Freitag, 19. April 2024

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Der Geschmack des Meeres

Auf der Halbinsel Guérande wird seit Jahrhunderten Salz gewonnen, die Voraussetzungen sind optimal: Der Salzgehalt des Wassers ist hoch und die Sonneneinstrahlung sehr viel höher als sonst am Atlantik. Doch mit der Zeit verfielen die alten Salzgärten immer mehr. Bis Anfang der 80er Jahre Aussteiger und Idealisten das "Sel de Guérande" wiederentdeckten. Heute lebt eine ganze Region vom "weißen Gold".

Von Simonetta Dibbern; Redakteur am Mikrofon: Thilo Kößler | 01.09.2007
    Wenn von Salz die Rede ist, dann ist nicht irgendein Gewürz gemeint – so gesehen sind Pfeffer und Salz im Grunde gar kein Zwillingspaar. Zwar wirken sie heute unzertrennlich, wie sie nebeneinander auf jedem Esstisch stehen – kulturgeschichtlich liegen aber Welten zwischen ihnen. Anders als der Pfeffer, der geschmacklich den Eintritt in die Neuzeit markiert und die Tür ins Zeitalter des Luxus und der Moden öffnet, steht das Salz für die Deckung des täglichen Grundbedarfs. Vom Salz der Erde ist in der Bibel die Rede – kein Wort jedoch vom Erden-Pfeffer.

    Die Paludiers an der französischen Atlantikküste sind sich dieser kulturhistorisch bedeutsamen Tiefenschärfe ihres Produkts durchaus bewusst: Die Paludiers, das sind die Salzbauern, die ihre Salinen im "weißen Land" der Halbinsel Guérande bestellen – sie liegt oberhalb der Loire Mündung und das Salz von dort ist keine Massenware. Für die Paludiers ist es das Salz des Lebens.

    Die Paludiers, das sind die Salzbauern, die ihre Salinen im "weißen Land" der Halbinsel Guérande bestellen – sie liegt oberhalb der Loire Mündung und das Salz von dort ist keine Massenware. Für die Paludiers ist es das Salz des Lebens.


    Alain Lalande – ein Paludier bei der Salzernte

    Es ist früh am Morgen. Die Sonne steht noch tief über der Halbinsel von Guérande. Der Wind weht eine feucht-würzige Meeresbrise über das flache Land. In der Ferne, am Rand der Ebene, sind die Türme der umliegenden Städtchen zu sehen: Croisic, Batz-sur-Mer und Guérande. Mittendrin befinden sich die nördlichsten Salzgärten des Atlantiks: ein schachbrettartiges Mosaik aus tiefschwarzen Seen und grün bewachsenen Dämmen, aus Kanälen, Straßen und Feldwegen.
    Ein Vogelparadies. Eine Schar Austernfischer watet mit langen roten Beinen durch das sumpfige Becken, die andere Ecke gehört den Möwen.

    Die riesigen weißen Salzhaufen sind von der Straße aus zu sehen, die Saline selbst liegt etwas tiefer. Etwa 40 kleine feuchte Felder, mit dunklem Salzwasser gefüllt und wie mit dem Lineal gezogen. Am Rand von einigen funkeln mattweiße Minipyramiden in der Morgensonne – die Salzernte von gestern abend.

    Alain Lalande schaufelt das feuchtschwere Salz in seine altmodische Schubkarre: leuchtendblau gestrichen und aus Holz ist sie eins der traditionellen Geräte der bretonischen Paludiers, der Salzbauern. Neu sind nur die Gummireifen.

    "Hier wird das Salz herausgeholt, das grobe Salz, das sich am Boden gesammelt hat. Seit gestern abend ist es ein wenig getrocknet, aber es sind immer noch etwa 50 bis 60 Kilo pro Becken."

    Alain, Ende 50, balanciert die schwer beladene Karre auf dem schmalen Lehmpfad, zwischen den Becken hindurch, zum Rand der Saline, zu dem großen weißen Haufen. Der kleine drahtige Mann trägt eine Schiebermütze in verschlissenem Blau, über buschigweißen Brauen, und kneift die Augen zusammen, wie einer, der sein Leben lang in die Weite gesehen hat. An seinen groben Sandalen klebt getrockneter Lehm.

    "Das ist der berühmte Tonboden von Guérande. Überall hier ist der Boden aus Lehm – und der gibt unserem Meersalz den besonderen Geschmack. Andernorts, in der Vendée oder am Mittelmeer ist der Boden aus Kieselsteinen, darum schmeckt das Salz von dort weniger intensiv."

    Wie alle Salzbauern von Guérande ist auch Alain Lalande stolz auf sein Produkt. Und auf seine Arbeit. Es ist ein jahrtausendealtes Handwerk. Und eine uralte Ingenieurskunst, die Kanäle und Bassins der Saline so anzulegen, dass das Wasser im richtigen Tempo von einem Becken ins andere läuft, so dass das Salzwasser mehr und mehr verdunstet, bis die Lake so konzentriert ist, dass das grobe Salz kristallisiert.

    Alain Lalande hat das Metier von den alten Paludiers gelernt, vor einigen Jahren erst: Wie viele seiner Kollegen hatte er vorher einen anderen Beruf.

    "Ich war Fischer. Bin zur See gefahren. Als ich pensioniert wurde, wollte ich nicht zuhause bleiben und die Mauern anstarren. Und ich war richtig glücklich, als ich das Salz für mich entdeckt habe."

    Oben auf der Straße fährt ein weißer Renault-Kastenwagen vorbei. Damian. Ihm gehört die andere Hälfte der Saline.

    "Wir kennen uns vom Sehen, wir reden nicht viel, Guten Tag, wie geht es, viel mehr ist das meistens nicht. Außer im Frühjahr, wenn wir die Saline gemeinsam vorbereiten. Oder wenn jemand krank ist: Dann packen alle mit an, denn das kann jedem von uns passieren. Und während der Erntezeit darfst du die Saline nicht einen Tag allein lassen: Wenn die Sonne scheint, bildet sich sehr schnell eine Kruste aus Salz – die lässt sich mit der Hand kaum noch aufbrechen, ohne den Boden zu beschädigen. Und dann ist die Saline hin."

