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Der Golfstrom schwächelt

Geht es um den Klimawandel, gibt es zwei Szenarien, die gerne zitiert werden. Das eine sieht tropische Strände in Europa, das andere glaubt eher an eine Rückkehr der Gletscher, weil der Golfstrom ausfällt. Um eine Ahnung zu bekommen, wie der Golfstrom auf die menschengemachten Veränderungen im System Erde reagiert, sind britische Ozeanographen auf große Fahrt gegangen und haben die Meeresströmung untersucht.

Von Dagmar Röhrlich | 01.12.2005
    Europas Zentralheizung entsteht nördlich der Bahamas: Anders als im kalten Alaska sorgt der Golfstrom bei uns für angenehmen Temperaturen, bis hin nach Nordeuropa.

    "Die warme Oberflächenströmung fließt nordwärts, und ihr Wasser gibt dabei Wärme an die Atmosphäre ab und verhilft Europa so zu einem milderen Klima. Dabei wird das Oberflächenwasser kälter und dichter und sinkt irgendwann vor Norwegen, Island und Grönland abgekühlt in die Tiefsee. Dort fließt diese atlantische Tiefenwasserströmung wieder zurück nach Süden fließt und balanciert so den Oberflächentransport nach Norden aus. "

    Harry Bryden vom National Oceanography Centre im britischen Southampton. Dieses Gleichgewicht ist labil. Der Golfstrom kann sich abrupt ändern, gar abreißen, was gravierende Temperatursprünge zur Folge hatte. Das hat es in der Vergangenheit wohl immer wieder gegeben. Die Ursache dieser "Unpäßlichkeiten" waren warme Zwischenphasen in den Kaltzeiten, die gewaltige Eismassen von den Gletschern abbrechen und schmelzen ließen. Sie verdünnten das Salzwasser, machten es leichter, so dass es nicht mehr absinken und zum kalten Tiefenstrom werden konnte. Der britische Ozeanograph befürchtet jetzt, dass der globale Klimawandel eine ähnliche Kreislaufstörung auslösen könnte:

    "Viele Modellrechnungen zu den Folgen des wachsenden Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre legen nahe, dass sich der Golfstrom abschwächen wird. Und zwar, weil durch den anthropogenen Treibhauseffekt die Verdunstung in den tropischen Breiten ansteigt, während es in den nördlichen Breiten vermehrt regnet. Das verdünnt ebenfalls das Meerwasser und behindert so die Bildung des kalten Tiefenwassers. "

    Soweit die Theorie. Um dem in der Praxis nachzuspüren, sammelten die Ozeanographen im Golfstrom Daten über seine Temperatur, den Salzgehalt und die Strömung, und zwar auf einer Meßstrecke entlang des 25. Breitengrads, von Afrika über die Kanaren bis nach Miami.

    "Der große Vorteil dieser Strecke ist, dass sie bereits zum fünften Mal gemessen wird: Unsere war 2004, die erste 1975, dann 1981, 1992 und 1998. Bis 1998 war der Golfstrom dort recht konstant. Aber seitdem hat er bis 2004 um 30 Prozent abgenommen, sowohl in der Oberflächenströmung nach Norden, als auch im kalten Tiefenwasser nach Süden. "

    Dabei fließt im Ursprungsgebiet der Strömung nach wie vor gleichviel warmes Wasser in Richtung Norden.

    "Mit dem Wasser passiert folgendes: Der Golfstrom fließt zunächst wie gewohnt. Auf der geographischen Höhe von Neufundland teilt er sich in einen nach Süden gerichteten Ast, der zurück in die Subtropen fließt, und in einen nordwärts gerichteten Ast nach Europa. Heute strömt mehr warmes Wasser nach Süden zurück, und weniger nach Großbritannien, Norwegen und Grönland."

    Weil vor Norwegen und Grönland immer weniger kaltes, schweres Tiefenwasser entsteht, lässt der Sog aus dem Norden nach, und das warme Wasser fließt zurück in die Subtropen. Wie lange dieser Kreislauf noch funktioniert, weiß Bryden auch nicht.

    "Wir kennen das System längst nicht gut genug für Vorhersagen, ob der Golfstrom reißen könnte. Wir haben eine markante Veränderung gemessen, aber keine Ahnung, ob es sich dabei um eine Folge des Klimawandels handelt, oder um eine normale Oszillation über mehrere Jahre hinweg. "

    Um die Antwort möglichst bald zu finden, wird der Golfstrom jetzt zwischen Afrika und Florida intensiv mit Messbojen überwacht: Bis 2008 hoffen die Forscher genügend Daten beisammen zu haben.