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Der Gipfel (1/1)
Der Mann hinter den Kulissen

Ende dieser Woche tagt in Brüssel wieder der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs der EU. Was im höchsten Gremium der EU diskutiert wird, bestimmt er maßgeblich mit: Jeppe Tranholm-Mikkelsen, Generalsekretär des Rats. Öffentlich tritt er kaum in Erscheinung, hinter den Kulissen ist er jedoch ein wichtiger Berater.

Von  Benjamin Dierks | 11.12.2017
    Der Generalsekretär des Europäischen Rats, Jeppe Tranholm-Mikkelsen (rechts) mit Portugals Premierminister Antonio Costa, Österreichs Kanzler Christian Kern und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel
    Der Generalsekretär des Europäischen Rats, Jeppe Tranholm-Mikkelsen (rechts) mit Portugals Premierminister Antonio Costa, Österreichs Kanzler Christian Kern und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel (picture alliance/ dpa/ Stephanie Lecocq)
    Das Innere des neuen Europa-Gebäudes in Brüssel soll wie eine Laterne aussehen. Tatsächlich hat es eher die Form eines Eis. Jeppe Tranholm-Mikkelsen tritt in der dritten Etage aus dem Fahrstuhl und geht auf einen der Tagungsräume zu, die das Ei von innen ausfüllen:
    "Dies ist der Tagungsraum des Europäischen Rats. Hier sitzt Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat hier seinen Platz und dann folgen alle Staats- und Regierungschefs um den Tisch herum nach der Reihenfolge der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft."
    Nur einen hat Tranholm-Mikkelsen ausgelassen in der Sitzordnung der europäischen Führungsriege: sich selbst, den Generalsekretär des Europäischen Rats. Öffentlich tritt er selten in Erscheinung. Er hält keine Pressekonferenzen ab wie die Regierungschefs oder Tusk und Juncker, die nach jedem EU-Gipfel gemeinsam vor die Journalisten treten. Er ist der Verwalter.
    "Das Generalsekretariat, das ich leite, unterstützt sowohl die Arbeit des Europäischen Rats als auch die des Ministerrats. Dieser Dienst ist nicht besonders bekannt, und auf gewisse Weise soll es auch so sein. Unsere Rolle ist hinter der Bühne, unsere Rolle ist, dass die Dinge laufen und gut vorbereitet sind, und unsere Rolle ist, die rotierende Ratspräsidentschaft und den Präsident des Rats zu unterstützen."
    Das Bild zeigt das neue Gebäude des Europäischen Rates, genannt Space Egg. Die Form einer gläsernen Laterne in einem Kubus aus recycelten Fensterrahmen von Abbruchhäusern aus allen 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
    Das neue Europa-Gebäude in Brüssel, auch "Space Egg" genannt, ist der Hauptsitz des Europäischen Rates und des Rates der Europäischen Union. Dort finden die EU-Gipfel, multilaterale Gipfel und Ministertagungen statt. (BELGA PHOTO NICOLAS MAETERLINCK )
    "Wir müssen politisch denken"
    Aber wenn die Mächtigen zusammenkommen, sitzt Tranholm-Mikkelsen mit am Tisch, links vom Ratspräsidenten. Er bereitet auch die Tagesordnung mit vor, entwirft die Schriftstücke, die vor jedem Ratstreffen an die Mitgliedsstaaten gehen. Was im höchsten Gremium der EU beraten wird, welche Kompromisse ins Auge gefasst werden, das bestimmt der zurückhaltende Däne maßgeblich mit:
    "Wir haben zwar keine eigenständige politische Rolle und sollten auch keine haben. Aber wir müssen trotzdem politisch denken. Wir helfen den Mitgliedstaaten dabei, die Herausforderungen zu meistern, vor denen sie bei jedem Ratstreffen stehen."