    Sonntage gibt es deshalb nicht. Schon gar nicht im Sommer. Es sei denn: Es regnet. Die Wolken, die inzwischen am morgendlichen Horizont aufgezogen sind, könnten solch einen Feiertag versprechen. Aber Alain kann die Wolken lesen. Und den Boden.

    "Nein, heute wird es nicht regnen. Auch wenn es vielleicht danach aussieht. Ich habe meinen persönlichen Wetterbericht. Sehen Sie, hier: wenn hier kleine Erdhügelchen zu sehen sind, dann wird es innerhalb der nächsten zwölf Stunden wie aus Eimern gießen. Die Erde ist hart wie Beton – aber die kleinen Würmer im Boden spüren die Luftfeuchtigkeit spüren und kommen nach oben. Das ist mein Barometer, ich brauche kein Fernsehen. Heute regnet es ganz bestimmt nicht. Vielleicht morgen – aber auch das ist keinesfalls sicher."

    Sollte der Regen kommen, müssen die Salzberge gut abgedeckt sein. Und die Kanäle, durch die das Meerwasser in die Saline geleitet wird, geschlossen werden. Für die Paludiers, die seit mehr als 40 Tagen keinen freien Tag hatten, wäre es ein verdienter Festtag. Daraus wird also erstmal nichts - trotzdem macht Alain heute morgen etwas früher Schluß. Weil seine Frau Geburtstag hat :

    "Das war es für heute. Nein, nicht für heute, für heute Vormittag."

    Er stellt die blaue Schubkarre ab, schüttelt sich den Lehm von den Schuhen und steigt in seinen weißen Kastenwagen. Ja, auch er hat so ein Auto. Wie fast jeder Paludier.


    Keine Sprache der Welt kommt ohne ein Sprichwort zum Thema Salz aus. Ob jemand zur Salzsäule erstarrt und damit in einen Schockzustand verfällt. Oder ob jemand einen Scheffel Salz mit einem anderen gegessen hat, ihn dabei also ganz genau kennen gelernt hat. Nur Cum grano salis, mit einem Körnchen Salz, lässt sich das Leben besser meistern – gemeint ist: mit Witz, Verstand und Klugheit.

    Francois Rabelais hat das schon im 16. Jahrhundert zu Weltliteratur verarbeitet: In seinem satirisch-fabulös-sprachwitzigen Romanzyklus Gargantua und Pantagruel schildert er die merkwürdigen Abenteuer der beiden Riesen. Pantagruel hat seinen Namen aus einem französischen Mysterienspiel des 15. Jahrhunderts. Pantagruel heißt dort ein Seekobold, der Trinker durstig macht, indem er ihnen nachts Salz in den Mund streut. Im Roman ist Pantagruel ein Salzstreuer im doppelt-übertragenen Sinne: er macht sie durstig nach dionysischen Vergnügungen. Und dürstend nach Wahrheit und Erkenntnis. Kein Wunder also, dass Pantagruel in einer Dürrezeit geboren wird.

    ""Im Alter von vierhundertachtzigundvierundvierzig Jahren zeugte Gargantua seinen Sohn Pantagruel mit seinem Eheweib Badebec. Damit ihr aber Ursache und Grund seines Namens ganz und gar verstehen könnt, müßt ihr wissen, in jenem Jahr herrschte im ganzen Land so große Dürre und Trockenheit, daß sechsunddreißig Monate, drei Wochen, vier Tage, dreizehn Stunden und ein wenig länger noch kein Regen fiel und dazu die Sonne so heiß niederbrannte, daß die ganze Erde davon verdorrte, und selbst zu Elias Zeit war sie nicht so erhitzt wie damals, denn es gab keinen Baum mehr auf Erden, der Blätter oder Blüten getragen hätte.

    Der Philosoph wirft die Frage auf, warum das Meerwasser salzig sei, und berichtet dazu, daß zur Zeit, als Phöbus die Lenkung seines lichtspendenden Wagens seinem Sohn Phaeton überließ, besagter Phaeton, unerfahren in der Kunst des Lenkens und unfähig, die ekliptische Bahn zwischen den beiden Wendekreisen der Sonnensphäre einzuhalten, von seiner Bahn abwich und der erde so nahe kam, daß er alle darunter gelegenen Gegenden ausdörrte und einen großen Teil des Himmels verbrannte. Den nennen die Philosophen Via Lyctea, und die Lifferloffer heißen ihn den Sankt-Jakobs-Weg, wenngleich die namhaftesten Dichter behaupteten, er sei der Ort, wohin die Milch Junos fiel, als sie Herkules säugte.

    Da ward die Erde so sehr erhitzt, daß ihr ein gewaltiger Schweiß ausbrach, und sie schwitzte das ganze Meer aus, das darum salzig ist, denn aller Schweiß ist salzig. Und ihr werdet zugeben, daß dem so ist, wenn ihr euern eigenen kosten wollt oder auch den der Lustseuchlinge, wenn sie im Schwitzbad schmoren. Mir ist’s einerlei."
    "

    Der Atlantik schwitzt das Salz beständig aus und sorgt für immer neuen Nachschub – und doch wäre die jahrhundertalte Tradition der Salzherstellung auf der Halbinsel Guérande fast in Vergessenheit geraten. Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts drohte dort der Beruf des Salzbauern auszusterben, als die industrielle Massenproduktion am Mittelmeer und in der Camargue die Handarbeit der Paludiers am Atlantik immer unrentabler machte.

    Damals hängten viele Salzbauern ihre Werkzeuge an den Nagel und gingen zum Beispiel als Werftarbeiter nach Saint Nazaire. Fast wären die stillgelegten Salinen damals den Immobilienmaklern in die Hände gefallen, die sich wie die Aasgeier zum Beispiel auf das aufgelassene Brachland in der Sonne von La Baule stürzten, einem mondänen Badeort drei Autostunden von Paris entfernt.

