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Der freie Künstler

Albrecht Dürer gilt nicht nur als der größte deutsche Grafiker, sondern auch als Vertreter des neuen freien Künstlertypus. "Das druckgrafische Werk in drei Bänden" hat sich dem künstlerischen Schaffen Dürers angenommen. Der nun erschienene dritte Band widmet sich seinen Buchillustrationen.

Von Martina Wehlte Höschele | 29.03.2005
    Ein "ingeniosus amator", ein begnadeter Liebhaber, soll er gewesen sein, und viele Frauen begehrt haben, "multas appetit", wie der Bamberger Kanonikus Lorenz Behaim über Albrecht Dürer schrieb, als er ihm 1507 das Horoskop stellte. Dürer war Mitte dreißig und hatte eine tiefe Lebenskrise überwunden. Dass sein enger Vertrauter Behaim ihm prophezeite, er werde nie arm sein und nicht Witwer werden, dürfte auch den letzten Schatten von Depression weggeblasen haben. Ein außergewöhnliches Talent zur Kunst schließlich können auch wir Nachgeborenen dem Nürnberger Maler und Grafiker bestätigen. Dazu Rainer Schoch, stellvertretender Direktor des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg:

    "Albrecht Dürer, das ist sicher unbestritten, ist nicht nur der größte deutsche Grafiker, man könnte sagen aller Zeiten, sondern er ist auch einer der größten überhaupt und er hat in einer Zeit gelebt, die von großen Umbrüchen geprägt war am Anfang der Neuzeit; und da spielt die Druckgrafik eine ganz entscheidende Rolle, denn er war der Erste, der als Holzschneider, Kupferstecher, Radierer alle Techniken, die damals zur Verfügung standen, gleichzeitig produziert hat und die Druckgrafik war damals eines der fortgeschrittensten Medien. Es bedurfte keiner Auftraggeber mehr, der Künstler produzierte für den freien Markt, auf sein eigenes Risiko. Er hatte aber auch eine künstlerische Freiheit dabei, er konnte Themen wählen, die er für wichtig hielt, ohne auf einen Auftraggeber hier Rücksicht zu nehmen, wie es in der Malerei zum Beispiel der Fall war. Es war eine öffentliche Kunst und er hatte natürlich auch das volle Risiko, seine Freiheit umfasste auch die Freiheit, auf seiner Produktion sitzen zu bleiben, wenn er sie nicht verkaufen konnte. Insofern taucht hier in der Gestalt von Dürer sicher ein neuer Typus des Künstlers auf, ein neuzeitlicher Typus, der Typus des freien Künstlers wie wir ihn bis heute eigentlich kennen."

    Rainer Schoch hat zusammen mit Matthias Mende, dem derzeit erfahrensten deutschen Dürer-Spezialisten und mit der jungen Kollegin Anna Scherbaum das druckgraphische Werk Albrecht Dürers in drei hervorragend ausgestatteten dicken Bänden bei Prestel herausgegeben. Band I mit den Kupferstichen, Eisenradierungen und Kaltnadelblättern sowie Band II mit den Holzschnitten liegen schon seit einiger Zeit vor. Nun ist auch der dritte Band erschienen, der sämtliche von Dürer entworfenen Buchillustrationen abbildet, untersucht und kommentiert. Einschließlich der abgeschriebenen und zweifelhaften Buchholzschnitte sind das über siebenhundert Einzelwerke, die jeweils mittels eines wissenschaftlichen Apparates exakt verortet und zitierfähig durchnumeriert sind.

    Mit den drei Bänden, die in einer Auflage von 2.500 Stück gedruckt wurden, liegt ein Standardwerk für Universitätsbibliotheken und Fachgelehrte vor, ein Stück Grundlagenforschung. Aber von welchem Kaliber! Nehmen wir zum Beispiel den dritten, weil jüngsten Band: Dürers Illustrationen zum Ritter vom Turn aus der Basler Frühzeit, 1493, oder, ein Jahr später, die Holzschnitte zu Sebastian Brants Narrenschiff. Die Autoren zeigen, dass Dürer zumeist nicht ikonographisch festgelegten Bildmustern folgte, sondern dass seine Szenen echte Neuschöpfungen waren, mit denen er die spätmittelalterliche Bildwelt sprengte und die ihn als originären Künstler ausweisen. Die Illustration wird zum kongenialen Partner, ja Interpreten des Textes! Der Übergang zur Renaissance mit ihrem humanistischen Gedankengut ist erkennbar; erkennbar auch für den Nicht-Fachmann, der die neuesten Forschungsergebnisse in lesbarer, ja lebendiger und mitunter sogar amüsanter Form mitgeteilt bekommt.

    "Wir wollten also eine neue Plattform sozusagen schaffen, auf deren Grundlage nun die verschiedensten Interessenten, also nicht nur Kunsthistoriker, Studenten, Sammler, Händler sondern eben auch das interessierte Publikum sich leicht Zugang verschaffen konnte zu dem Wissen über Dürer, was bisher sehr schwierig war."

    Schoch, Mende und Scherbaum weisen immer wieder auf charakteristische Stilmittel Dürers hin, auf seine Dramatik oder die besondere Lichtführung, mit der er Raumtiefe erzielte. Sie weisen auf antike Vorbilder hin und decken Zeitbezüge auf, die sich dem heutigen Betrachter nicht mehr ohne weiteres mitteilen (etwa die damalige Türkengefahr). Und sie erzählen in Kürze die Moralgeschichten zu den Bildern, das Lob der Tugend, die Strafe des Lasters, die Narretei. Damit öffnet sich für die geistig und politisch bewegte Zeit Dürers ein geradezu universaler Bildungshorizont, der auch für interessierte Laien und Liebhaber altdeutscher Kunst die Lektüre lohnt.

