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Der Großvater als lieber Gott

"Helden wie Opa und ich" ist das erste Kinderbuch der Autorin Nina Weger. Es erzählt die Geschichte des neunjährigen Nicks und seiner schrulligen Familie, die voller Verrücktheiten steckt, bis hin zum Großvater, der plötzlich Gott spielt. Ein rasantes und komisches Buch über Gott und die Probleme jeder normalen Großfamilie.

Von Maria Riederer | 26.05.2012
    Der neunjährige Nick Lasar ist sich sicher, dass er der einzig Normale in einer Familie voller Verrückter ist. Er und sein Großvater, ein bekannter Schokoladenfabrikant, der im Begriff ist, seinem Schwiegersohn, Nicks Vater, die Leitung der Fabrik zu übergeben. Zu diesem Zweck macht sich Nicks Familie auf den Weg zu den Großeltern.

    "Achtung, Achtung! Auf der A65 in Höhe Neustadt blockiert eine Person mit etwa hundertdreißig Schafen die Fahrbahn Richtung Süden. Die Polizei bemüht sich, den Verkehr über die Standspur vorbei zu lenken. Es muss mit einer Verzögerung von bis zwei Stunden gerechnet werden."

    Als die Meldung durchs Autoradio dringt, weiß noch keiner, was es mit dem Mann und seinen 130 Schafen auf sich hat. Im Auto sitzen Nick, seine Eltern, seine ältere Schwester Lola, die seit Wochen aus Liebeskummer und Wut in Schweigen verharrt, und die Jüngste, Josefine, die sich selbst zur Indianerin ernannt hat und diese Rolle in aller Konsequenz lebt.

    "Meine kleine Schwester Josefine ist der festen Überzeugung, dass sie eine Indianerin vom Stamme der Dakota-Sioux ist. Tag und Nacht trägt sie einen Anzug aus Hirschleder, ein Perlenstirnband und weiche Mokassins, die mit Lederriemen verschnürt sind. Niemals verlässt sie das Haus ohne ihren Bogen und einen Köcher mit zwölf Pfeilen. Wenn andere Kinder nach der Schule fern sehen oder mit Freunden spielen, zieht sie in dem Wald gegenüber auf die Jagd. Sie weigert sich, etwas anders zu essen, als das, was sie selbst gefunden oder erlegt hat."

    Nicht nur Nicks Schwestern, auch Vater und Mutter, Onkel, Tante und Oma stecken voller Schrulligkeiten. "Helden wie Opa und ich" ist Nina Wegers erstes Kinderbuch. Die Autorin hat reichlich Erfahrung mit turbulenten Konstellationen und starken Individuen. Neben ihrer großen Familie managt sie einen Kinderzirkus in Hannover mit 50 Kindern von 5 bis 18 Jahren. Auch wenn es in diesem Buch keine Zirkuskinder gibt, so wirkt das Zusammenspiel der einzelnen Personen doch wie eine Trapeznummer, in der – so sieht es jedenfalls Nick – jederzeit einer abstürzen kann. Da sind die verschwiegenen Konflikte zwischen den Eltern, die scheinbar so feindselige große Schwester, die völlig verdrehte Tante und ihr nicht weniger schrulliger Bruder.

    "Meine Verwandten gehören zu der Sorte Menschen, die man in Filmen sehr lustig findet, aber mit denen man auf der Straße nicht unbedingt gesehen werden will."

    Und jetzt dreht auch noch der Großvater durch. Er ist es, der sich mit einer Schafherde auf die Autobahn setzt und Gott spielt.

    "Den Anstoß zu dieser Geschichte hat mein Onkel gegeben, ich hab als Kind schon immer geliebt - der ist Psychologe -, Geschichten zu hören von Menschen, die anders sind, also ich fand das wahnsinnig spannend, Menschen, die sich anders benehmen und nach ihren eigenen Regeln funktionieren. Und er erzählte mir unter anderem einmal die Geschichte von einem Patienten, der plötzlich glaubte, er sei der liebe Gott - und das fand ich wunderbar, dass jemand einfach sagte: Alles, was ihr tut, interessiert mich nicht, ich bin unangreifbar, denn ich schwebe über allem."

    Dieser Opa schwebt allerdings keinesfalls, sondern bewegt sich mit großem Selbstbewusstsein durch den Tag, läuft im Nachthemd durchs Fußballstadion, unterbricht das laufende Spiel, jongliert geschickt mit Bibelzitaten und segnet einen unterbegabten Spieler, der dann auch prompt das entscheidende Tor schießt. Ein Wunder?