    Sie hatten die Rechnung aber ohne die Intellektuellen gemacht, die nach den 68-er Unruhen in Paris den Barrikaden den Rücken kehrten, um sich der Idylle am Atlantik zuzuwenden: Es kamen Philosophen, Rechtsanwälte, Umweltschützer, Idealisten und Pragmatiker – und im Zeichen der Ideale wurde deren Lebensplanung dann ziemlich konkret: Die Zugereisten sorgten, allen Anfeindungen in der Provinz zum Trotz, für eine Renaissance des alten Paludier-Handwerks.

    Mehr noch: Sie schlossen sich zu einer Kooperative zusammen, die die verkrustete Zunft gründlich aufmischte. Die neuen Salzbauern gründeten 1979 eine Berufsschule. 1988 folgte die Genossenschaft "Les Salines de Guérande". Sie setzt sich bis heute für hohe Qualitätsstandards ein und hat dafür eigene Gütesiegel geschaffen. Sie versteht sich als Interessenvertretung gegenüber Politik und Industrie, arbeitet mit Naturschützern zusammen und garantiert ihren Mitgliedern feste Preise und die gemeinschaftliche Nutzung von Maschinen.


    Les Salines de Guérande – eine Genossenschaft auf der Sonnenseite der Salzproduktion

    Vor dem kleinen Häuschen bei der Einfahrt zum Fabrikgelände sind gerade zwei Traktoren angekommen, jeder Anhänger voll beladen mit einem Berg aus Salz.

    "Sie warten auf die Warenprobe, da, auf dieses Podest, wird gleich jemand hinaufklettern, um die Proben zu entnehmen – aber es ist gerade Schichtwechsel, da müssen sich die Fahrer wohl noch etwas gedulden."

    Delphine Durant, eine schmale junge Frau um die 30, sie trägt einen weißen Kittel und eine weiße Haube über dem blonden Haar. Delphine ist eine von 50 Angestellten in der Genossenschaft, zuständig für die Qualitätskontrolle. Seit sieben Jahren arbeitet sie hier.

    "Jeder Anhänger enthält die Ernte eines einzigen Salzbauers. Zuallererst wird die Identität des Produzenten überprüft. Und dann anhand einer Liste festgestellt, ob er ein Label Rouge – Produzent ist."

    Das Qualitätssiegel Label Rouge wird von einer staatlichen Kommission für Nahrungsmittel vergeben, die allerhöchsten ökologischen und geschmacklichen Kriterien entsprechen: Salami, Geflügel, Käse. Das Salz der Genossenschaft ist das einzige Salz, das die begehrte Auszeichnung tragen darf.

    Das Schwätzchen während der Übergabe ist beendet. Ein junger Mann klettert auf das kleine metallene Podest, neben dem Anhänger – es ist gerade hoch genug, dass er, mit ausgestreckten Armen, eine Art große Spritze in den Salzhaufen bohren kann.

    Die Carrottage wird direkt auf dem Anhänger gemacht – Carottage, sagt man, weil das Gerät aussieht wie eine große Karotte. Damit werden drei Proben aus dem Salz entnommen, vorne im Anhänger, in der Mitte und hinten. Und anschließend werden diese drei Proben geprüft, mit dem sogenannten Chromameter, einer Art Farbmesser.

    Der junge Mann in T-Shirt und kurzen Hosen hat sich an den kleinen Tisch gesetzt. Er vermischt die drei Salzproben miteinander, füllt sie in einen Glasbehälter und hält eine Sonde auf die glattgestrichene Salzmasse. Der angeschlossene Apparat misst Farbe und Lichtdurchlässigkeit der Kristalle, dadurch wird ihre Größe sowie der Grad der Verschmutzung bestimmt.

    Es dauert nur ein paar Sekunden – dann spuckt der Drucker die Daten aus, inklusive dem entsprechenden Aufkleber: rot für Label rouge, die höchste Qualität und damit auch den höchsten Preis, grün für Nature & Progres, ein Biosiegel und blau für traditionelle Qualität. Salz, das keines dieser Kriterien erfüllt, wird gar nicht erst auf das Fabrikgelände gelassen. Sondern andernorts zu Tiernahrung verarbeitet. Oder zu Streusalz für die Straßen.

    "Dieses Salz hat die dritte Kategorie bekommen, blau, für: Tradition. Wir gehen hinterher."

    Der Traktor fährt langsam über das Fabrikgelände, vorbei an riesigen Salzlagern zwischen halbhohen weißen Mauern, mit Planen abgedeckt. An jeder Mauer ist eine Schild angebracht in rot, blau oder grün.

    "Das ist die Ernte der letzten drei Jahre, vielleicht sogar mehr. Unser Ziel ist es, mindestens soviel auf Lager zu haben. Damit wir auch in schlechten Jahren liefern können. Im Jahr 2000 zum Beispiel haben wir nichts produziert, nach der Havarie des Öltankers Erika. Und 2001 war auch ein sehr schlechtes Jahr. Dadurch haben wir auf einen Schlag zwei Ernten verloren. Und das kann immer wieder passieren. Das Salz ist hier draußen gut gelagert – und es ist sogar gut, wenn es noch etwas länger abtropfen kann. Neun Monate dauert es sowieso mindestens, bis die Feuchtigkeit raus ist."

    Delphine muß jetzt nur noch nachsehen gehen, ob der Traktor die Salzladung mit dem blauen Aufkleber auch zum entsprechenden Lager bringt. Reine Formsache, sagt sie und lacht verschmitzt. Der Spaziergang an der frischen Luft scheint ihr Spaß zu machen. Und die Plaudereien mit den kräftigen jungen Traktor- und Baggerfahrern auch.

    Die Fabrik der Genossenschaft Les Salines de Guérande liegt direkt neben den Salzsümpfen. Das ist praktisch für Anlieferung und Verarbeitung des Salzes. Wie eine große Salzscheune ist das Gebäude gebaut, mit Hallen, in denen das Salz verpackt wird, mit Labors und Büroräumen. Im ersten Stock residiert der Direktor der Genossenschaft, Ronan Loison:

    "Wir sind hier mitten im Naturschutzgebiet. Und das bedeutet, dass wir strenge ökologische Vorschriften beachten müssen : was die Bauweise angeht, die Materialien, die wir verwenden – und nicht zuletzt, wie der Müll entsorgt wird. Daran halten wir uns. Wir sind, möchte ich sagen, eine grüne Fabrik."

