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Der Freitag-Effekt
Höheres Sterberisko bei Patienten am Wochenende

Wer am Wochenende operiert wird, hat statistisch gesehen eine schlechtere Überlebenschance als Patienten, die am Montag oder Dienstag unters Messer kommen. Schwedische Forscher haben dieses Phänomen nun bestätigt: Ihre Ergebnisse legen nahe, dass es vor allem bei langwierigen Eingriffen wichtig ist, am richtigen Wochentag operiert zu werden.

Von Christine Westerhaus | 01.12.2015
    Ein Kalenderblatt des Monats Dezember.
    Patienten überleben laut einer Studie langwierige OPs eher, wenn sie am Wochenanfang durchgeführt werden (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Wenn ein Gerät schnell kaputt geht, heißt es gerne "Das war eine typische Montagsproduktion". Doch in der Chirurgie scheint das nicht zu gelten: Wer an Speiseröhrenkrebs erkrankt ist und operiert wird, hat fünf Jahre später eine höhere Wahrscheinlichkeit, noch am Leben zu sein, wenn der Tumor an einem Montag entfernt wurde.
    "Interessant ist, dass wir diesen Effekt wesentlich deutlicher gesehen haben, als wir dachten. Die Prognose für die Patienten war umso schlechter, je später der Wochentag war, an dem sie operiert wurden."
    Jesper Lagergren vom Karolinska Institut in Stockholm hat für seine Studie die Daten von mehr als 1.700 schwedischen Patienten mit Speiseröhrenkrebs untersucht. Je früher der Tumor behandelt wurde, desto deutlicher war der Einfluss des Wochentags auf die Überlebenswahrscheinlichkeit. Ist der Krebs noch nicht weit fortgeschritten, überlebt der Patient eher, wenn der Chirurg optimal operiert und den Tumor restlos entfernt.
    Das deute darauf hin, dass der Chirurg selbst für den Freitagseffekt verantwortlich ist, so Lagergren.
    "Am Wochenanfang ist ein Chirurg wahrscheinlich ausgeruhter und hat noch nicht so viele Bereitschafts- und Nachtdienste hinter sich. So eine Krebsoperation dauert mehr als sechs Stunden und erfordert volle Konzentration. Dies ist die erste Studie, die untersucht hat, wie die langfristige Prognose nach einer Krebs-OP und der Wochentag des Eingriffs zusammenhängen. Wenn auch andere Studien diesen Freitagseffekt zeigen, sollte man darüber nachdenken, solche langwierigen Operationen immer an den Wochenanfang zu legen."
    OPs am Wochenende sind ein Risiko
    Doch Patienten überleben nicht nur langwierige OPs eher, wenn sie am Wochenanfang durchgeführt werden. Vor zwei Jahren haben sich Paul Aylin vom Imperial College London und seine Kollegen die Daten von mehr als vier Millionen geplanten Eingriffen in britischen Krankenhäusern angesehen. Wer an einem Freitag operiert wurde, lief deutlich eher Gefahr, die ersten 30 Tage nach dem Eingriff nicht zu überleben. Nach einer OP am Samstag war das Sterberisiko sogar noch größer.
    "Eine unserer Vermutungen war, dass die Versorgung nach der Operation dafür verantwortlich ist. Komplikationen treten vor allem in den ersten 48 Stunden danach auf. Es könnte sein, dass am Freitag operierte Patienten schlechter versorgt werden, weil die Krankenhäuser am Wochenende tendenziell unterbesetzt sind und vielleicht eher unerfahrene Pflegekräfte eingesetzt werden.
    Aber bisher ist das eine Hypothese – denn wir haben in unserer Studie nur Daten ausgewertet und diesen Zusammenhang dabei beobachtet."
    Schwangere werden am Wochenende schlechter versorgt
    Gestützt wird diese Vermutung auch von einer neuen Untersuchung, die Paul Aylin und seine Kollegen soeben im British Medical Journal veröffentlicht haben. Sie legt nahe, dass Hochschwangere, die an einem Wochenende in der Klinik entbunden werden, schlechter versorgt werden als unter der Woche.
    "In dieser neuen Studie haben wir uns das Sterberisiko von Neugeborenen an verschiedenen Wochentagen angesehen und auch Komplikationen wie Infektionen oder Verletzungen. Und auch hier scheint es einen Wochenend-Effekt zu geben."