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Der Hamlet des Nicht-im-Supermarkt-einkaufen-Könnens

Michael Nast ist ein sogenannter Kultblogger. In Berlin ist er angeblich beinah weltberühmt. Seine Geschichten handeln von seinen Frauengeschichten.

Von Hartmut Kasper | 16.06.2010
    Michael Nast ist Autor, Gründer zweier Plattenlabels und Artdirector seiner eigenen Werbeagentur "berlinerverhältnisse". Er veröffentlicht eine Kolumne auf MySpace und ist für jedermann und jederzeit erreichbar unter Netz-Adressen wie www.myspace.com/michaelnast, www.facebook.com/michaelnast oder twitter.com/michaelnast.

    Und so ist denn auch das Buch: Viel, ja überwiegend Michael Nast. Und viele Wehlaute, die man dazu ausstoßen möchte.

    "Ich werde oft gebeten, meine Texte zu erklären", " erklärt Nast im Vorwort zu seiner Textsammlung. " "Das fällt mir zugegebenermaßen nicht unbedingt leicht. (...) Werde ich gebeten, meine Texte zu erklären, muss ich oft an Marcel Reich-Ranicki denken, der in seiner Autobiographie Mein Leben geschrieben hat, dass es, jetzt mal sehr zurückhaltend formuliert, in den meisten Fällen vorteilhaft wäre, wenn sich Autoren zu ihren Texten lieber nicht äußern würden."

    Einige Seiten Textexegese des eigenen Werks weiter kommt Michael Nast zu folgendem Schluss: Seine Texte seien "Details. Kleine gesellschaftliche Skizzen. (...) Der große Zusammenhang. Ich werde ihn möglicherweise nie verstehen. Wäre ich Gott, sähe das anders aus. Aber Gott bin ich nun mal nicht."

    Gut, dass das geklärt ist. Etliche inhaltsfreie Seiten Vorwort weiter - das Vorwort ist einer der längsten Texte dieser Sammlung - geht es endlich los. Michael Nasts Geschichten spielen in Berlin. Berlin ist eine große Stadt. Deswegen heißen seine Geschichten Großstadtgeschichten. Und wie viel metropolitisches Flair diese Geschichten atmen, verraten bereits die Überschriften, die beispielsweise so lauten: "Gerade aufgewacht - bei Sandy in der neunten Etage", "Unterwegs in Sachen Liebe", "Groupies", "Meine Freundin und ihr Freund", "Fünf Dates pro Woche", "Die Namen meiner Ex-Freundinnen" oder "Interessiert sah ich mich nach Frauen um".

    Wie lebt es sich denn nun in Michael Nasts Metropole der Herzen? Nicht leicht, wie es den Anschein hat:

    "Leider stellt mich das Einkaufen im Supermarkt vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Ich kann das nicht so gut, das ist wohl eine der Tragiken meines Lebens."

    Michael Nast, dieser Hamlet des Nicht-im-Supermarkt-einkaufen-Könnens, trifft stattdessen lieber Frauen. Frauen in Bars oder auf Geburtstagspartys. Michael Nast ist seiner Geschichten wegen in Berlin beinah weltberühmt. Deswegen handeln seine Großstadtgeschichten immer wieder von Frauen, die er kennengelernt hat, weil diese Frauen ihn kennenlernen wollten, um in seinen Geschichten vorzukommen.
    Manchmal sprechen die Frauen ihn aber nicht an. Dann spricht er sie an:

    "Wir könnten uns auch an einer der anwesenden Frauen wenden und versuchen, mit einer auflockernden Bemerkung das Eis zu brechen. Vielleicht mit einem Satz wie 'Du kommst mir bekannt vor. Hab ich dich nicht kürzlich erst in einem Pornofilm gesehen?'"