    Ronan Loison ist ein guter Geschäftsmann und ein gewandter Redner. Ein dynamischer Mann Anfang 40, glatt rasiert, in Hemd und Krawatte. Ein Managertyp, der ein gutes Produkt gut verkaufen will. Und der deshalb die Erfolgsgeschichte der Genossenschaftsgründer unter ökonomischen Gesichtspunkten weiterführt:

    "Die Genossenschaft ist das linke Image von früher immer noch nicht so ganz losgeworden: Die Paludiers, die in den 70er Jahren hierherkamen, haben die Ideale und den Geist der Hippiebewegung nach Guérande gebracht. Für die Eingesessenen hier war das natürlich fremd und auch eine Bedrohung. Und so richtig wollen viele bis heute nicht wahrhaben, dass ohne diese Idealisten die Salzsümpfe längst verschwunden wären, versunken unter einem riesigen Freizeitressort aus Beton. Das Hippie-Bild haftet uns bis heute an. Aber wir sind längst ein modernes Unternehmen, das keinen Vergleich zu scheuen braucht, was Verarbeitung, Marketing oder Kommunikation angeht."

    Die Fabrikhallen befinden sich gleich nebenan. Jede an die sechs Meter hoch. Fabriziert allerdings wird hier eigentlich nichts: nur verpackt. In dicken Rohren fließt das Salz aus dem Trockenlager im Dachgeschoß in überdimensionale Metalltrichter. Von der Seite schiebt sich ein Maschinenarm mit einer Rolle bedruckter Plastikfolie darunter. Portionsweise wird so ein Säckchen nach dem anderen abgefüllt, fällt auf ein Laufband, läuft über eine Kontrollwaage, die exakt 500 Gramm abmisst, alles vollautomatisch.

    "Hier kommt das Salz also an – in jeder Halle eine andere Sorte, wir haben drei verschiedene: fleur du sel, Grobes Meersalz und feines Salz. Jede Sorte ist völlig unbehandelt, ohne jede Zusätze. Das grobe Salz wird lediglich gesiebt, um allzu große Kristalle zu vermeiden, und das feine Salz wird getrocknet und anschließend gemahlen. Und danach abgefüllt. Alles 100 Prozent Natur."

    Nur eine einzige Mitarbeiterin steht am Ende des Laufbands, mit weißer Haarhaube und weißem Kittel. Wenn die Waage einen Warnton abgegeben hat, sortiert sie das entsprechende Säckchen aus, die anderen verpackt sie in Pappkartons. Sie nickt dem Fabrikdirektor kurz zu, sie darf oder sie will sich nicht ablenken lassen.

    "Die Salzindustrie betrachtet uns schon seit einigen Jahren mit Sorge – weil wir einen Teil des Marktes zurückerobert haben, obwohl wir preislich eigentlich gar nicht konkurrieren können. Unsere größten Konkurrenten wiederum sind andere Meersalzproduzenten: in Portugal. Und in Korea. Aus beiden Ländern kamen in den letzten Jahren viele Wissenschaftler und auch Journalisten hierher. Und erst hinterher mussten wir feststellen, daß sie uns in vielem kopiert haben. Was Verpackung angeht. Oder unser Marketing. Das ist natürlich sehr unerfreulich."

    Noch unerfreulicher sei die wachsende Konkurrenz aus den eigenen Reihen: die selbständigen Paludiers von Guérande, diejenigen, die nicht in der Genossenschaft sind und sich eigene Vertriebswege suchen müssen, versuchten neuerdings ebenfalls, ihre Spione in die Fabrik zu schicken. Die Qualität des Salzes allerdings, sagt Ronan Loisin stolz: die sei unnachahmlich.

    "Das allerwichtigste ist natürlich der Geschmack. Unser Salz ist nicht so bitter wie anderes, es hat ein leichtes Veilchenaroma, so jedenfalls beschreiben es die großen Köche – fast alle französischen Küchenchefs verwenden nur noch dieses Salz. Weil es nicht so nach Lauge schmeckt wie industrielles."


    Ein Leben ohne Salz ist so unvorstellbar wie ein Leben ohne Wasser: Doch nicht nur biologisch ist NaCl so wichtig wie H2O, sondern auch mythologisch. Den alten Griechen war der kristalline Grundstoff ebenso heilig wie den alten Römern. Und so, wie die jüdisch-christliche Tradition Salz in einem Atemzug mit Wasser, Brot und Wein nennt, sieht auch der Islam in einer Prise Salz das Symbol für Leib und Leben.

    Etymologisch ist das Salz aus unserem Wortschatz gar nicht wegzudenken – nicht nur als Gewürz, sondern auch als Wortstamm findet sich das Salz im Salat genau so wie in der Salami.

    Und welche ökonomische Bedeutung das Salz besonders im Mittelalter hatte, davon wissen Städte wie Salzburg, Sulzbach oder Halle zu berichten, die ihre Existenz allesamt dem weißen Gold zu verdanken haben. Denn nicht nur in Frankreich war Salz lange Zeit der Grundstock der staatlichen Einnahmen.

    Kein Produkt der vorindustriellen Wirtschaftsgeschichte habe sich derart der Willkür der Macht beugen müssen wie das Salz, schreibt der französische Kulturhistoriker Jean-Francois Bergier. In ganz Europa bereicherten sich Könige, Fürsten und Staaten, indem sie Salzmonopole bildeten und Salzsteuern erhoben auf Produktion, Transport und Verkauf.

    Im Frankreich Ludwigs XVI. hatte jeder Untertan die Pflicht, per anno 7 Kilo Salz zu kaufen – ein klarer Fall von Ausbeutung. Ausgenommen war nur der Küstenstreifen am Atlantik – verständlich: dort spülte das Meer das Salz gratis an Land. Erst 1945 wurde in Frankreich die Salzsteuer aufgehoben. In Deutschland übrigens erst 1992. Im Museum der Salzbauern ist das alles nachzuvollziehen – dort steht das Salz ganz im Mittelpunkt und genießt schon fast Kultstatus.