    Jeppe Tranholm-Mikkelsen hat ein hageres Gesicht und trägt eine Hornbrille mit schmalem Rand. Seine blaue Krawatte sitzt akkurat am makellos weißen Kragen. Allein die Haare wirken so, als habe ihm jemand kurzerhand einen Topf auf den Kopf gesetzt und einmal mit der Schere herumgeschnitten. Der dänische Diplomat kommt wohl dem nahe, was Leute meinen, wenn sie vom "gesichtslosen Eurokraten" sprechen. Findet Tranholm-Mikkelsen sich in der Beschreibung wieder?
    "Im dem Sinne, dass ich nicht allzu sichtbar bin, ja. Wenn ich jemanden berate, gehe ich nicht selbst an die Öffentlichkeit und rede darüber, wozu ich geraten habe und wozu nicht."
    Enthusiasmus für die EU
    Jeppe Tranholm-Mikkelsen war dänischer EU-Botschafter in Brüssel, bevor er Mitte 2015 das Generalsekretariat übernahm. Ihm war auch der dänische Botschafterjob in Washington angeboten worden, aber Tranholm-Mikkelsen wählte Brüssel. Unter all den Europhilen in der Stadt steche er durch seinen Enthusiasmus für die EU noch hervor, heißt es.
    Bürokratische Disziplin, lange Arbeitstage, große Überzeugungskraft. Er wurde im heutigen Jemen geboren. Seine Mutter leitete eine Schule, sein Vater war Missionar. Deshalb sei er wohl auch so überzeugend, scherzt man in Brüssel. Die Kindheit verbrachte er vor allem im Norden Dänemarks. Das einzige, was Tranholm-Mikkelsen über seine Kindheit verrät, ist, dass stets Nachrichten aus der ganzen Welt im Radio liefen:
    "Was ich von zu Hause mitgenommen habe, ist eine sehr internationale Prägung."
    Dazu passen die kleinen historischen Landkarten an der Wand seines langgezogenen Eckbüros. Der einzige persönliche Anstrich hier. Aufdrängen will dieser Mann sich nicht.
    "Ich habe immer eine Rolle hinter den Kulissen gesucht. An Lösungen mitzuarbeiten, die Sinn ergeben und helfen, das hat für mich große Bedeutung."
    Keine Frage ohne Lösungsvorschlag
    Wenn Tranholm-Mikkelsen von Lösungen spricht, von Kompromiss und Einigung, dann verzieht er seinen Mund zu einem kleinen Lächeln. Seine Philosophie: Verhandlungspartnern niemals eine Frage vorlegen, ohne ihnen auch einen Lösungsvorschlag zu machen. Darauf trimmt er auch den Rat.
    "Alle Staats- und Regierungschef, die am Treffen teilnehmen, sollen wissen, was entschieden wird und welche Rolle sie dabei spielen können."
    Tranholm-Mikkelsen will die Rolle des Rats weiter stärken. Sicher, nach außen wird der von Präsident Tusk vertreten. Tranholm-Mikkelsen arbeitet ihm zu. Soweit die offizielle Rollenverteilung.
    Aber schon ein Blick auf die Zahlenverhältnisse bringt das Bild ins Wanken. Tusk befehligt ein Kabinett von gerade einmal einem guten Dutzend Mitgliedern. Der Generalsekretär hat gut 2.500 Beamte unter sich. Die will er noch effizienter einsetzen – nicht zuletzt, um sich gegenüber der EU-Kommission zu behaupten. Deren Präsident Juncker steht auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Heer von 32.000 EU-Beamten zur Verfügung.
    "Das Generalsekretariat muss politischer sein, als es früher war. Wir sollten aus dem klassischen Sekretariat eine Institution machen, die Initiative ergreift und mit politischem Rat helfen kann."
    Vor seinem Büro warten bereits Beamte aus dem Generalsekretariat und Kabinettsmitglieder von Präsident Tusk. Ein Planungstreffen für den kommenden Rat steht an.
    Auf dem Programm bislang: Der Brexit, die Wirtschafts- und Währungsunion und Bildung. Aber so vorhersehbar, wie Jeppe Tranholm-Mikkelsen es gerne hätte, dürfte es diesmal schon wegen der Brexit-Verhandlungen nicht werden.