    Dürers Buchholzschnitte hatten bislang wenig Beachtung gefunden, weil sie vielfach Themen galten, die kein unmittelbares kunsthistorisches Interesse hervorrufen. Etwa die großen Lehrbücher aus den 1520er Jahren: "Die Unterweisung der Messung", "Die Befestigungs-" oder "Die Proportionslehre". Zu neun Zehnteln der Illustration gab es keinen Kommentar. Aus diesem Grund wurden für den besonders zeitaufwändigen dritten Band ein Mathematikhistoriker und ein Spezialist für Antikenrezeption hinzugezogen und erst diese Zusammenarbeit ermöglichte es, auch die speziellen Arbeiten kompetent zu erörtern. Dank eines neuen Vertriebssystems war Dürers Grafik nicht nur in den großen deutschen Städten oder auf der Frankfurter Messe zu haben, sondern sie wurde insbesondere nach Italien vermarktet, wo der Nürnberger im Rufe eines zweiten Apelles stand. Wie schwer sich Dürers Anfänge als Grafiker nachvollziehen lassen, zeigt sich gerade an der Buchillustration.

    "Es gibt einen einzigen signierten Holzstock in Basel und um diesen Holzstock herum gruppiert sich ein riesiges Holzschnittwerk, was schon in den Jahren zwischen 1490 und 1493 entstanden sein muss, dessen Zuschreibung nach wie vor fraglich ist, aber es spricht doch manches dafür, dass wir Dürer vor allem als Holzschneider zunächst sehen müssen, der auf seiner Wanderschaft am Oberrhein Station gemacht hat und dort die bedeutendsten frühhumanistischen Publikationen im späten 15. Jahrhundert illustriert hat."


    Tatsächlich gibt es für einen Kunsthistoriker nichts Riskanteres, als ein anonym überliefertes Werk rein stilkritisch einem bestimmten Künstler oder einer lokalen Schule zuordnen zu müssen. Matthias Mende vergleicht die Stilkritik, bei der es ganz auf die Blickrichtung des jeweiligen Forschers ankommt, mit dem Blick durchs Kaleidoskop, dessen Kristalle sich zu einem neuen Bild ordnen, sobald man die Röhre leicht dreht. Der Wissenschaftler als homo ludens, dessen Erkenntnisse immer zeitbedingt und dem eigenen Umfeld geschuldet sind - das muss ja zu einem Tohuwabohu in der Fachliteratur führen. Ein Paradebeispiel dafür ist der Nürnberger Buchholzschnitt um 1500, von dem man Dürer schon als begabtem Lehrjungen fälschlich einen Großteil zugeschrieben hatte.
    Schuld daran war nicht nur der insgesamt lückenhafte Kenntnisstand im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts. Es war auch die begeisterte Dürer-Rezeption des neunzehnten Jahrhunderts, die zu haltlosen Spekulationen verleitet hatte.

    Das letzte deutschsprachige Werkverzeichnis der Druckgrafik von Joseph Meder stammt aus dem Jahr 1932. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der deutschen Kunstgeschichte durch die Emigration vieler, nicht nur jüdischer Wissenschaftler wie beispielsweise Erwin Panofsky, ein solcher Aderlass zuteil, dass sich die Dürer-Forschung sehr stark und zeitweise ausschließlich in den angelsächsischen Ländern und speziell in Amerika abspielte. Im Zuge der Ausstellungen zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers 1971 wurde erstmals wieder in Deutschland versucht die Lücke zu schließen. Das im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg angesiedelte Großprojekt eines druckgrafischen Verzeichnisses knüpft daran an.


    "Diese Trennung zwischen deutscher Forschung und angelsächsischer Forschung aufzuheben und die Fäden wieder zusammenzuführen, das war eine der Aufgaben dieses Unternehmens. Etwas anderes war es auch, sozusagen die unterschiedlichen Richtungen, auf der einen Seite die kennerschaftliche grafikspezifische Forschung, die also auf Zustandsbeschreibungen, auf Zuschreibungen überhaupt Wert legt, und auf der anderen Seite die gerade im Anschluss an Panofsky immens gewachsene ikonografische Literatur, das nun auch wieder zusammenzuführen."

    Das Vorhaben hat fraglos auch dem Prestel Verlag gehöriges Engagement abverlangt, selbst wenn sein Name nun untrennbar mit der internationalen Dürer-Renaissance verbunden bleibt, die mit den bedeutenden Ausstellungen in Paris, London, Wien begonnen hat und mit solchen in Madrid und Washington demnächst fortgesetzt wird. Und endlich arbeiten sogar die Uffizien in Florenz ihren immensen Bestand an über sechshundert Dürer zugeschriebenen Blättern auf. Überwunden sind die Berührungsängste in den 60er,70er, 80er Jahren, als man sich wohl mit der Rezeptionsgeschichte der sogenannten altdeutschen Kunst und ihres Exponenten Albrecht Dürer beschäftigte, kaum aber mit ihr selbst, die vom Nationalsozialismus ideologisch missbraucht worden war.
    "Eine neue Generation verlangt sozusagen einen neuen Zugang zu diesem Thema und ich denke, wir haben ein Werkzeug mit diesem Handbuch geschaffen, das diesem Bedarf Rechnung trägt."

    Albrecht Dürer: "Das druckgrafische Werk in drei Bänden"
    Prestel Verlag