    Der Archivar Gildas Buron – der Chronist der Salinen

    Das kleine Museum liegt direkt an der Haupstraße. Türen und Fenster stehen offen, es ist heiß. Der Wind weht nicht nur eine kühle Brise in die niedrigen Räume, sondern auch den Lärm der vorbeifahrenden Autos. Urbanes Kontrastprogramm zu den stillen Salinen, die auf der anderen Seite des Hauses liegen. Viele Touristen sind es nicht, die an diesem Sommernachmittag die Ausstellung besuchen – Gildas Buron, der Museumsdirektor, sieht aus wie einer von ihnen: Turnschuhe, knielange Leinenhose, schwarzes kurzärmeliges T-Shirt, Vollbart, Brille. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn. Trotz der offenen Türen.

    "Das Salz war ein Motor der Aktivität in dieser Region. Und über den Hafen von Croisic konnte das Salz nicht nur in andere Regionen Frankreichs transportiert werden, sondern es entstand auch ein reger Handel mit anderen Staaten."

    Im Erdgeschoß befindet sich der historische Teil. Mit Möbeln aus dem 18. und 19. Jahrhundert, kunstvoll verziert – nicht aus den kleinen Katen der armen Salzbauern, sondern aus den Salons der Großgrundbesitzer von Guérande. Und vor allem: aus den Villen der Händler. Denn die waren es, die das große Geld machten mit dem weißen Gold.

    "Es gab eine strenge gesellschaftliche Hierarchie hier in den Salzsümpfen. Die einen waren reich – aber im Grunde waren die Bauern angesehener, weil sie das gesellschaftliche Leben prägten. Das führte im 17. Jahrhundert unter anderem zu der Kuriosität, dass manche Salzhändlerfamilien den einen Sohn protestantisch taufen ließen, um die Kontakte zu den nordeuropäischen Käufern zu pflegen, den anderen aber katholisch: um weiterhin Teil der Gesellschaft von Guérande zu sein, mit ihren Festen und Feiertagen."

    Gildas Buron redet gern. Und er redet viel. 2000 Jahre Salzgeschichte hat er im Kopf.

    "Das Wort Paludier ist lateinischen Ursprungs, von lateinisch palus - der Sumpf. Es hat Einzug gefunden in die französische Sprache, und vorher schon ins Bretonische. Aber die Geschichte der Salzbauern ist eben noch viel älter, wie dieses Wort paludier zeigt: es geht zurück auf die Eroberung Galliens durch Cäsar."

    Nur hier in Guérande heißen die Salzbauern paludiers – in anderen Gegenden Frankreichs werden sie sauniers genannt, von saumure, Salzlake. Gildas Buron schiebt sich die Brille wieder hoch: Linguistik ist eines seiner Spezialgebiete. Gerade bereitet er eine Ausstellung vor über die Wurzeln der bretonischen Sprache und Kultur in Guérande. Gwen Rann, so hieß das Städtchen früher auf bretonisch. Das bedeutet: weißes Land.

    "Um manche Begriffe der Salzbauern zu verstehen, muss man wissen, dass hier früher bretonisch gesprochen worde. Bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts übrigens. Das Wort oeillet zum Beispiel – damit werden die Becken bezeichnet, in denen das Salz so hoch konzentriert ist, dass es geerntet werden kann. Im Französischen bedeutet œillet Öse. Oder auch Nelke. Aber das hat nichts mit unseren œillets hier zu tun. Die Bretonen nannten diese Bassins lagatte, Auge, französisch œil. So wie alle keltischen Sprachen ist auch das Bretonische sehr bildhaft. Im Auge sammle ich das Salz. Und die Quelle der Salzsümpfe war in ihrer Vorstellung nicht das Wasser, sondern der Lehmboden. Also sieht das Wort oeillet zwar französisch oder romanisch aus – aber die Bedeutung, die dahintersteckt, kommt eigentlich aus der keltischen Kultur."

    Gildas Buron ist in Batz-sur-Mer aufgewachsen, in der Welt der Paludiers: Die meisten seiner Schulfreunde waren Kinder von Salzbauern. Und Ende der 60er Jahre war die Zukunft der Salzsümpfe das Thema Nummer eins am Familientisch. Und so lag es nahe, sich während des Geschichtsstudiums in Nantes auf die Geschichte seiner Region zu spezialisieren. Ein Riesenglück, sagt er und lacht, dass dann diese Stelle im Museum frei wurde.

    "Seit 25 Jahren interessiere ich mich für die Welt der Paludiers, vor allem für die alten Geschichten – und je nachdem, woran ich arbeite, habe ich auch bevorzugte Objekte. Aber ich habe ein Faible für das Erdgeschoss, mit den Möbeln, mit sehr schönen Bildern, Kostümen aus dem 19. Jahrhundert. Das ist ein unglaublich reiches Kulturerbe. Die Ausstellung über die Paludiers hier oben im ersten Stock ist leider etwas dürftiger – denn leider haben die Leute immer nur die schönen Dinge gesammelt, Gebrauchsgegenstände und Handwerkszeug wurden weggeworfen, wenn sie nicht mehr zu gebrauchen waren. Wir haben zwar Faksimiles und Rekonstruktionen – aber das ist natürlich nicht dasselbe."

    Es scheint ihm nicht wirklich leid zu tun: In den Nachbarorten gibt es zwei weitere Museen, die den Salzbauernalltag ins Zentrum ihrer Multimedia-Schauen stellen. Nein, Konkurrenten sind wir nicht, sagt Gildas Buron. Er bevorzugt den eher wissenschaftlichen Ansatz. Alte und moderne Geräte der Paludiers, Tafeln zur Geschichte und zum Anfassen: das tischgroße Modell einer Saline mit ihren 40 Becken und zahllosen Kanälen. Ein junges Pärchen versucht, eine Glaskugel durch das Labyrinth zu schicken, dem Weg des Wassers zu folgen, gar nicht so einfach.

