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Der Fotograf Otto Steinert
Dramatisierte Bild-Ästhetik in Schwarzweiß

Nicht nur als Begründer der sogenannten "subjektiven fotografie" hat der heute vor 100 Jahren in Saarbrücken geborene Otto Steinert der deutschen Fotografie der Nachkriegszeit eine neue Richtung gegeben. Der ehemalige Militärarzt war nach 1945 auch als Professor der Essener Folkwang Schule tätig. Er entwickelte mitten im Wirtschaftswunder die avantgardistische Fotografie.

Von Jochen Stöckmann | 12.07.2015
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    Ein Besucher betrachtet am Donnerstag (15.09.2011) in Hamburg im Haus der Photographie der Deichtorhallen in der Ausstellung "Eyes on Paris, Paris im Fotobuch" Fotografien des Künstlers Otto Steinert von 1948-51. (picture alliance / dpa / Angelika Warmuth)
    Paris, wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: Otto Steinert fotografiert Plakatwände, triste Fassaden, eine leere Straßenkreuzung. Geduldig bildet er mit extrem langer Belichtungszeit alle Details gestochen scharf ab. Nach schwülstigem Heldenpathos und Propaganda-Klischees der Nazi-Zeit nimmt der deutsche Fotograf die verschüttete Tradition der Neuen Sachlichkeit wieder auf. Diese nüchterne Präzision der Bauhaus-Fotografie aber kombiniert Steinert mit der stimmungsvollen Wirkung einer schemenhaften Silhouette – in ein und derselben Aufnahme: Mit tänzerischer Drehbewegung verkörpert der vorübereilende Passant das Fluidum spielerischer Leichtigkeit. "subjektive fotografie" nennt der ehemalige Stabsarzt der Wehrmacht seine spannungsgeladenen Schwarzweiß-Kompositionen. 1950 werden sie auf der Kölner Messe photokina gezeigt.
    "Eine Atombombe im Misthaufen der übrigen deutschen Fotografie."
    Fanfarentöne des Feuilletons begleiten den Vorstoß der von Steinert mitbegründeten Gruppe "fotoform": Ihre kontrastreiche, durch Dunkelkammer-Effekte dramatisierte Bild-Ästhetik verspricht eine Alternative zur biederen Reportage-Fotografie. Der folgenden Ausstellung 1951 in Saarbrücken - dort wurde Otto Steinert am 12. Juli 1915 geboren - geben die Avantgardisten um Peter Keetman, Toni Schneiders, Ludwig Windstosser den Titel "subjektive fotografie". Die Fotografen stellen sich in eine Reihe mit Designern, Typografen, Architekten und Künstlern, die in der modernen Technik mehr sehen als nur eine Verbesserung handwerklicher Instrumente. Otto Steinert, ursprünglich Mediziner, konstatiert:
    "Der Mensch durchleuchtet in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts seinen Schädel mit elektromagnetischen Wellen, skelettiert sich, entblößt sich der fleischlichen Hülle."
    Dunkelkammer-Experimente
    Nicht mit Röntgenbildern, aber in Dunkelkammer-Experimenten und durch nachträgliche Veränderung des Negativs - die sogenannte "Solarisation" - erprobt der passionierte Amateur, seit 1948 offizieller Theaterfotograf in Saarbrücken, neue Möglichkeiten. Die frisch erworbenen Kenntnisse gibt Steinert weiter - erst als Direktor der Saarländischen Schule für Kunst und Handwerk, seit 1959 an der Folkwang Schule in Essen. Dort baut der Foto-Professor mit einer Museumssammlung und regelmäßigen Ausstellungen seine einflussreiche Talentschmiede auf. Als Steinert 1978 stirbt, finden sich unter seinen Schülern erfolgreiche Reporter, aber auch André Gelpke, der Begründer der Autorenfotografie, oder ganz unterschiedliche Fotokünstler wie Dirk Reinartz oder Andreas Gursky.
    Diese Vielfalt drohte allerdings zu verschwinden hinter der eingängigen, von Steinert selbst geprägten Formel: "subjektive fotografie" war zur modischen Floskel geworden. Und ihr Erfinder hatte 1966 - damals als Vorsitzender der Gesellschaft deutscher Lichtbildner - gegenüber einem Radio-Interviewer Mühe, seine besondere Art der Fotografie zu erläutern:
    "Bildnerische Dokumentation! Also nicht nur die reine nackte Sachaufnahme. - Ja, subjektive Fotografie, wie Sie sie betreiben, Herr Professor Steinert? - Nein, nein, bitte nageln Sie mich darauf nicht fest. Ich pflege auch die Dokumentation."
    Reflektierter Blick auf die Welt
    Aber "Dokumentation" war in Steinerts Augen mehr als bloßes Abbilden. Doch dieser bewusste und reflektierte Blick auf die Welt drohte ins Hintertreffen zu geraten mit der Automatisierung der Fototechnik, mit dem simplen "Knipsen":
    "Die Fotografie ist heute, als die einfachste aller Bildtechniken, auch zum Bildmittel der Bildunbegabten geworden. Damit verbunden ist die Vermassung der Fotografie mit ihrer Stillosigkeit und Niveausenkung."
    Aber auch Bildende Künstler entdeckten Ende der Sechziger die Fotografie-– und mochten sich nicht mehr an Lehrsätze halten, wie sie der Professor Steinert sehr autoritär und bisweilen im Kasinoton vermittelte. Der studierte Maler William Klein etwa ließ sich durchs Gewühl der Großstädte treiben, fotografierte in Tokio, Moskau und New York spontan und intuitiv. Der Amerikaner reüssierte mit dieser neuen Art "subjektiver fotografie" - fand aber vor dem gestrengen Auge Otto Steinerts keine Gnade:
    "Als ich nach New York kam, und ich habe dieses im Sinne der "subjektiven fotografie", also nach unserer Formulierung, fotografierte Buch von William Klein gesehen: Ich erkannte New York nicht."