Mittwoch, 24. April 2024

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Der Hamburger Musiker Andreas Dorau
"Wir wollen in die Albumcharts kommen"

Man kennt ihn von seinem ersten Single-Hit "Fred vom Jupiter" aus dem Jahr 1981. Aber nach über 35 Jahren ist Andreas Dorau weiterhin musikalisch tätig: Auf seinem neuen Doppelalbum "Die Liebe und der Ärger der anderen" mixt er Trashpop, Easy Listening, Dance und Neue Deutsche Welle-Reminiszenzen.

Andreas Dorau im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 01.07.2017
    Andreas Dorau mit Schwan (Bild: Gabriele Summen)
    Als ein "rein sportliches Unternehmen" sehen Musiker Andreas Dorau und sein Label Staatsakt das Ziel, in die Albumcharts zu kommen: "Weil ich da noch nie war". (Gabriele Summen)
    Andreas Dorau: Das Cover ist ein Ölgemälde. Der Titel "Die Liebe und der Ärger der anderen" lässt sich schwer illustrieren und daher kamen wir auf ein Porträtgemälde – wollten wir eigentlich machen – und dann sollte ich irgendwas in der Hand halten: Und dann haben wir lange diskutiert, was könnte die abgebildete Person in der Hand halten? Und dann kamen wir auf ein Tier und dann spann sich das immer weiter, was könnte es für ein Tier sein? Und dann haben wir so überlegt: Welche Tiere für Liebe - und welche für Ärger stehen. Und dann haben wir einen sogenannten Wolpertinger gebastelt. Und zwar, der vordere Teil des Tiers ist ein Schwan und der hintere ist eine Hyäne.
    Anja Buchmann: Ach, eine Hyäne, okay!
    Dorau: Aber die Frage war eigentlich anders: Wie war die mal noch?
    Buchmann: Ja, es bezog sich natürlich auf den Song "Ossi mit Schwan", der da ja sicherlich mit drinsteckt.
    Dorau: Steckt da so ein bisschen mit drin, ja.
    "Mit dem Schwan auf ihn eingeprügelt"
    Buchmann: Und die Geschichte zu "Ossi mit Schwan" hat sich ja wohl tatsächlich ereignet, wie ich gelesen habe? Worum geht es da? Erzählen Sie mal bitte kurz.
    Dorau: Das war eine Geschichte - weiß ich nicht, hat sich vor drei oder vier Jahren zugetragen, nicht direkt in München, aber in Bayern an der Isar: Ein Ostdeutscher war mit einem Kumpel irgendwie an einem Bierstand, wollte sich eine Cola bestellen. Und dort waren dann ein paar betrunkene Bayern, die anfingen zu pöbeln. Das Pöbeln steigerte sich, bis sie auf ihn losgingen und ihn verprügelten – und tatsächlich einen Schwan zu Hilfe nahmen. Also einen Schwan wohl am Hals packten, die dort am Fluss sich rumtreiben und mit dem Schwan auf den armen Ostdeutschen eingeprügelt hat.
    Buchmann: Und das war eine Geschichte, die Sie dann irgendwo in der Zeitung gelesen haben und gedacht haben: Die ist so skurril …
    Dorau: Der Text ist nicht von mir, das muss ich anstandshalber sagen! Der Text ist von Carsten Friedrichs von der Liga der gewöhnlichen Gentlemen, der auch … mit dem ich einige Stücke gemacht habe. Und den tollen Text hat er mir vererbt.
    Buchmann: Warum hat Sie das direkt angesprochen, um daraus dann halt eben – gemeinsam mit ihm, möglicherweise – einen Song zu machen?
    Dorau: Also a) ist es eine interessante Geschichte zum Thema Fremdenhass. Und auch natürlich … und die ist bizarr. Es ist eben keine klassische Fremdenhassgeschichte, sondern eigentlich … und eben wie so eine Gewaltspirale plötzlich losgehen kann. Also ich fand da diverse Aspekte an dem Vorfall interessant.