    Gildas Buron sieht auf die Uhr: kurz vor halb fünf. Er muss noch ein paar Telefonate erledigen und verabschiedet sich. Doch weit kommt er nicht. Zwei ältere gepflegte Damen sprechen ihn an und fragen ihn nach der Geschichte der kleinen weißen Muschelfiguren dort in der Vitrine. Gildas Buron holt tief Luft und beginnt zu erzählen. Den Termin hat er vergessen.


    Was die Entstehung des Salzes angeht, hat im Grunde Hippokrates schon alles gesagt: ""Die Sonne zieht die feinsten und leichtesten Teilchen aus dem Wasser in die Luft"", heißt es in einem antiken Text, ""die Lauge bleibt zurück, weil sie zu dick und zu schwer ist, und diesem Umstand verdankt Salz seine Existenz."" Moderne Chemiker fügen dieser elementaren Erkenntnis heute noch einige Details hinzu.Beim Arbeitsaufwand ist in den Salinen an der Atlantikküste im Norden Frankreichs im Grunde alles beim Alten geblieben: Das Handwerk ist so zeitraubend wie eh und je. Im Winter müssen die Becken und Kanäle gereinigt werden, alle 20 Jahre steht eine Generalüberholung der Salinen an.

    Richtig anstrengend wird es im Sommer, wenn die Paludiers bis zu 10, 12 Stunden in den Salinen stehen, um bei entsprechender Fläche vielleicht zwei oder drei Tonnen pro Tag zu produzieren.


    Idealist, Sozialist und Ökologe: Didier Guilet

    Er ist leicht zu finden in dem Gewirr der Salzsümpfe: Didier Guilet hat einen dunkelblauen Kleintransporter, der von weitem schon zu sehen ist. Es ist gewissermaßen die Hausnummer seiner Saline. Wenn er da ist.

    Er ist da. Steht unten in seinem Salzgarten auf dem dünnen Deich, einen langen Rechen in der Hand, mit dem er das Wasser hin und herschiebt. So, als ob er es ganz sanft harken würde. Etwa fünf Meter lang ist der Stiel, und trotzdem muss Didier Guilet sich noch weit recken, um die andere Seite des salzigen Beckens zu erreichen. Die hellgrüne Fiberglasstange quietscht ein wenig, wenn er nachfasst.

    "Ich versuche immer, das Wasser in Schwingungen zu bringen – eine natürliche Welle zu produzieren, so nenne ich das: la vague naturelle. Das ist der schönste Teil meiner Arbeit, aber das braucht auch seine Zeit. Weil ich dem Wasser immer nur einen kleinen Stups gebe – und dann warte, bis die Welle sich ihren Weg gesucht hat. Die anderen Paludiers, die systematisch vorgehen oder mit Kraft, sind immer lange vor mir fertig, das ist schrecklich. Aber schönes Salz entsteht nicht nunmal nicht von selbst."

    Mit ruhigen gleichmäßigen Bewegungen, vollkommen konzentriert auf die sanften Wellen, umrundet der Paludier langsam das ganze Becken. Bis er zu der Stelle gelangt, wo der Lehmdamm etwas breiter wird. Mit Schwung zieht er nun den Schieber dicht zu sich heran und schaufelt die körnig-feuchte Masse aus dem Wasser zu sich heraus: das Salz.

    Didier Guilet ist Ende 40. Bermudashorts, Turnschuhe, dunkelblaues Hemd mit kurzen Ärmeln. Brille. Sonnengebräunt. Und ziemlich muskulös.

    Die Saline, in der er heute arbeitet, ist eine der beiden ältesten in Guérande: nachweislich erwähnt schon unter Karl dem Großen. Natürlich ist Didier Guilet darauf ein bisschen stolz – aber, sagt er, Gildas Buron, der Museumsdirektor, sei darauf noch viel stolzer. Er selbst will nur eins: gutes Salz ernten.

    "In der Genossenschaft benutzen sie ein Gerät, um die Qualität des Salzes ojektiv zu prüfen. Aber man sieht es auch so, wenn man das Salz in die Hand nimmt: ob es glänzt, ob kleine Lehmstückchen drin sind, und wieviele. Hier, diese Körner sind vielleicht ein bißchen zu groß – vielleicht habe ich sie zu lange im Wasser gelassen. Natürlich bestimmt auch der Untergrund die Qualität des Salzes: Je nachdem ob er aus Lehm ist oder aus Sand, bei Lehm, so wie hier, braucht man mehr Feingefühl, aber es leichter zu ernten. Woran es genau liegt, das weiß ich auch nicht: Aber die Körner sind sehr unterschiedlich. Manche Kristalle sehen aus wie kleine Schlösser mit vielen Etagen, sehr lustig. Dann gibt es weiße. Oder graue. Einige sind fast rechteckig. Das erste Salz des Jahres zum Beispiel ist immer etwas besonderes."

    In jedem Fall bestimmt auch der Paludier die Qualität seiner Salzproduktion: Ob er die Saline nach dem Winter gut gepflegt hat. Wie sorgsam er mit seinem Gerät umgeht. Und was ihm durch den Kopf geht, während der Arbeit.

    "Klar, man kann guter Laune sein oder wütend – entsprechend ist das Salz auch anders. Das ist so: je fröhlicher der Paludier, desto besser ist das Salz!"

    Didier Guilet ist seit 25 Jahren Paludier, er war einer der ersten der Generation von Idealisten, die die Salzsümpfe wiederbelebt haben: aus ökologischen Gründen, aber auch weil sie ihre Freiheit haben. Und weil sie ihre sozialistischen Träume verwirklichen wollten. Didier Guilet hat sich von Anfang an in der Genossenschaft engagiert – daneben war er zehn Jahre lang Präsident von Nature et Progres, der französischen Organisation von Biobauern und umweltbewußten Verbrauchern mit Sitz im südfranzösischen Uzés. Und zur Zeit leitet er Aprosela, eine unabhängige Initiative zur Gütekontrolle von Salz.

