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Der Fluch eines glücklichen Zufalls

Es ist notwendig über den Holocaust zu sprechen und zu schreiben, selbst wenn Worte die monströsen Ereignisse nicht auszudrücken vermögen.

Agnieszka Lessmann und Frank Olbert | 10.05.2003
    Es ist unmöglich, über den Holocaust zu sprechen und zu schreiben, denn Worte vermögen die monströsen Ereignisse nicht auszudrücken.

    So beginnt Raymond Federman seinen Essay "The Necessity and Impossibility Of Being a Jewish Writer" und ohne Zweifel kann ein Großteil seines Werks als der Versuch angesehen werden, diesem Dilemma zwischen Notwendigkeit und Unmöglichkeit, das Unaussprechliche in Worte zu fassen, zu begegnen. 1942 entging Federman der Deportation durch die Nazis, weil seine Mutter ihn im letzten Moment in einen Schrank schubste. Damals begann sein Leben, so schreibt es der Autor in seinem Buch "Die Stimme im Schrank", das von seinem Überleben erzählt – und von der Hypothek der einzige Überlebende der Familie zu sein. Im Jahr 1928 in Paris geboren, lebt Raymond Federman seit 1947 in den USA. Er arbeitete als Schriftsteller und Kritiker und als Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der State University of New York in Buffalo. Dass sein Werk hierzulande bekannt wurde, was dann auf seine Rezeption in Amerika zurückstrahlte, verdankt sich nicht zuletzt dem Bayerischen Rundfunk. Seit 1989 macht die dortige Hörspielabteilung Federmans Bücher für das Radio fruchtbar, beginnend mit dem Stück "Die Nacht zum 21. Jahrhundert". Mit Federman, der in diesen Tagen 75 Jahre alt wird, habe ich mich über seine Arbeit unterhalten.

    Mr. Federman, welches Ihrer Radiostücke mögen Sie eigentlich am Liebsten?

    Ich denke, die Arbeit, die Norbert Schaeffer gemacht hat, ist hervorragend, denn sie ist experimentell, so wie meine Arbeit. Aber wegen des Textes muss ich sagen: "Die Stimme im Schrank". Ich war im Studio, als das Stück produziert wurde und es hat mich beeindruckt wie der Sprecher Rolf Boysen mit diesen verschiedenen Stimmen gearbeitet hat. Das erste Hörspiel war "Die Nacht zum 21. Jahrhundert" mit Bruno Ganz als Sprecher. Das war interessant, denn während das Hörspiel produziert wurde, begann ich immer besser zu verstehen, was das für ein Medium ist. Es ist ein sehr kompliziertes Medium.

    Hatten Sie irgendwelche Vorstellungen vom Hörspiel?

    Nur durch Samuel Beckett, mit dessen Werk ich mich sehr intensiv beschäftigt habe. Was mich am Hörspiel interessierte, war, dass man mit Stimmen verschiedene Arten mentaler Bilder herstellen kann und wie subtil man Soundeffekte einsetzen kann. Was mich immer wieder erstaunt, ist, wie man einen Text von 250 Seiten auf ein Manuskript von 50 Seiten reduziert – ohne die Geschichte zu verlieren.

    Ist es wahr, dass Ihre Texte immer autobiografisch sind?

    Ja, wahrscheinlich. Es gibt Themen, die sich durch mein Werk ziehen. Aber da ich keinen Unterschied mache zwischen dem, was ich erlebt und dem, was ich erfunden habe – weiß ich nicht, ob es autobiografisch ist.

    Erstaunt es Sie, dass so viele Ihrer Werke jetzt in Deutschland veröffentlicht werden?

    Aus meinen Büchern wurden Hörspiele, Theaterstücke, Ballette. Für mich ist es ein großes Vergnügen zu sehen, dass mein Werk nicht an die Buchseiten gebunden ist, sondern aus ihnen herauskommt, sowohl visuell als auch oral.

    Was bedeutet das Hören für Sie?

    Wenn ich meine Romane schreibe, spreche ich sie. So ist es geradezu natürlich für diese Werke, dass die Worte aus den Buchseiten herauskommen. Das gefällt mir sehr.

    Der Bayerische Rundfunk feiert Federmans 75. Geburtstag mit der Aussstrahlung des Hörspiels "Die Simme im Schrank". Es ist zu hören am Freitag, den 16. Mai um 22.05 Uhr auf Bayern2 Radio.