    "Idylle gegen Gewalt"
    Buchmann: Die Musik zu "Ossi mit Schwan" ist sehr locker, fluffig mit Slide-Guitar, ich glaube, sogar auch Hammond-Orgel zwischendurch, mit Chören. Der Text scheint erst mal relativ arglos anzufangen, dann kommen aber immer mehr ein paar Spitzen: "Wir sollten wieder eine Mauer aufbauen" und dann wird der Mann halt eben mit dem Schwan geschlagen. Ist das ein geliebtes Mittel von Ihnen, eine scheinbare Arglosigkeit – zumindest in der Musik, zum Teil auch vielleicht am Anfang im Text – zu produzieren und das dann mit eigentlich bösen Inhalten zu füttern?
    Dorau: Also ich habe mich bei dem Stück so ein bisschen an so österreichischen Stücken orientiert. So was, wie Ludwig Hirsch oder so. Also wo ich eigentlich zwei Welten gegeneinander stelle. Also sowohl musikalisch als auch textlich. Und im Text ja auch, im Text wird ja eine ziemlich unangenehme Geschichte erzählt. Und gleichzeitig gibt es den süßlichen Refrain mit der "ewigen Isar" und wie wunderschön sie dahinfließt und so weiter. Und eben Idylle gegen Gewalt stellen.
    Buchmann: Ist ein Mittel von Ihnen, was sie gerne verfolgen. Oder würden Sie das jetzt als ein sehr geliebtes Mittel von Ihnen auch bezeichnen?
    Dorau: Ein Mittel! Einigen wir uns mal auf ein Mittel.
    "Eine Tasche voller Textfragmente"
    Buchmann: Wie entstehen Ihre Songs? Sie haben jetzt gerade für die aktuelle Platte mit sehr vielen verschiedenen Musikerinnen und Musikern, auch Produzenten, zusammengearbeitet. Erzählen Sie mal: Wie ist die Zusammenarbeit zum Teil vonstattengegangen?
    Dorau: Also erstens: Stücke gehen bei mir eigentlich immer mit dem Text los. Also ich sammle über die Jahre Textfragmente, die sich dann im Studio verdichten. Also ich komme nicht mit einer Skizze an oder so etwas, sondern mit einer Tasche voller Textfragmente. Und dann mache ich … habe ich irgendeine Person, mit deren Arbeit und die mir persönlich sympathisch ist, mit der ich dann mal Musik machen möchte. Und dann trifft man sich und dann hat man meistens nach einer Stunde ein Stück.
    Buchmann: Wie ging die Zusammenarbeit mit Françoise Cactus zum Beispiel vonstatten? "Ein trauriger Tag" haben Sie mit der unter anderem gemacht.
    Dorau: Ja. Zwei Stücke haben wir gemacht, also an zwei Tagen. Und da war es tatsächlich so, da hatte ich … "Ein trauriger Tag" war auch eine wahre Geschichte. Und zwar: Ich hatte, Mitte der 90er, Berlin-Mitte war noch nicht so wie Berlin-Mitte heutzutage ist – oder Anfang 90er, Entschuldigung. Anfang 90er war es noch nicht so, wie es ist. Und da waren am Rosenthaler Platz auch immer so Straßenpunks, ganz viele, die da immer rumhingen. Und ich ging da eines Morgens längs auf dem Weg zum Studio und kriegte mit, dass da irgendein totales Drama passiert sein musste. Und eben Polizisten und die Punks sich total anschrien und so. Und kriegte dann mit, dass von einem Punkermädchen – Punkermädchen, blödes Wort …
    Buchmann: Punkerin? Junge Punkerin?
    Dorau: Punkerin, ja, wäre wohl etwas korrekter. Der tatsächlich ihr Hund erschossen wurde, der ihr Ein und Alles war. Und das ging aber unter in dem Streit zwischen Punks und Polizisten sozusagen. Und die junge Dame wurde zur Nebensache. Und das hatte ich … den Text hatte ich schon halb aufgeschrieben, den habe ich dann mit Françoise … haben wir uns dann in ein Café gesetzt und zu Ende geschrieben.
    Buchmann: Der Hund hieß dann, aber das ist wahrscheinlich dann wieder die künstlerische Freiheit, der Hund hieß nicht Hitler.
    Dorau: Nein. Wir haben … also so Hunde von Punks haben ja meistens provokante Namen, Chappi oder so was.
    Buchmann: Ja genau, das könnte passen!