    "Was ich am allermeisten an meinem Beruf mag, ist die Kreativität. Das klingt vielleicht komisch, weil man jeden Tag dasselbe tut. Immer wieder von vorne anfängt, jeden Tag. Oder jedes Jahr. Aber man schafft sich auch immer wieder seinen eigenen Raum, vor allem im Frühling, wenn wir die Stege neu anlegen, die Ufer ausbessern, die Böden ebnen – bevor das Wasser eingelassen wird. Das ist die körperliche Kreativität dieser Arbeit."

    Didier Guilet schaut in den Himmel: Ein Flugzeug legt sich in die Kurve und dreht einen Kreis, es ist bestimmt das siebte an diesem Vormittag. Nicht nur Fotografen, auch betuchte Touristen sehen sich das Farbenspiel aus Natur und Agrikultur gerne von oben an.

    "Das kann hart sein, vor allem im Sommer. Dann kommt der canapé ventouse, wie es bei uns heißt: Wenn du nicht mehr aufstehen und rausgehen kannst am Abend, weil du einfach zu müde bist. Einen oder zwei Monate Arbeit ohne einen Tag Pause. Wenn du dann nicht einen geheimen Garten hast, einen geistigen Ausgleich – dann kann das sehr traurig sein. Ich habe mir immer etwas gesucht, wo ich interessante Leute treffen, mit denen ich neue Ideen entwickeln kann oder nach neuen Perspektiven suchen. Ich habe bestimmt nicht die schönste Saline, sehen Sie: Überall wächst Unkraut. Aber wenn ich dafür Dinge in Bewegung bringen kann, ist mir das einfach viel mehr wert."

    Über den Horizont der Halbinsel von Guérande weiterzudenken, gehörte von Anfang an zum Konzept der Genossenschaft Terre du Sel. So wurde Anfang der 90er Jahre auch Universel ins Leben gerufen, eine nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisation, die Ingenieurswissen und Vermarktungsstrategien der bretonischen Salzbauern unter anderem nach Westafrika trägt und mit Salzbauern in Guinea und Benin zusammenarbeitet.

    Und ein Großteil der Genossen – von den anderen Paludiers abfällig als Bolschewisten bezeichnet – engagiert sich in der Gewerkschaft des französischen Globalisierungs- und Genfoodkritikers José Bové. Didier Guilet ist einer von ihnen. Und er hat schon so manchen Konflikt ausgefochten.

    Den Streit zwischen der Genossenschaft und den unabhängigen Paludiers etwa, nach dem Tankerunglück der Erika 1999: Als die einen beschlossen hatten, die Salzproduktion solange einzustellen, bis die Wasserqualität geprüft war. Und die anderen einfach weiter ernteten und verkauften.

    Oder die Angst vor der Konkurrenz – seitens der Salzindustrie. Seitens der Billiglohnländer China oder Portugal. Oder im eigenen Land: aus den Salinen des Mittelmeers. Einer der Streitpunkte, die sogar vor Gericht ausgefochten werden, ist das Fleur de Sel, das feinste aller Salze.

    "Das fleur de sel ist in jeder Hinsicht etwas besonderes. Poetisch gesagt: Es ist die Frucht der Liebe von Sonne und Wind. Der Ostwind reibt über die Wasseroberfläche der Salzfelder, er reibt und reibt. Und wenn die Sonne stark genug ist, bildet sich eine Knospe aus Salz – ein feines kristallenes Gebilde, das bei der leichtesten Berührung verschwindet und auf den Boden sinkt."

    Und darum, sagt Didier Guilet, könne das Fleur de sel keinesfalls mit großen Maschinen geerntet werden – wie es in den industriellen Salinen am Mittelmeer üblich ist.

    "Und dann so Kleinigkeiten: Seit drei Tagen warten wir auf das Gewitter, es wird kommen, wann, flüstern die Leute. Alle warten auf diese großartige Befreiung – und dann werden sie alle herum spazieren, mit einem Lächeln bis zu den Ohren, unglaublich. Das ist eine andere Form von Freiheit – aber mir ist sie sehr viel wert."


    Wenn das Salz in der Suppe fehlt, dann schmeckt sie fad. Und wenn gar Salz und Schmalz fehlen, wie der Volksmund sagt, dann fehlt´s am Wesentlichen: am Geschmack, am Bewusstsein, an der Fertigkeit, an der Kenntnis. Im Prolog des 5. Buches seines Romanzyklus Gargantua und Pantagruel fordert Francois Rabelais seine Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts dazu auf, dem Leben ein Gran Salz hinzuzufügen, sprich: klüger zu werden.

    ""Wieso behauptet eine sprichwörtliche Redensart, die Welt sei nicht mehr fad? Fad ist ein languegotisches Wort und bedeutet: ungesalzen, salzlos, labberig, ohne Geschmack; es bedeutet aber auch; närrisch, albern, geist- , sinn- und hirnlos. Könntet Ihr mir wohl sagen, wie e contrario der logische Schluss gezogen werden kann, dass vordem die Welt fade war, jetzt aber klug geworden ist? In welcherlei Hinsicht und wie beschaffener Hinsicht war sie denn fad? Woran erkennet Ihr die heutige Klugheit? Gebt Antwort, wenn Euch danach zumute ist; sonst hab ich Euer Ehrwürden keine Bitte vorzutragen, da ich Eure hochweisen Häupter zu erzürnen fürchte. Seid ohne Scheu, beichtet auf teufel komm raus, sei´s auch der Junker Pferdefuß, der Paradies- und Wahrheitsfeind. Mut Kinder! So Ihr Gotteskinder seid, trinkt auf den ersten Teil dieses Sermons drei- oder fünfmal. Dann antwortet auf meine Frage: Wieso behauptet eine sprichwörtliche Redensart, die Welt sei nicht mehr fad?""

    Ernährungsphysiologisch betrachtet enthält Salz Spurenelemente und Magnesium, Sodium, Potassium, Kupfer, Zink, Eisen, Jod. Das macht Salz heute so wertvoll wie damals, als es nicht nur zum Würzen benützt wurde, sondern auch zur Konservierung und Lagerung von Lebensmitteln: Ohne Stockfisch und Pökelfleisch wären die Seeleute des Mittelalters und der frühen Neuzeit bei weitem nicht so weit herumgekommen. Und ohne Salz hätte es auch an Land noch viel mehr Hungersnöte gegeben.

