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Der große Schüchterne des amerikanischen Kinos

James Stewart war einer der wandlungsfähigsten Charakterdarsteller der USA: Im kollektiven Filmgedächtnis ist der vor 100 Jahren geborene Schauspieler vor allem als integrer Westernheld bekannt, der in der amerikanischen Siedlerzeit für Recht und Ordnung sorgt. Dabei spielte Stewart auch Sonderlinge und zeigte auf der Leinwand durchaus Abgründe.

Von Katja Nicodemus | 20.05.2008
    Er sei "unusually usual", hat ein Regisseur einmal über ihn gesagt. Und wirklich, kein anderer Hollywoodschauspieler konnte auf so aufregende Weise gewöhnlich sein wie James Stewart. Er besaß die unwiderstehliche Attraktivität eines Mannes, der nicht weiß, wie attraktiv er eigentlich ist. Das führte dazu, dass er sich auch in seinen Rollen selbst aufs Schönste unterschätzt. Zum Beispiel in Ernst Lubitschs Komödie "Rendezvous nach Ladenschluss". Hier spielt der junge Stewart 1940 einen Verkäufer, der mit einer anonymen Angebeteten einen romantischen Briefwechsel führt. Und der vor nichts mehr Angst hat als vor dem ersten Treffen:

    "Aber heute sehe ich sie! 8.30 im Café.

    Rote Nelke?

    Ja. Ich bin ziemlich aufgeregt.

    Ich glaube, sie ist bestimmt sehr schön.

    Wissen Sie, lieber nicht zu schön. Welche Chance hätte sonst wohl ein Mann wie ich? Sie soll lieb und einfach sein."

    James Stewart, der am 20. Mai 1908 in Indiana, Pennsylvania, geboren wurde, war der große Schüchterne des amerikanischen Kinos. Vor allem war er ein großer Schweiger und Zögerer. Oft wirkt er etwas verlangsamt, und in "Rendezvous nach Ladenschluss" ist sein Timing wirklich schleppend. Aber nie wieder hat ein Schauspieler so weitschweifig und so verliebt geschwiegen wie James Stewart in diesem Film.

    Anderthalb Jahrzehnte später spielte Alfred Hitchcock mit diesem Rollen-Image seines Hauptdarstellers in "Fenster zum Hof". Diesmal ist Grace Kelly die Frau, die zu schön, zu elegant, zu perfekt ist für diesen Mann, der im Hochsommer mit gebrochenem Bein in seiner New Yorker Bude schwitzt:

    "Sie kommt aus dieser hochgestochenen Park Avenue-Atmosphäre, wissen Sie. Teure Restaurants, literarische Zirkel, Cocktail-Partys ...

    Leute mit Verstand gehören dahin, wo sie sind!

    Können Sie sich vorstellen, dass sie rund um die Welt reist mit einem Kameramann, der nie mehr als seinen Wochenlohn auf seinem Bankkonto hat? Wenn sie wenigstens eine ganz normale Frau wäre!"

    James Stewarts natürliche Schüchternheit erklärt sich auch durch seine für einen Schauspieler außergewöhnliche Köpergröße von 1,92 m. Immer wieder scheint es, als schäme er sich ein wenig dafür. Oft zieht er den Kopf ein oder lümmelt sich so an Bars und Tischen, dass er auf seine Filmpartnerinnen nicht herabsehen musste. Nie weiß er, wohin mit seinen langen Beinen und in Hitchcocks "Der Mann, der zuviel wusste" hat er ernstlich Mühe, sie neben Doris Day unter einem zierlichen marokkanischen Esstischchen unterzubringen.

    Dieser Köper, der ein wenig zu lang und zu schlaksig war, verlieh Stewart eine ungeheure Lässigkeit, eine Männlichkeit, die sich eben nicht ständig beweisen musste. Und so blieb er auch als Hollywoodheld immer der Typ von nebenan. Etwa in seinem vielleicht besten Western, dem 1939 von George Marshall gedrehten "Destry Rides Again". Zu Beginn kommt Stewart mit der Postkutsche als neuer Sheriff in einem wilden Städtchen an. Er hilft einer Dame beim Aussteigen, trägt grazil ihr Sonnenschirmchen und ihren Kanarienvogelkäfig. An der Bar bestellt er erst mal ein Glas Milch. Aber dann nimmt er es in diesem Film mit jedem auf und wird im Zweikampf im Saloon sogar mit der Dietrich fertig.

    Im Leben war dieser Schauspieler, der von Amerika als Jimmy geduzt wurde, erzkonservativ. Er unterstützte Eisenhower, Nixon und Reagan. Auf der Leinwand hingegen spielte James Stewart Westerner und manchmal auch Reporter, die - beide auf ihre Weise - für ein liberales, aufgeschlossenes Amerika stehen.

    In Frank Capras Klassiker "Mr Smith geht nach Washington" spielt er einen Pfadfinder und Eichhörnchenjäger, der als Senator nach Washington geschickt wird. Kaum je wirkten James Stewarts Lippen unschuldiger als wenn er in diesem Film über die unfassbare Schlechtigkeit der Welt staunte.

    "Verzeihen Sie, ich möchte Senator Pain sprechen. Ist er da?

    Senator Pain ist verreist.

    Verreist?! Das ist nicht wahr!"

    "Hör zu mein Junge, setzen wir uns da drüben hin.

    Ich kann jetzt nicht sitzen. Stimmt es, dass sie Ihnen seit 20 Jahren sagt, was Sie tun sollen? Ich hab ihn einen Lügner genannt.

    Ich hatte gehofft, dass du dir hier alles ansiehst, ein wenig Geschichte lernst und dann in deine Jungen-Welt zurückkehrst. Du lebst in einer Jungen-Welt Jeff, und um Himmels Willen, das ist eine Männer-Welt. Eine brutale Welt, in der für dich kein Platz ist. Sie wird dich verletzen."

    Es war Alfred Hitchcock, der die wahren Abgründe in Stewarts amerikanischem Biedermann erkannte. Er ließ ihn in "Cocktail für eine Leiche" den Professor spielen, der seine Studenten versehentlich zum Mord erzieht. Er machte ihn zum Voyeur mit Gipsbein, der in "Fenster zum Hof" eunuchenhaft bei Mord und Totschlag zusieht. Und er ließ ihn in "Vertigo" auf fetischistische Weise einer platinblonden Frau verfallen. James Stewart würde nie einen Mörder spielen sagte Hitchcock - mit Bedauern. Das war freilich nicht ganz richtig, denn einmal - ganz zu Beginn seiner Karriere, im "Dünnen Mann" - hatte er es doch getan.

    Die DVD zum Film "Mr. Smith geht nach Washington" ist erhältlich bei Sony Pictures Home Entertainment.