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Der griechische Patient

Griechenland muss sparen, sparen, sparen. Die Folgen sind in vielen Lebensbereichen deutlich zu erkennen, so auch im Gesundheitswesen. Immer mehr Menschen können sich notwendige Medikamente und Behandlungen nicht leisten. Ärzte versuchen mit kostenlosen Behandlungen zu helfen.

Von Gunnar Köhne | 21.08.2012
    Eleni Doulianaki steht vor riesigen Plastiksäcken mit Medikamentenpackungen. Schmerztabletten, Antidepressiva, Antibiotika, Salben – sortiert nach Anfangsbuchstaben. Es sind Spenden aus dem ganzen Land, die in den Räumen der Athener Ärztekammer gesammelt und an Bedürftige weitergeben werden. Und deren Zahl steigt täglich. Die Patienten können die Pillen nicht zahlen, die staatlichen Krankenkassen aber oft auch nicht, weil auch ihnen das Geld ausgeht. Doktor Eleni Doulianaki ist für das Medikamenten-Hilfsprogramm zuständig. Sie beobachtet, dass viele Griechen nicht einmal mehr medizinische Routineleistungen in Anspruch nehmen können:

    "Als Kinderärztin muss ich Ihnen sagen, dass immer mehr Kinder keine Basisimpfung mehr haben. Eltern, die nichts zu essen haben, die überlegen sich natürlich gar nicht erst, ihre Kinder impfen zu lassen, denn das muss bezahlt werden."

    Ärzteverbänden zufolge fehlen dem Gesundheitssystem 1,5 Milliarden Euro. Sonst drohe ein völliger Kollaps. 30 Prozent der Bevölkerung sind Schätzungen zufolge bereits von der staatlichen Gesundheitsfürsorge ausgeschlossen. Mittellose können sich zwar grundsätzlich einen sogenannten Armenpass ausstellen lassen, doch die Behörden verlangen dafür die Begleichung der Steuerschulden beim Finanzamt. Wer das nicht kann, dem bleiben nur noch Hilfsorganisationen wie die Doctors of the World. Normalerweise sind sie in den Slums Afrikas oder Südamerikas im Einsatz. Doch seit Monaten kennen sie nur noch ein Einsatzgebiet: das eigene Land.

    In ihrer Poliklinik in Piräus bekommt auch der Diabetiker Stefanos Spartinos die Hilfe, die er braucht: ob Blutzuckertests oder ein neues Rezept. Eine andere Anlaufstelle gibt es für den 56-jährigen Arbeitslosen nicht. Denn er hat, wie Hunderttausende anderer Griechen, keine Krankenversicherung.

    "Ohne die Doctors of the World wäre ich wohl schon tot. Ich leide ja nicht nur an Diabetes, hinzu kommen Bluthochdruck und schwere psychische Probleme, mit denen ich zu kämpfen habe. Und schauen Sie sich meinen geschwollenen Fuß an. Das kommt von der Diabetes. Das müsste operiert werden, aber das kann ich mir nicht leisten."

    Und die griechische Regierung hat weitere Kürzungen bei der Gesundheit angekündigt. So sollen Patienten demnächst 15 Prozent eines Krankenhausaufenthalts selbst zahlen.

    Gleichzeitig schuldet der Staat den Lieferanten medizinischen Materials rund zwei Milliarden Euro. In den staatlichen Krankenhäusern müssen deshalb aufwendige und teure Operationen verschoben werden, das Material wird knapp. Auch die Apotheken werden von den Pharmakonzernen nur noch mit dem Billigsten beliefert. Die Athener Apothekerin Georgia Psaltoulia hat längst nicht mehr alle wichtigen Medikamente vorrätig. Sie wäre sonst bankrott:

    "Die Pharmaunternehmen verlangen von mir Vorkasse. Für manche teuren Krebsmedikamente müsste ich einen Kredit aufnehmen. Ich bekomme das Geld aber von der staatlichen Versicherung erst Monate später erstattet. Wenn überhaupt. Denn oft zahlen sie gar nicht mehr."

    Zahllose Ärzte versuchen, den Mangel an Material und Menschen durch Überstunden und freiwillige Praxisdienste auszugleichen. Auch die Athener Ärztekammer betreibt mit Unterstützung ihrer Berliner Kollegen eine Soziale Praxis für Unversicherte. Dorthin kommen Hochschwangere, die sich den notwendigen Kaiserschnitt nicht leisten können, Krebskranke, denen die Chemotherapie zu teuer ist. Die junge Ärztin Eleni Doulianaki ist erschüttert:

    "Hilflos – so fühle ich mich. Das ist eine medizinische Betreuung, an die wir als Studenten oder Assistenzärzte nie gedacht haben. Das ist eine medizinische Versorgung, die uns ins Jahr 1950 zurückwirft."