    "Da ist plötzlich jemand, der sagt: Stopp, einmal anders, einmal innehalten - und dann guckt er ihn an. Und der Blick, wenn er ihn anguckt, heißt ja auch: Ich glaube an dich. Das ist sicherlich was Mystisches, aber es funktioniert ja merkwürdigerweise immer wieder, man ist ja selber ganz erstaunt, manchmal, was das dann ist."

    Die Pastorentochter Nina Weger will nicht einfach einen verrückten Großvater darstellen, der größenwahnsinnig ist und dadurch eine Menge urkomischer Situationen hervorruft. Vielmehr bringt er eine völlig heterogene Gruppe dazu, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

    "Ich glaube auch, dass wenn man an etwas glaubt - ob man das nun Gott oder Kraft, oder wie man das auch für sich bezeichnet - dass es am Ende aber nur durch unser Tun und Handeln sichtbar werden kann. Ob man sagt, das ist Familie, oder in Gruppen oder wie bei uns im Kinderzirkus, dass man sagt: Guckt auf den anderen, achtet aufeinander, und dann gehen ganz viele Dinge."

    Dieser Kniff gelingt Nina Weger perfekt und ohne einen Hauch von lästiger Pädagogik. Denn auch wenn Nick und seine Schwestern ihren Großvater mit angeblich heilenden Pilzen auf einen psychedelischen Trip schicken, auch wenn Akupunkteur und sibirischer Schamane unverrichteter Dinge das Haus verlassen, so sind sich doch am Ende alle Familienmitglieder einig geworden über den letzten Rettungsversuch:

    "Meine Mutter nickte in die Runde: 'Wir haben nichts mehr zu verlieren, also starten wir den Versuch: Wir behandeln Opa wie den lieben Gott.'"

    "Ehrlich gesagt hat die ganze Geschichte begonnen in meinem Kopf mit der Szene: Der sitzt auf seinem Thron und die Familie um ihn herum. Und das war das Erste, was ich so im Kopf hatte, und ich dachte, das möchte' ich erzählen."

    Jeder Einzelne bringt nun seine Gebete vor den Großvater-Gott. Manche Wünsche sind konkret, wie die Büffelherde für die Möchtegern-Squaw oder der Hunde-Modelvertrag für die Großmutter. Andere bitten um geistige Klarheit, wie die unglückliche Tante Eurydike, die nicht weiß, ob sie nun eine Künstlerin ist oder nicht. Der Großvater auf seiner wackligen Thron-Konstruktion gerät immer mehr ins Schwitzen.

    "Noch bevor meine Tante vor den Thron treten konnte, beugte Opa sich vor und mahnte mit erhobenem Zeigefinger: 'Suchet Gerechtigkeit, suchet Demut, auf dass ihr am Tage des Zornes des Herrn möget verborgen werden. Klar?' – Tante Eurydike schüttelte verwirrt den Kopf. – 'Das heißt, ab jetzt nur noch eine Frage', erklärte Opa und lehnte sich wieder auf seinem Thron zurück."

    "Ich kann auch verstehen, dass Opa die Segel streicht als sie ihn wirklich wie den lieben Gott behandeln - also den Anspruch, den wir an sowas wie Gott oder diese göttliche Kraft haben, der ist ja auch enorm, da sendet man eben mal seinen Wunsch aus oder sein Gebet und sagt: Richte es mal eben, und zwar alles, was wir selber nicht geregelt bekommen."

    Und doch geht der Plan auf. Plötzlich werden Wünsche wahr. Kleine Wunder passieren, und beim Lesen kann jeder selbst entscheiden, wer oder was hier seine Hand im Spiel hatte.

    "Man sendet einen Wunsch aus, spricht ihn aus, und die anderen hören das auch. Und es gibt Dinge, die ergeben sich dann auf wunderbare Art und Weise, aber sie ergeben sich auch zum Teil, weil die anderen es gehört haben und weil die anderen plötzlich gespürt haben, da ist etwas, was ihn umtreibt und bewegt und wir können das auch lösen und müssen das auch lösen."

    "Helden wie Opa und ich" ist ein rasantes Buch über die Probleme jeder normalen Großfamilie und über die Notwendigkeit klarer Worte. Und es erzählt – komisch aber keinesfalls respektlos – von Gott und von der Vielfalt seiner Erscheinungsformen.

    Nina Weger: "Helden wie Opa und ich". Oetinger Verlag, 208 Seiten, 12,00 Euro.