ganze -, das ist schon sehr beklemmend und das geht auch mehr in die Richtung, glaube ich, des Festivals.

    Netz: Der Berlinale-Präsident, Dieter Kosslick, der hat von "Les adieux à la Reine", also dem Eröffnungsfilm, gesagt, der Film atme denselben Geist wie die Arabellionen heute, und die Berlinale ist ja traditionell ein politisches Festival. Im Programm sollen jetzt noch viele Filme folgen, die sich also ebenfalls mit Umbruch-Situationen beschäftigen. Haben Sie so einen Schwerpunkt schon ausmachen können?

    Schmitz: Ja. Wenn man diese Kurzbeschreibungen der Filme durchliest, dann kann man schon dieses Fazit ziehen. Es geht um Umbrüche in den Gesellschaften global, um Gezeitenwechsel, nicht um Revolutionen, obwohl viele Filme über die Arabellion, über den Arabischen Frühling berichten. Fukushima – Sie haben es in der Anmoderation angedeutet – ist ein wichtiges Thema, die Situation von Afrika. Aber mehr doch scheint es mir um die Generationenfrage zu gehen, Skepsis der jungen Leute gegenüber den alten, das bittere Erbe der 68er, die Frage, wie gehen die jungen mit den Lebensentwürfen ihrer Eltern um. Beispielsweise es gibt da drei deutsche Filme, einer der deutschen Filme von Hans-Christian Schmid, "Was bleibt". Der Marco, die Hauptfigur, reist zu seinen Eltern aus Berlin nach Süddeutschland, wo die Eltern eine Villa haben mit Swimmingpool, der Vater war ein erfolgreicher Verlagsleiter, die Mutter ist depressiv. Schmid versucht, dieses Beziehungsgeflecht zu entwirren. Auch viele andere Filme beschäftigen sich damit. Also es geht eher um die Veränderungen, um Umbrüche in der Gesellschaft, weniger um Revolutionen.

    Schmitz: Das war Christoph Schmitz live aus Berlin zum Auftakt der Berlinale. Vielen Dank!

    Schmitz: Bitte schön.


    Mehr zum Thema:

    Gesamtübersicht: Unser Programm zur 62. Berlinale - Alle Infos zum Filmfestival bei dradio.de
    Filmfestspiele in Berlin eröffnet - Bei der 62. Berlinale werden in den kommenden zehn Tagen rund 400 Filme gezeigt