    Erst die Erfindung des modernen Kühlschranks hat das Salz als Konservierungsmittel in den Hintergrund gedrängt und den Salinen einen dramatischen Gewinneinbruch beschert. Heute gibt es unter Qualitätserzeugern keine Klagen mehr - besonders die Paludiers auf der Halbinsel Guérande freuen sich über den wachsenden Markt für exklusive Produkte und immer neue Geschmacksrichtungen.

    Das Salz von dort ist nicht nur in allen Delikatessengeschäften zwischen Tokio und Sydney zu finden, sondern natürlich auch in den Küchen der heimischen Feinschmecker-Restaurants.


    Le bar en croute de sel – der Koch und sein Fisch im Salzmantel

    Das kleine vornehme Restaurant direkt am Hafen von Pouliguen sieht von außen aus wie ein Schiff mit mächtigem Bug. "Le Garde-Côte", Küstenwache, heißt es. Und ist ohne Zweifel eine der feineren Speiseadressen in der Region.

    Fisch, Meeresfrüchte und natürlich: Austern. Die Küche ist im Keller – unter dem Meeresspiegel. Ab und zu springt mit lautem Getöse eine Pumpe an, damit die Küche nicht volläuft.

    "Donc: le bar. Toujours on le laisse encaillé. Juste vidé."

    Ein silbrig-glänzender Fisch auf weißem Teller: ein Wolfsbarsch. Ausgenommen, die Schuppen bleiben immer dran. Alain Charpuis, Chef de cuisine, stellt den Fisch vor wie die Hauptperson eines Schauspiels.

    "Woran man sieht, dass er frisch ist? Klare Augen, die Kiemen fest und in schönem rosa."

    Mal abgesehen vom aufgeschlitzten Bauch sieht dieser Fisch tatsächlich so lebendig aus, als könnte er gleich vom Teller springen.

    "Der Wolfsbarsch kommt von hier, ein paar Kilometer von der Küste entfernt. Ich habe Fischer, hier aus Pouliguen, die mir den Fisch bringen, je nachdem, was sie gefangen haben, meistens so zehn Kilo, das sind sechs bis sieben Fische pro Tag. Jeden Tag frisch."

    Alain Charpuis ist Anfang 40, sein rundes Gesicht leicht gerötet – es ist heiß hier unten. Eine Kochmütze trägt er nicht – aber eine weiße Jacke mit Stehkragen und doppelreihigen schwarzen Knöpfen.

    Vor ihm, auf der blankgeputzten Arbeitsplatte neben dem silbrig-glänzenden Fisch, stehen kleine Schüsselchen aus Edelstahl: dunkelgrüne Kräuter, gewaschen und abgewogen. Grob gemahlener Pfeffer. Weißwein für die Sauce. Zitronenscheiben. Kleine Kartoffeln und Parmesan.

    "Ein bißchen Pfeffer, kein Salz, denn die Salzkruste wird genügend Salz abgeben. Ein bißchen Thymian, ein paar Lorbeerblätter zum Würzen, das ist alles."

    Mit geübten Händen füllt Alain Charpuis den Bauch des Fisches mit den südlichen Kräutern, drückt das Tier wieder gut zusammen und wischt sich die Hände an der karierten Hose ab.

    "Für einen Wolfsbarsch wie diesen brauche ich eineinhalb bis zwei Kilo Salz, Salz aus Guerande natürlich. Denn jeder, der dieses Salz erstmal kennengelernt hat, nimmt kein anderes mehr. Es salzt anders. Es ist nicht so bitter wie anderes Salz. Es schmeckt mehr nach Algen und und allen möglichen Meeresaromen. Dieser Geschmack ist einzigartig, nicht mal die Salzbauern aus Noirmortier, hier ganz in der Nähe, machen solches Salz."

    Alain Charpuis ist erst zum Lokalpatrioten geworden: Vor sieben Jahren kam er an die Küste, er ist Zugereister aus Dijon, ein Importierter, wie er sagt. Im Burgund, wo er vor 22 Jahren seine Lehre gemacht hat, gab es auch Fisch – doch nie so frischen wie hier. Und das Meersalz, mit dem er kochen gelernt hat, kam aus den Salinen des Mittelmeers, das gräuliche Atlantiksalz kannte damals niemand. Alain will es heute nicht mehr missen.

    "Also. Das Salz wird vermischt mit zwei bis drei Eiweiß, damit die Kruste schön fest wird im Ofen. Und dann wird der Boden des Blechs mit einem Teil der Masse bedeckt, dünn, aber gleichmäßig, in Fischform. Der Fisch wird darauf gelegt und komplett mit dem Salzteig zugedeckt. Darum ist es wichtig, dass der Fisch noch Schuppen hat: Sie schützen ihn davor, zuviel Salz aufzunehmen."

    Wieviel Meersalz er pro Tag verbraucht, das weiß Alain nicht, ein paar Fünf-Kilo-Säcke werden es schon sein, schätzt er: Kartoffeln werden damit gekocht, Nudeln auch und Gemüse sowieso. Das feine Fleur de sel wird erst nach dem Kochen verwendet – oder über Salate und rohes Gemüse gestreut: mit Daumen und Zeigefinger, zum Rieseln ist es zu feucht.

    "20 Minuten pro Kilo, so rechnet man die Backzeit. Bei 185 Grad. Das ist wirklich sehr einfach – und eins meiner Lieblingsrezepte. Köstlich!"

    Dazu gibt es bei Alain Gemüse: eine Karotte, ein Brokkoliröschen, ein handgemachter Kartoffelchip. Und: dunkelgrün: Salicorne, die grünen Bohnen der Paludiers. Die feinsten Aromen des Atlantiks. Sein Rezept für die Sauce verrät er nicht – Berufsgeheimnis. Sehr fein, sagt er, ist aber auch zerlassene Butter. Oder Zitronenbutter. Und dazu ein Glas Muscadet.