    Dorau: Und dann fanden wir "Hitler" gut und dass Hitler tot ist und so. Das war dann eine Freiheit, die wir uns da erlaubt haben. Aber ich konnte da, in der Kürze, nicht noch erfahren: Wie heißt denn das tote Tier? Das konnte ich nicht fragen, nein.
    "Die Stücke mit Stereo Total sind komplett Kassette"
    Buchmann: Haben Sie eigentlich Ihr altes 4-Spur-Gerät noch, auf dem die ersten Stücke entstanden sind?
    Dorau: Nee. Leider nicht mehr. Das ist tatsächlich … da sind alle Tasten, alle Tasten abgebrochen. Hätte ich aber gerne. Also tatsächlich an ein paar Stellen der Platte, ist der Gesang dann auch noch mal wieder auf Kassette aufgenommen worden, um eine sogenannte "Tape-Compression" zu kriegen, also eine analoge Kompression und ein leichtes Rauschen.
    Buchmann: Ah, ja! Bei welchen Stücken ist das der Fall zum Beispiel?
    Dorau: Weiß ich jetzt nicht mehr. Aber es ist so.
    Buchmann: Es ist so. Okay.
    Dorau: Entschuldigung.
    Buchmann: Das wurde als künstlerisch-technisches Mittel …
    Dorau: Ach so! Auch die Aufnahmen mit Stereo Total, die beiden Stücke, sind auch auf einem 8-Spur-Kassettenrecorder aufgenommen. Die sind tatsächlich wirklich komplett Kassette. Ich bin total begeistert. Also ich höre leider eh seit 20 Jahren keine Höhen mehr, die habe ich mir irgendwann mal … sind mir abhandengekommen.
    Buchmann: Die Höhen sind abhandengekommen, ja.
    Dorau: Aber, tatsächlich ich kann zumindest – wahrscheinlich spielt sich das in den Höhen ab oder so – ich kann wirklich klanglich keinen Unterschied zwischen den fetten Studios und der schönen 8-Spur-Aufnahme hören.
    Buchmann: Ich glaube, wenn man es direkt nebeneinander hören würde, ich weiß nicht, ob es bei Ihnen jetzt so ist, wenn die Höhen nicht mehr so gut hörbar sind, dann kriegt man schon mit …
    Dorau: Ja, da bin ich limitiert. Das Tolle ist, wenn man eben … Also die meisten Stücke, seit Jahren, entstehen ja am Computer, man editiert et cetera, et cetera. Und dort musste man … In zwei Tagen musste das Stück in Realtime eben abgespielt werden, weil man nicht editieren konnte.
    Buchmann: Also Sie haben die unterschiedlichen Stücke mit den unterschiedlichen Musikern, Musikerinnen, dann auch an unterschiedlichen Orten in Studios aufgenommen?
    Dorau: Ja, ich bin sehr viel gereist.
    Buchmann: Innerhalb von welchem Zeitraum ist das Ganze entstanden?
    Dorau: Zweieinhalb Jahre.
    "Ich war noch nie in den Albumcharts"
    Buchmann: Ist das schwer, das dann noch zusammenzuhalten?
    Dorau: Also das Label Staatsakt hat und ich hatten uns vorgenommen: Wir wollen mit dieser Platte mal versuchen, in die Albumcharts zu kommen, weil da war ich noch nie. Ein rein sportliches Unterfangen. Also wir werden nicht mehr verkaufen, sondern wir konzentrieren uns darauf, in der berühmten Chartwoche und mit den Vorbestellungen da so viele Verkäufe zu generieren, dass wir in dieser einen Woche – und deswegen auch die Veröffentlichung im Juli – dass wir dort, wo eben die Plattenverkäufe besonders unten sind …
    Buchmann: Genau.