    So jagt eine humoristische Idee die andere, und manche dieser humoristischen Ideen findet Michael Nast so gewinnend, dass er sie gleich mehrere Mal verwendet: Im Text "Die Nacht der Nächte" überlegt Nast, "ob es zulässig ist, übermäßiges Frequentieren von Solarien als Sportart zu bezeichnen", im Text "Ist ´fickbar´ eigentlich ein Fremdwort?" spricht der Autor:

    "Also, liebe Leserinnen, sollten Sie das Frequentieren von Solarien als Sportart betreiben und Ihre Haare aus philosophischen Gründen stark blondieren, lesen Sie jetzt bitte nicht weiter."

    An anderer Stelle heißt es:

    "Ich repräsentierte die eine Welt. Die Repräsentanten der anderen Welt waren blond, oder um es etwas präziser auszudrücken, stark blondiert. (...) Sie hießen Maren, Anja, Anna und Sandra. Die Namen Cindy, Mandy, Chantal und Sandy hätten allerdings auch gepasst. Als sie anfingen zu reden, passten diese sogar besser als ihre wirklichen Namen."

    Wer an solchen dümmlich-denunziatorischen Bemerkungen, wie sie hier im kumpelhaften Ton vorgetragen werden, seine Freude hat, wird mit der ganzen Sammlung bestens bedient.

    Immerhin leuchtet hin und wieder ein Gran Selbsterkenntnis auf wie ein Glühwürmchen am nächtlichen Kurfürstendamm:

    "Es gibt Momente, in denen ich begreife, dass ich mich noch immer in einer bemerkenswert ausgeprägten postpubertären Phase befinde."

    Haben wir erwähnt, dass Artdirector Nast in seinem 35. Lebensjahr steht? Großstädtisch ist in diesen Großstadtgeschichten allenfalls die maßlose Larmoyanz, von der die Texte förmlich überfließen. Eine neue Weinerlichkeit, die sich unglücklich mit einem Hang zum unverhüllten Schwafeln paart.

    "Ich habe mir vor einigen Jahren einen großen und auch ziemlich teuren Kühlschrank gekauft (...). Ich mag meinen Kühlschrank. Würden wir allerdings - natürlich rein hypothetisch - nur für einen Augenblick davon ausgehen, dass er eine Seele hätte, bräuchte er sicherlich in naher Zukunft eine Therapie. Mein Kühlschrank wäre nicht schizophren oder paranoid, eher wohl außerordentlich depressiv. Er muss sich ziemlich nutzlos fühlen, ziemlich leer. Er kann seine Aufgabe nicht erfüllen, nicht weil er dazu nicht in der Lage wäre, sondern weil ich ihm nicht die Möglichkeit gebe, sie zu erfüllen. Mein Kühlschrank leidet. Und ich bin schuld daran."

    Nun mag es in Ansätzen ein lustiger Einfall sein, seine Küchenmöbel einer Psychoanalyse zu unterziehen. Aber wenn die ganze Chose nicht mehr sagen will als "Mein Kühlschrank steht leer", dann liegt der Verdacht nah, dass hier weder dem guten Stück geholfen noch der Leser amüsiert werden soll, sondern dass der Autor Gelegenheit sucht und findet, sich in seiner sprachlichen Pracht zu spreizen.

    Im TV stirbt die Talkshow als RTL-Format langsam aus. Hier scheint sie ihr letztes Refugium gefunden zu haben, in dieser endlosen Dampfplauderei über Hippes, Hoppes, In-Bars, Flirts und Frauen - der Text als Talkshow mit Michael Nast als Ansager, Moderator und immerwährendem Stargast.

    Der Star hat, wie gesagt, viele Frauen kennengelernt, die ihn angesprochen haben, um einmal in seinen Geschichten vorzukommen. Neuerdings möchten, wie man hört, diese Frauen aber nicht mehr in seinen Geschichten vorkommen.

    Man kann sie verstehen, diese Frauen.

    Michael Nast: Der bessere Berliner. Großstadtgeschichten
    Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek/Hamburg 2009, 223 Seiten, 8,95 Euro