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Der Friedhof von Chasselay
Dunkles Kapitel der deutsch-französischen Beziehungen

In den beiden Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts kämpften mehr als 180.000 sogenannte Senegalschützen auf Seiten der Franzosen. Im Juni 1940 verübten SS-Soldaten in einem Dorf bei Lyon ein blutiges Massaker an Dutzenden dieser Soldaten. Begraben sind sie auf dem Friedhof von Chasselay.

Von Andreas Noll | 11.09.2015
    Gefangene französische Soldaten aus den Überseekolonien im Frühsommer 1940 in Frankreich
    Gefangene französische Soldaten aus den Überseekolonien im Frühsommer 1940 in Frankreich (picture alliance / Hans-Joachim Rech)
    Michel Evieux steht auf einem kleinen Friedhof am Rande einer schmalen Landstraße in Chasselay. Mindestens einmal pro Jahr kommt der Gründungspräsident eines afrikanischen Freundschaftsvereins an diesen Erinnerungsort. Mit seinen rot-braunen Mauern im Stil einer traditionellen senegalesischen Festung und den hell-roten Grabstelen für die 187 Senegalschützen wirkt der Friedhof exotisch in der französischen Landschaft:
    "Das ist wirklich einzigartig in Frankreich. Der Bau erfolgte unter dem Vichy-Regime. Obwohl Vichy im August 1940 noch verboten hatte, schwarze Soldaten überhaupt zu bestatten."
    Ein französischer Veteran hatte den Friedhof im Zweiten Weltkrieg gegen Widerstände und auf eigene Kosten angelegt hat. Während der Einweihungszeremonie am 8. November 1942 sprach der Mann gar vom afrikanischen Heroismus gegen die Nazi-Barbarei.
    "Unglaublich."
    SS-Soldaten trennten schwarze und weiße Kriegsgefangene
    Unglaublich, so der 81-Jährige Michel Evieux, über den Mut des Mannes. Schließlich galten zu dieser Zeit für Vichy und die Ton angebenden Deutschen Afrikaner als Untermenschen. Aus diesem Grund hatten SS-Soldaten die schwarzen Kriegsgefangenen von ihren weißen Kameraden getrennt und auf einem Feld erschossen.
    Nach dem Krieg – besonders nach der Unabhängigkeit der schwarzafrikanischen Staaten ab Ende der 50er Jahre – geriet die Gedenkstätte in Vergessenheit. In Frankreich, aber auch in Afrika:
    "Bis 1960 waren die Weltkriegsveteranen der Senegalschützen Helden in ihren Ländern. 14 Afrikaner wurden 1944 nach der Befreiung Frankreichs mit der höchsten militärischen Ehrung ausgezeichnet. Aus sieben Senegalschützen wurden später Staatschefs. Als die Staaten sich aber von Frankreich emanzipierten, wurde das zum Problem. Plötzlich waren die alten Veteranen Kollaborateure."
    Auch in Frankreich wuchs die Distanz zu den Kämpfern. Die Regierung fror ihre Pensionen auf dem Niveau im Jahr der Unabhängigkeit ein. Erst ab Anfang der 90er Jahre engagierte sich eine französische Vereinigung für eine bessere Versorgung der Veteranen. Der frühere General Armel Le Port ist heute der Präsident des Vereins:
    "Die französische Regierung wollte schlicht Geld sparen, aber auch die afrikanischen Regierungen hatten kein großes Interesse, dass die Veteranen ihren Lebensstandard verbesserten."
    Senegalschützen wurden erst 2011 gleichgestellt
    Nach 20 Jahren politischem Lobbying leitete Staatspräsident Jacques Chirac 2005 die Anpassung der Veteranen-Pensionen in die Wege. Vollständig erreicht wurde die Gleichstellung erst 2011 – als die große Mehrheit der Veteranen längst gestorben war.
    Michel Evieux hat diese Debatten hautnah mitverfolgt – engagiert sich seit Jahrzehnten für das Andenken an die Senegalschützen. Hier in Chasselay, sagt Evieux, habe er schon viele Leute weinen sehen:
    "Ich habe hier häufig Leute weinen sehen."
    "Hier gibt es einen, dem wir zumindest eine Identität beimessen können. Bakary Goudiaby. Dieser Bakary Goudiaby ist der Großvater eines Journalisten, der den Dokumentarfilm Waffenbrüder über das Massaker von Chasselay und den Friedhof gedreht hat. Während der Dreharbeiten sagte die letzte Augenzeugin des Massakers, eine Apothekerin, zu dem Journalisten: Komm mal näher! Die Frau erkannte eine Stimme wieder, die sie vor 70 Jahren schon einmal gehört hatte. Der Enkel klang wie der verwundete Großvater, den die Apothekerin versorgt hatte."
    "Hier haben schwarze Soldaten gegen die Nazi-Barbarei gekämpft"
    Mittlerweile sind die letzten Augenzeugen des Massakers gestorben. Auch das Gedenken ändert sich – religiöse und ethnische Fragen würden heute instrumentalisiert, resümiert der frühere Latein – und Griechischlehrer ein wenig resigniert. Das Gedenken werde missbraucht:
    "Es gab hier schon große Demonstrationen illegal Eingewanderter, die die Gelegenheit gekommen sahen, hier für einen Aufenthaltstitel zu demonstrieren. Man kann das gut verstehen, aber das kann hier nicht geschehen. Man darf die Geschichte nicht instrumentalisieren. Wir ehren hier die Werte, die wir in Afrika und Frankreich teilen. Hier haben schwarze Soldaten für diese Werte gekämpft und gegen die Nazi-Barbarei. Was am Ende gesiegt hat, das waren die gemeinsamen republikanischen Werte. Und nur darum geht es an dieser Stelle."