    Dorau: … und nicht im Weihnachtsgeschäft, wo man besonders viele Stückzahlen verkaufen kann. Also wir werden wahrscheinlich nicht mehr verkaufen, wir versuchen bloß, in einer bestimmten Zeitperiode zu verkaufen. So. Und jetzt noch mal zum anderen zurück. Ja, also: Ich wusste, es sollte ein einfaches Album plus ein Bonusalbum werden. Also habe ich einfach fröhlich vor mich her produziert und wenn es dann nicht zu den anderen Stücken passt oder so, kommt es halt auf das Bonusalbum. Leider gefielen mir dann, als ich dann irgendwie 19 Stücke hatte oder so, 17 davon gut. Und: Oh, schwere Entscheidung! Was soll jetzt auf das Bonusalbum? Und dann schlug Maurice von Staatsakt vor: Ja lass uns doch ein Doppelalbum machen! Eigentlich finde ich das Format Doppelalbum doof. Aber in dem Fall habe ich …
    Buchmann: Warum?
    Dorau: Ich finde Doppelalben prätentiös. Das hat so was "Werkartiges". Als ob der Künstler da sich ganz stark ausdrücken muss und … Ein komisches Mitteilungsbedürfnis oder was weiß ich. Doppelalbum finde ich pretentious. Also finde ich irgendwie ein bisschen erst mal unsympathisch. Aber wie gesagt: In dem Falle ging es nicht anders. Und dann wurde eben das ungeliebte Doppelalbum draus. Ja, so kam es zu einem Doppelalbum.
    Buchmann: Aber Sie wollen auf jeden Fall damit in die Charts, wie Sie schon sagten. Sie waren doch schon mal in den Charts?
    Dorau: Ich war noch nie in meinem Leben in den Albumcharts!
    Buchmann: Ach, Albumcharts! Ja, okay, alles klar! Single schon, aber …
    Dorau: Ja, da war ich eben noch nie. Singlecharts war ich schon öfter aber in den Albumcharts war ich noch nie. Und: Es gibt ja sogenannte Single-Künstler und Album-Künstler. Und es gibt im Indie-Bereich wenige, die beides sind.
    Billige CD-Player und schlechte Spirituosen
    Buchmann: Haben Sie dann – wie hieß das in den 90ern – Chart-Power-Gimmicks zusammengesucht, um die Leute noch da …
    Dorau: Die würden ja Geld kosten! Das kann sich ein Indie-Label nicht leisten. Diese Chart-Power-Gimmicks waren in den 90ern und da gab es für die Charts sogenannte "Tipper". Das waren Leute beim Radio, Leute wie Sie, oder Plattenhändler und so weiter. Und gab da gab es eben einen Bogen, den die wöchentlich ausfüllen mussten. Im Grunde: Diese Chart-Power-Gimmicks ist Payola – das ist eigentlich Schmiergeld, ohne dass das Geld war, sondern eben im Sinne von Wertgegenständen. Wertgegenständen in Anführungszeichen, denn meistens war das total unnützes, bescheuertes Zeug, was da verschenkt wurde.
    Buchmann: Das war vor meiner aktiven Zeit aber ich las davon, dass das … einige Spirituosen und auch CD-Player und ich weiß nicht, was es alles gab.
    Dorau: Da haben Sie nichts verpasst! Genau, so komischen Kram. Aber eben wirklich der billigste CD-Player, schlechte Spirituosen oder komische Lebensmittel. Oder ein verrücktes T-Shirt. Oder … Also Kram, den man nicht braucht.
    "Bei mir gibt es kein molliges Viertel"
    Buchmann: Wenn Sie eine Stadt aus Musik konstruieren würden, wie würde sie aussehen, beziehungsweise klingen?
    Dorau: Ogottogott. Ich habe mit allen möglichen Fragen jetzt in den Interviews schon gerechnet und beantwortet – die Frage hatte ich noch nicht! Keine Ahnung! Ich würde die Frage wirklich gern beantworten. Da habe ich mir noch keine Gedanken zu gemacht. Ich fand bloß die Idee "Eine Stadt aus Musik" gut, aber en Detail habe ich mir das nicht überlegt.
    Buchmann: Also, Sie hätten jetzt keine Akkordfolge oder einen Groove?
    Dorau: In C-Dur wäre die.
    Buchmann: In C-Dur? Och, das ist doch ein bisschen langweilig, oder?
    Dorau: Nein, das ist eine positive Stadt!
    Buchmann: Ja, positiv auf jeden Fall, okay.
    Dorau: C-Dur ist leicht. Bei mir gibt es kein molliges Viertel.
    Buchmann: Kein molliges Viertel?
    Dorau: Nein! Das ist eine totale C-Dur-Harmonie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.