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Der Ge- und Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln steigt

Wir hatten in der vergangenen Woche darüber berichtet: die Bayer AG hat die Pflanzenschutzmittel-Sparte von Aventis gekauft und ist damit in die Weltspitze der Agrochemiehersteller vorgestoßen - nach der schweizerischen Syngenta AG liegt Bayer nun auf Platz 2. Der Leverkusener Chemiekonzern hat sich deshalb für diesen Kauf entschieden, weil man erwartet, dass die Nachfrage nach Pflanzenschutzmitteln in Zukunft deutlich zulegen wird - wegen des starken Bevölkerungswachstums und des dadurch höheren Nahrungsmittelbedarfs. Und zumindest mit Blick auf Deutschland könnte diese Prognose zutreffen. Denn obwohl viel über den sparsamen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln geredet wird, haben Wissenschaftler aus Baden-Württemberg festgestellt, dass - allem Gerede zum Trotz - heute mehr Mittel gespritzt werden als noch vor zehn Jahren.

Von Fromut Pott | 10.10.2001
    Herbizide halten Unkraut vom Acker fern, Insektizide vernichten Läuse, Käfer und Kumpane, Fungizide töten Pilze auf Kartoffeln, Obst und Getreide. Moderne Landwirtschaft, die ihren Preis hat: Denn Pflanzenschutzmittel vernichten bekanntlich nicht nur Schädlinge, sondern auch Nützlinge. Und Rückstände der Gifte finden sich auf Lebensmitteln, in Boden und Grundwasser, in Bächen und Seen.

    Eigentlich sollte man meinen, schon aus Kostengründen würden die deutschen Bauern Pflanzenschutzmittel heute sehr viel sparsamer einsetzen als früher. Doch dies ist ein Irrtum, weiß Zerrin Akkan von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg:

    Zur Zeit ist der Absatz etwa so, dass im Jahr in Deutschland 35000 Tonnen Wirkstoffe aus Pflanzenschutzmitteln verkauft werden und die Entwicklung in den letzten Jahren, also in den 90er Jahren bis heute, ist so, das der Inlandsabsatz einen Anstieg zeigt.

    Und der kann sich sehen lassen: Im Jahr 2000 verkaufte die Agrarbranche hierzulande rund 6000 Tonnen mehr Wirkstoffe als 1994 - ein Anstieg von fast 30 Prozent. Und das, obwohl viele Pflanzenschutzmittel heute bereits in kleinsten Mengen wirken. Zudem wurde die Anwendungstechnik immer ausgefeilter.

    Das heißt eigentlich sind hier dann Faktoren, die für einen geringeren Bedarf sprechen, und insgesamt bleibt erklärungsbedürftig, warum trotz dieser Entwicklung zu niedrigerem Aufwandbedarf nicht weniger Pflanzenschutzmittel verkauft werden.

    Zerrin Akkan hat bei ihren Recherchen mehrere Erklärungen gefunden: In den 90er Jahren stieg die Nachfrage in den neuen Bundesländern, als die Lagerbestände aus DDR-Zeiten allmählich aufgebraucht waren. Außerdem nahm die Ackerbaufläche in Deutschland insgesamt etwas zu. Aber die Frage "wo sind die zusätzlichen Pflanzenschutzmittel geblieben?" wird dadurch nur zum Teil beantwortet. Die Biochemikerin und ihr Kollege Holger Flaig gehen davon, dass der so genannte "integrierte Landbau" nicht so verbreitet ist, wie Branchenvertreter behaupten. Im integrierten Landbau sollen chemische Mittel erst eingesetzt werden, wenn mechanische oder biologische Maßnahmen nicht mehr ausreichen. Das spart Kosten, meint Flaig, doch es macht auch mehr Arbeit.

    Natürlich kann ich Pflanzenbehandlungsmittel einsparen, wenn ich die Befallsrate genau beobachte und ab einer bestimmten Schadensschwelle dann chemischen Pflanzenschutz einsetze, so wie das beim integrierten Pflanzenschutz ja sein soll. Nur muss ich da Arbeit investieren und Arbeit ist auch Geld, und eben Arbeit. So das der Landwirt entscheiden muss, stecke ich jetzt weniger Arbeit rein und spritze dann lieber einmal auch prophylaktisch, oder muss ich ganz genau beobachten, muss mir damit auch Stress machen und Arbeitszeit investieren, um den Mitteleinsatz niedrig zu halten.

    Vermutlich wählen viele Bauern den einfacheren Weg -die chemische Keule. Beweisen kann das jedoch bislang niemand. Denn es fehlen die Zahlen, wieviel Pestizide wo verbraucht werden. Zu solch einer Dokumentation sind die Landwirte bislang nicht verpflichtet. Mit dem neuen Bundesnaturschutzgesetz, das zur Zeit im Bundestag beraten wir, soll dies anders werden. Die Novelle sieht vor, dass die Bauern zukünftig genau Buch führen müssen, welche Pestizide sie wo in welcher Menge gespritzt haben. Eine wichtige Voraussetzung für einen maßvollen Pflanzenschutz, meint Flaig.

    Nicht mal nur, um kontrollieren zu können, sondern auch für den Landwirt selber, weil vielen von ihnen die Einsparpotentiale noch gar nicht richtig bewußt sind. Und wenn er dann schwarz auf weiß sozusagen stehen hat, was er da jedes Jahr einsetzt, und durch eine entsprechende Beratung auch vermittelt bekommt, wo er noch einsparen könnte, an Mitteln, aber auch an Geld, dann denke ich, ist das ein ganz wichtiger erster Schritt, zu einer Reduktion zu kommen.

    Reduktionsbedarf gibt es übrigens nicht nur in Deutschland. Denn auch in anderen EU-Ländern steigt der Verbrauch an Pflanzenschutzmitteln wieder an. Und während in Deutschland wenigstens die Belastung der Lebensmittel konstant relativ niedrig liegt, hat sie, europaweit gesehen, sogar zugenommen: Kürzlich meldete die EU-Kommission steigende Pestizid-Rückstände in Obst-, Gemüse- und Getreideprodukten.